Die Helden der populären Musik spielen gern elektrische Gitarre. Der Körper dieses Instruments besitzt etwas Weibliches und etwas Phallisches zugleich. Daran kann man sich offenbar zum Sieger bilden. Die Helden der populären Musik spielen auch gern Klavier. Ein Orchester liegt dann unter ihren Händen, das sie in ekstatischen Momenten mit ausgestreckten Armen und zurückgeworfenem Kopf bedienen. Die Helden der populären Musik benutzen schließlich gern ein Mikrofon, um ihre Seelenzustände in die Welt hinauszurufen, sodass man noch in den entferntesten Gegenden von ihrem Schmerz und ihrem Glück erfährt. Hingegen spielen die Helden der populären Musik weder Harfe noch Spinett noch Fagott, obwohl, musikalisch betrachtet, nichts gegen diese Instrumente einzuwenden ist.
Zu den Instrumenten, die für das Bühnenheldentum ähnlich ungeeignet wirken, gehört die Posaune: ein mehrfach gewundener Rüssel, dem Töne nur mit muskulösen Backen zu entlocken sind. Doch gibt es gelegentlich einen Posaunisten, der mit einem solchen Schiebeschlauch zu einem Helden der populären Musik aufsteigt, mit den entsprechenden Folgen. Von Nils Landgren, den die Schweden Nisse nennen, gibt es Bilder, die ihn in der Pose eines agilen Tanzbärs zeigen, die Posaune in die Luft gereckt wie einen Tambourstab. Auf einer älteren Fotografie trägt er sein Instrument über die Schulter gelegt wie ein Gewehr, in der Pose, in der John Wayne im Film "Der schwarze Falke" auftritt. Es gibt Szenen, vor allem nach Soli, in denen er die Posaune plötzlich mit der linken Hand nach hinten schleudert, beinahe so, als wäre er Prince, wie er die Gitarre von sich wirft. Es hilft aber wenig: Die "Sequenza V" (1988), eine Komposition für Soloposaune des italienischen Komponisten Luciano Berio, ist keineswegs zufällig Grock, dem "König der Clowns", gewidmet. Nils Landgren hat das Stück auch gespielt. Aber es scheint, als liebte das deutsche Publikum diesen Posaunisten auch deshalb so sehr, weil sein Instrument etwas Eigenwilliges, gar Skurriles an sich hat: Auch in Verkaufszahlen gemessen, war Nils Landgren im vergangenen Jahr in Deutschland der erfolgreichste Jazzmusiker überhaupt.
Sein Vater brachte den Swing in die Turnhallen der skandinavischen Provinz
Nils Landgren, 64, stammt aus Degerfors im Osten der schwedischen Provinz Värmland. Die kleine Stadt liegt auf halber Strecke zwischen Göteborg und Stockholm, mitten in den schwedischen Wäldern und nicht weit entfernt von einem großen See namens Vänern. Der Bahnhof gleicht einer Garage, der Fußball sorgt für die Attraktionen, und die ehemaligen Kommunisten ("Vänsterpartiet") bilden immer noch die größte Fraktion im Gemeinderat. Es gibt diese Stadt nur aus einem Grund: weil hier im 17. Jahrhundert eine Eisenhütte entstand, die mit der Industrialisierung Schwedens zur Fabrik wurde. Diese lebt, den vielen Stahlkrisen zum Trotz, bis heute als Walzwerk für Langprodukte fort. Nils Landgrens Vater, ein Schmied in eben dieser Fabrik, spielte Kornett in der dazugehörigen proletarischen Blaskapelle. Er bewunderte Bix Beiderbecke und scheint überhaupt ein Agent der Moderne in der schwedischen Provinz gewesen zu sein: Das junge Volk wollte Jitterbug tanzen, als Karl-Erik Landgren in den frühen Vierzigern das silberne Jackett anlegte und eine Combo ins Leben rief, mit der er den Swing in die Turnhallen der Region trug. Alle drei Söhne gingen durch die Schule dieses Kapellmeisters.
