Süddeutsche Zeitung

Musikkonzern EMI:Platte putzen

Was ist der Unterschied zwischen EMI und der Titanic? Die Titanic hatte bei ihrem Untergang wenigstens ein paar anständige Bands an Bord: Vom Versuch des Konzerns, mit Urheberrechten sein Überleben zu sichern.

J.-C. Rabe

Als die taumelnde Londoner Plattenfirma EMI Ende der vergangenen Woche meldete, dass sie zum zweiten Mal in diesem Jahr die Führungsspitze austauschen werde, ließ sich die britische Presse die Chance nicht entgehen, an einen Witz aus einer sehr fernen Zeit zu erinnern. Aus der Zeit also, bevor es die CD gab. Er kam in Umlauf, als das Unternehmen Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre den Anschluss an die jüngsten Entwicklungen des britischen Pop verloren hatte und auch noch von einem Glühbirnenhersteller übernommen wurde. Der Witz geht so: Was ist der Unterschied zwischen EMI und der Titanic? Die Titanic hatte bei ihrem Untergang wenigstens ein paar anständige Bands an Bord.

EMI war damals und ist heute die Plattenfirma, die die Welt mit den Alben der Beatles beliefert. Erst Ende 2009 sorgte eine mit neuester Studiotechnik klanglich überarbeitete Neuauflage aller Beatles-Platten für Aufsehen. EMI ist längst aber auch die Plattenfirma, der es im Vergleich zu den anderen drei großen Musikkonzernen der Welt, Universal, Warner und Sony, mit Abstand am schlechtesten geht. Kaum ein Kenner der Branche geht davon aus, das es das marode Unternehmen noch lange geben wird, zumal sich die Lage auch nach dem Einstieg des Investors Guy Hands und seiner Kapitalbeteiligungsgesellschaft Terra Firma im Jahr 2007 nicht besserte. Im Gegenteil: Wie üblich wurde der Kaufpreis (4,2 Milliarden Pfund) EMI als Schulden aufgebürdet. Vor allem aber die Rahmenbedingungen der gesamten Branche, deren einst gigantischen Gewinne infolge der digitalen Revolution schrumpften, lassen wenig Optimismus zu.

Der Titanic-Vergleich allerdings erzählt gerade deshalb viel mehr über die Vergangenheit der Branche, als über die aktuelle Lage von EMI. Denn er stammt aus einer Zeit, in der man mit guten Gründen noch der Meinung sein konnte, das Geschäft liefe, wenn man nur ein paar anständige Bands an Bord habe. Mit Bands wie Coldplay und Künstlern wie Katy Perry, Kylie Minogue, Robbie Williams oder Norah Jones stehen jedoch eine beachtliche Zahl der erfolgreichsten Popstars der Gegenwart bei EMI oder einer ihrer Tochterlabels unter Vertrag. Und mit Gruppen wie den Beastie Boys, Hot Chip, den Gorillaz oder dem LCD Soundsystem ist auch der erfolgreiche avantgardistische Pop der vergangenen Jahre im EMI-Portfolio gut vertreten.

Wegweisender Wechsel

Auf ganz andere, aber bedeutsamere Art dürfte jedoch der jüngste Führungswechsel wegweisend sein. Als Chief Executive folgt den Managern Charles Allen und John Birt der bisherige Chef des EMI Musikverlags Roger Faxon. Und dass das etwas mehr ist, als ein Versuch eben den Nächstbesten an die Spitze zu berufen, beweist schon die offizielle EMI-Mitteilung. "Musik wird mehr genutzt als je zuvor", heißt es darin, "trotzdem sinken die Erlöse. Um EMI unter diesen Bedigungen die Chance zu geben, sich als ein Unternehmen zu positionieren, das geschäftsfelderübergreifend Urheberrechte verwaltet, wird sich die Führugstruktur ändern."

Die nüchtern formulierte Meldung ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel im Geschäft mit der Popmusik. Faxon wird nämlich Chef der Verlagssparte EMI Music Publishing bleiben. Die Leitung der Abteilung Recorded Music, die im Musikgeschäft bislang im Mittelpunkt stand, übernimmt er nur zusätzlich. Es soll bei EMI in Zukunft also weniger darum gehen, Künstler zu entdecken und deren Plattenaufnahmen zu verkaufen, sondern mit dem Besitz und der Verwertung von Urheberrechten von Songs Geld zu verdienen.Dem EMI-Verlagsarm war es unter Faxon in den vergangenen Jahren höchst erfolgreich gelungen, Musik, an der der Konzern Rechte hält, in populären Filmen, Musik-Fernsehshows wie "American Idol" oder "Deutschland sucht den Superstar" und großen Werbekampagnen unterzubringen und so beachtliche Tantiemen zu kassieren.

Angesichts der neuesten Entwicklungen des Musikgeschäfts scheint dieser Traditionsbruch aus wirtschaftlicher Sicht mehr als zwangsläufig zu sein, selbst wenn die Marke EMI so wohl bald auch den letzten Glanz verloren haben wird. Ein Rechteverwalter ist keine Plattenfirma mehr. Ein großer Rechteverwalter wird aber noch groß im Spiel sein, wenn längst keine Platten mehr verkauft werden. Allzu lange wird das vermutlich nicht mehr dauern. Die gesamte Musikbranche wartet derzeit gespannt darauf, welcher Streaming-Dienst sich im Netz durchsetzen wird. Wenn es bequem möglich ist, via Internet jeden beliebigen Song zu jedem Zeitpunkt an jedem beliebigen Ort abzuspielen, werden physische Tonträger ihre Zeit gehabt haben. Google will den jüngsten Gerüchten zufolge noch in diesem Jahr einen eigenen Musikdienst lancieren. Der Computerkonzern Apple ist mit seinem iTunes-Store seit Jahren der erfolgreichste Musikhändler im Netz und hat mit dem iPhone sogar schon den mobilen Zugang zu seinem Angebot etabliert.

Wer dabei auf der Strecke bleiben könnte, sind alle kleineren Labels und Musikverlage. Vom schwedischen Streaming-Portal Spotify etwa bekommt man im Moment für stolze 120000 Abrufe von Songs, deren Rechte man hält, ein Honorar von gerade einmal knapp 100 Euro.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.962602
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.06.2010/kar
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.