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Musik - Weimar:Mit Küchentuch Abstand reduzieren: Orchester-Hilfe

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Weimar (dpa/th) - Bitte auf Abstand achten: Die Corona-Auflagen haben viele Orchester in Deutschland vor große Herausforderungen gestellt. Auch wenn inzwischen vielerorts Konzerte wieder erlaubt sind, lassen die Regeln kaum zu, dass in großer Besetzung nahe beieinander geprobt oder vor Publikum gespielt werden darf. In Weimar wird nun der Einsatz eines simplen Hilfsmittels vorgeschlagen, um zumindest die Abstandsregeln für Blechbläser reduzieren zu können.

"Wir drehen uns im Kreis", beklagt Nils Kretschmer. Als Orchesterdirektor der Staatskapelle Weimar ist er alles andere als glücklich mit der aktuellen Situation. Er setzt daher nicht wenig Hoffnung in die Filterlösung, die die Bauhaus-Universität auch mit dem Orchester in Weimar entwickelt hat. Mit den Filtertüchern solle die Verbreitung der beim Spielen von Blasinstrumenten ausgestoßener Atemluft verringert werden. Und mit ihnen idealerweise auch die Belastung durch die darin enthaltenen Aerosole - winzige ausgeatmete Partikel, die Träger des Corona-Virus sein könnten.

"Ob dadurch tatsächlich Partikel reduziert werden, können wir nicht sagen", sagt Lia Becher von der Professur für Bauphysik. Wohl aber lasse sich anhand sogenannter Schlierenspiegel eindeutig zeigen, dass sich der Luftstrom beim Spielen der Instrumente durch den Filtereinsatz begrenzen lasse.

Die in Weimar genutzten Filter sind aus herkömmlichem Zellstoff und werden mit Klebeband an den Schallbecher von Trompete, Posaune und Co. angebracht. "Wir haben Küchenpapier für die Prototypen genommen", sagt der Professor für Industriedesign Andreas Mühlenberend am Donnerstag im Foyer des Deutschen Nationaltheaters vor der "Welturaufführung" des gefilterten Bläserklangs. Weiterentwicklung der Prototypen sei gewünscht.

Die Musiker spielen für die Hörprobe den Marsch "Berliner Luft" und sind sich einig: Es klingt anders. "Man hört, dass es einen Unterschied gibt, aber man muss ja nicht bewerten, ob es schöner klingt", meint Trompetenspieler Rupprecht Drees. "Vielleicht klingt es weicher, stumpfer." Aber man könne ja noch mit dem Tuchmaterial experimentieren. Die Pläne für die Filter sind im Internet frei zugänglich. "Vielleicht hat jemand woanders die Idee, wie wir es besser machen können", sagt Drees.

"Mit Tuch ist es nicht optimal", sagt dagegen Hornspieler Stefan Ludwig. Sonst könne er mit der Hand in der Öffnung des Instruments Intonationsmängel ausgleichen. Mit dem Filter sei das nicht möglich. Auch die Trompetespielerin Runa Takada sieht Probleme, wenn etwa für Mahler-Stücke ein Dämpfer gebraucht wird. "Wenn man länger spielt, ist ein Widerstand zu fühlen, es wird ein bisschen anstrengender." Dennoch: Sie könne sich auch ein ganzes "gefiltertes" Konzert vorstellen. "Auch wenn es klanglich etwas verändert, ist das dann vielleicht die Kröte, die wir schlucken müssen, um mit großer Besetzung aufzutreten", sagt Orchesterdirektor Kretschmer.

Die Weimarer sind nicht die Ersten, die nach Lösungen für die Corona-Problematik der Orchester suchen. So wurde etwa auch bei den Bamberger Symphonikern mit Hilfe von Luftströmen untersucht, wie gefährlich Musizieren mit Blick auf das Coronavirus ist.

Seitens größerer Verbände herrscht bei solchen Projekten jedoch Zurückhaltung. "Die Deutsche Orchestervereinigung unterstützt alle Ansätze der Wissenschaft, die geeignet erscheinen, eine Rückkehr mit Vernunft und Augenmaß zu befördern", teilte etwa Christian Hübsch als stellvertretender Geschäftsführer der Vereinigung mit.

Der Verband bewerte jedoch nicht die wissenschaftliche Sinnhaftigkeit von Studien zur Aerosolverbreitung. "Unabhängig davon sind wir an den Ergebnissen solcher Studien sehr interessiert." Auch beim Bundesmusikverband klingt das ähnlich: Leider steht der wissenschaftliche Erkenntnisprozess bezüglich der exakten Verbreitung von Aerosolen beim gemeinsamen Musizieren noch ganz am Anfang, heißt es auf dessen Website.

In Weimar hofft Orchesterdirektor Kretschmer derweil, dass es bald möglich ist mit den Filtern in größere Besetzung aufzutreten, solange es keine anderen Lösungen gibt. Allerdings sind zuvor noch Entscheidungen von ganz anderer Seite nötig, wie Kretschmer erklärt. "Wir haben der Unfallkasse die Messergebnisse vorgelegt, jetzt müssen die ihre Regularien ändern, damit wir wieder mit weniger Abstand spielen können."

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