Von allen Varianten der Musik ist der Jazz, wie er seit den Fünfzigern gespielt wird, das eine Genre, das einer Elite von Instrumentalisten vorbehalten ist. Die klassische Musik öffnet sich den Dilettanten wie den Amateuren: Auch ein mittelmäßig begabter Klavierschüler soll, so heißt es, nach zwei Jahren Unterricht "Für Elise" spielen können. Zugänglicher noch sind Blues und Rock: Es gehören keine größeren Fertigkeiten dazu, "Smells Like Teen Spirit" auf der Gitarre zu spielen. Mit wie viel Einfühlung das geschieht, ist eine andere Frage.
Er singt auch. Dieser Mann scheint Musik zu machen, wie er atmet
Und im Jazz? Der Dixieland kennt noch den fröhlichen Amateur mit der jaulenden Klarinette. Anders ist es mit den Klassikern des Bebop oder, oft schlimmer noch, mit den Kompositionen des Jazzrock: An der Melodie von Charlie Parkers kleiner Komposition "Ornithology" (1946) können nicht nur Saxofonisten nach mehreren Jahren Schulung verzweifeln, um von komplizierteren Dingen wie den drei Tonarten, in denen John Coltranes "Giant Steps" (1959) steht, gar nicht anzufangen. Der avancierte Jazz ist eine Kunstmusik, die sich Dilettanten nur öffnet, wenn diese sich außerordentliche Mühe geben.
Nils Landgren ist ein Virtuose. Selbstverständlich kann er alles spielen, was es zu spielen gibt. Sein Ton ist meist weich und leise, und wenn er gelegentlich auch schmettert, so kennt er doch Wandlungen und Feinheiten, die man einem solchen Rohr kaum zugetraut hätte. Vermutlich wäre er in der Lage, "Giant Steps" zu spielen, während er seine Posaune auseinandernimmt und wieder zusammenbaut. Zugleich aber ist die Blaskapelle aus Degerfors in ihm lebendig geblieben, die Combo in ihren glänzenden Jacketts, mit der Karl-Erik Landgren im Sommer von Turnhalle zu Volkspark unterwegs war, und überhaupt das pädagogische Ethos des Vaters, der Generationen von kleinstädtischen Musikanten ausgebildet hatte.
"Versuch's doch einmal mit einem Des", sagt Nils Landgren dem Dilettanten, der sich zum zweiten Mal beim letzten Akkord eines Schlagers verspielt, und er sagt es so freundlich und aufmunternd, dass dann tatsächlich ein Des kommt, zum richtigen Zeitpunkt und mit der richtigen Intonation. Nils Landgren scheint Musik zu machen, wie er atmet. So lassen sich vielleicht die vielen Alben und Konzerte erklären, oder die Vielzahl der Ensembles, in denen er spielt. So erklärt sich aber auch das Vertrauen, das man zu ihm fasst, wenn man ein viel schlechterer Musiker ist.
In Deutschland wurde Nils Landgren in den Neunzigerjahren bekannt, als Kopf einer Gruppe, die Funk spielt, als wäre Maurice White nie verstummt oder als würde Marcus Miller noch immer die Melodien und Riffs für Miles Davis liefern. Zu jener Zeit war Nils Landgren nicht einmal dreißig Jahre alt und hatte doch schon eine lange und vor allem bunte Karriere durchlaufen: Aus Värmland, wo er an der Musikhochschule von Arvika, einer weiteren kleinen Industriestadt in den Wäldern, Posaune studiert hatte, war er nach Stockholm gezogen. Er hatte in der Band des Entertainers Björn Skifs "Hooked on a Feeling" ("Ooga Chaka, Ooga Ooga Chaka") gespielt, er war Bläser in der Big Band des amerikanischen, aber in Kopenhagen lebenden Trompeters Thad Jones geworden, für Abba sorgte er bei "Voulez-vous" für die blechernen Signale der Dringlichkeit, und er hatte eine Solokarriere als Popsänger mit Posaune (siehe oben) begonnen. Schmal war er damals und elegant, ein erotisches Ausrufezeichen mit einem tiefen, von unten kommenden Blick. Mit den nach hinten gestrichenen Haaren hätte er zu jener Zeit als jüngerer Bruder von Adam Ant durchgehen können.
