Nun geht das wieder los, dass altbekannte Schubladen geöffnet werden. Um Worte für eine Musik zu finden, die man so noch nie gehört hat, von der jetzt aber alle wissen möchten, was sie ausmacht. Plötzlich müssen auch alle Radio- und Musiksender unbedingt ein Interview führen mit der Band Kraftklub aus Chemnitz. Peinlich berührt sieht man die fünf Jungs da sitzen und versuchen, möglichst unverbrauchte Antworten zu geben auf die immer selben Fragen. Was soll man 22-Jährige auch fragen, die so unverblümt und unvermutet alles hinter sich lassen, was da seit Jahren auf deutschen Bühnen und in deutscher Sprache kreucht und fleucht?
Kraftklub, so viel ist jetzt schon sicher, waren der deutsche Überraschungserfolg des Jahres 2011. Neben den anderen erfolgreichen Newcomern, US-Sängerin Lana Del Ray auf dem internationalen Markt und dem Deutschen Tim Bendzko, der nur mal kurz die Welt retten wollte, ragt die Band wohltuend hervor, weil sie vor allem eines ist: kraftvoll.
Der Bandname ist also wohlgewählt, und in seiner Reminiszenz an die westdeutsche Band Kraftwerk und das ostdeutsche Kultgetränk "Club"-Cola auch selbst schon wieder kultverdächtig. Versteckte sich hinter dem Auftritt nur ein Bluff, wäre der Name an sich schon witzig. Doch was die fünf Bandmitglieder Ende vergangenen Jahres auf deutschen Bühnen ablieferten, war alles andere als ein müdes Abziehbild all dessen, was es in der Musik schon einmal gab, mit den immer selben Posen, Attitüden, Weltanschauungen und Klängen. Was Kraftklub ausmacht, ist auch nicht wirklich neu, aber es ist im besten Sinne: frisch.
"Wir machen Sex auf Deutsch", beschreibt Frontmann Felix Brummer nur scheinbar anmaßend das Party-Programm. Relativ klassische, schnelle, harte Rock- und Popmusik im Stil der achtziger Jahre, unterlegt mit deutschem Sprechgesang, ein bisschen Punk, eine Mischung aus Indie und Rap - mit diesem Mix hat es die Band gleich nach Erscheinen ihres Debütalbums mit dem schlichten Namen Mit K Ende Januar nun gleich von null auf Platz eins in die deutschen Charts geschafft.
Dabei war das, was sie letzendlich so bekannt gemacht hat, ihr kräftig mit dem Fuß aufstampfendes Lied Ich will nicht nach Berlin, eigentlich nur die Antwort auf die ersten Erfahrungen der jungen Band mit dem Musikbusiness.
Als Kraftklub nach der Veröffentlichung ihrer EP Adonis Maximus vor genau einem Jahr in Chemnitz beim Publikum sofort Erfolge feierte, im September den Radiopreis "New Music Award" gewann und bei Stefan Raab zu Gast war, wurden die größeren Plattenlabels auf sie aufmerksam - und führten Verhandlungen. Die Chemnitzer müssten nun schon nach Berlin ziehen, hieß es da. Das wollten sie aber nicht. Zu stylish, zu viel Hauptstadt-Hype, zu viele Wichtigtuer und Hipster für ihren Geschmack.
Was also tun? Kraftklub verpackten ihren trotzigen Rückzug in einen besonders kraftvollen Song - und starteten damit erst richtig durch. Der Song wurde auf sämtlichen Indie-Radio-Stationen zur Anti-Hipster-Hymne und überall rauf und runter gespielt. Weil er Berlin und den Rest der deutschen Welt genau zu dem Zeitpunkt erreichte, als Wowereits Hauptstadt-Slogan "arm aber sexy" anfing, zu nerven. Wer das schon verspürte, aber noch nicht so recht in Worte fassen konnte warum, für den wurde das Lied zur Hymne gutgelaunter Rebellion - und trotziger Ausdruck eines Selbstbewusstseins vermeintlich Benachteiligter: Kraftklub sind jung, sie stammen aus dem Osten der Republik, sie wären wohl so etwas Ähnliches wie arbeitslos - wenn sie nicht zufällig gerade Rockstars wären.