Schmal ist Nils Landgren schon lange nicht mehr, der Schädel ist kahl geworden, und mit der Selbstdressur hat er offensichtlich nicht mehr viel im Sinn. Auf dem Sportplatz von Brantevik, einem Fischerdorf im Südosten Schwedens, nicht weit von seinem gegenwärtigen Wohnort gelegen, veranstaltete er über viele Jahre hinweg ein Festival, bei dem die Musiker auf der Ladefläche eines Anhängers standen. Dort spielte er eine andere Musik als beim Rheingaufestival oder beim Opernball in Wien. Der Mensch aber war erkennbar derselbe Posaunist und Sänger (sein Gesang ist seinem Posaunenton erstaunlich ähnlich, mit etwas mehr Sandpapier und etwas geringerem Register), der das Publikum liebt, der sich von seinen Zuhörern leiten, ja beeindrucken lässt und den das Publikum eben dieser Lebendigkeit wegen schätzt.
Vielleicht ist Nils Landgren gutmütig. Jedenfalls geht er lieber fort, als sich zu streiten. Wichtiger aber ist etwas anderes: zum einen eine offensichtliche Lust, seine Musik darzubieten, zum anderen eine Freude daran, seinen Zuhörern etwas zu schenken, von dem sie gar nicht wussten, dass sie es sich wünschten. Die Musik von Leonard Bernstein zum Beispiel, mit Gesangspartien, die er im Duett mit Janis Siegel vorträgt, einer der beiden Sängerinnen des Vokalquartetts Manhattan Transfer. Oder er spielt Weihnachtslieder auf eine Art, dass diese kleinen Werke schöner werden, wenn man sie nicht als süße, klingelnde Feier, sondern als womöglich vergebliche Verheißung behandelt, was ein gewisses Maß an Traurigkeit einschließt.
Jeder Ton sitzt. Woher haben die Schweden ihre traumwandlerisch wirkende Sicherheit?
Zu den Seltsamkeiten Schwedens gehört der Umstand, dass dieses Land mit seinen zehn Millionen Einwohnern so viele gute Musiker hervorbringt, in allen Genres, stets aber in einigem Abstand von der Avantgarde. Es sang Birgit Nilsson, und es singt Malin Byström. Es gab Abba und Roxette, es gibt Max Martin und Zara Larsson, und eines der schönsten Jazzalben, die je eingespielt wurden, ist eine Aufnahme, in der die Sängerin Monica Zetterlund mit dem Trio des amerikanischen Pianisten Bill Evans (1964) zu hören ist. Selten hört man aus Schweden etwas wirklich Neues, und doch kann man sich darauf verlassen, sich auf der Höhe der Zeit zu befinden: Vielleicht ist es so, dass man sich im Norden gern auf breiter Front in die Zukunft bewegt, während man das Irrlichtern den Italienern oder den Engländern überlässt. Zugleich ist da kein Zögern, jeder Ton sitzt, und Selbstzweifel sind unbekannt. Woher kommt diese traumwandlerisch wirkende Sicherheit? Vermutlich ist sie nicht ohne ein gewisses Maß an freundlicher Verschwendung zu haben, und nicht ohne eine Vorstellung von Individualität, die um ihre Verschiedenheit weiß, ohne sich deswegen abgrenzen zu müssen.
In diesen Tagen sitzt Nils Landgren in seinem Haus, einer ehemaligen Fischerkate an der Ostsee. Er übe, sagt er. Eine Tournee durch Deutschland, die Ende März hätte beginnen sollen, um durch ein gutes Dutzend großer Hallen zu führen, ist abgesagt. Indessen gibt es ein neues Album mit dem Titel "Kristallen", das Landgren mit dem Pianisten Jan Lundgren eingespielt hat. Darauf ist eine Version der "Värmlandsvisan" zu hören, des ersten schwedischen Volkslieds, das in den Jazz übertragen wurde, von Stan Getz, im Jahr 1951. Es gibt diese melancholische Melodie in unzähligen Fassungen, mit Chet Baker, John Coltrane und Miles Davis, von Quincy Jones und McCoy Tyner. Die Herren Landgren und Lundgren punktieren sie und legen einen rollenden Bass darunter. Das Stück klingt, als wäre es die Begleitung zum Gang eines Lebens, mit gelegentlichen Hüpfern.