Musik und Technik:Wiedergeboren als 3D-Projektionen

Musik und Technik: Ausverkaufte Stadien, Millionen Freunde auf Facebook, das schafft kaum ein lebender Star: Hatsune Miku - hier ein Auftritt in Tokio - ist eine virtuelle 3D-Projektion.

Ausverkaufte Stadien, Millionen Freunde auf Facebook, das schafft kaum ein lebender Star: Hatsune Miku - hier ein Auftritt in Tokio - ist eine virtuelle 3D-Projektion.

(Foto: AFP Photo/HO/Future Media/SEGA/Marza Animation Planet)

Adieu, David Bowie. Adieu, Lemmy Kilmister. Viele Titanen des Pop traten jüngst ab. Aber vielleicht nicht für immer.

Von Jan Kedves

Tote Popstars sind lukrative Popstars, diese Regel gilt nicht erst seit Michael Jackson. Dieser nämlich hat laut Forbes in den sechs Geschäftsjahren seit seinem Tode im September 2009 rund eine Milliarde Dollar eingespielt und damit etwa so viel wie in seinen gesamten 50 Lebensjahren zuvor. Zum Erfolg trugen vor allem zwei Alben bei, "Michael" aus dem Jahr 2010 und "Xscape" von 2014. Sie wurden nach seinem Tod auf Grundlage hinterlassener Gesangsspuren produziert. Gewiss, anfangs schien das noch gespenstisch, aber bald schon gar nicht mehr so außergewöhnlich. Denn im Radio und auf dem digitalen Musikdienst Spotify singen häufiger tote Popstars: Elvis, Amy Winehouse - und neuerdings Lemmy Kilmister, Natalie Cole und David Bowie.

Viele Titanen des Pop sind in den vergangenen Monaten von uns gegangen, und nicht nur für die verzweifelten Anhänger stellt sich die Frage, ob sie sich nicht doch irgendwie am Leben erhalten lassen. Gerade kündigte die amerikanische R&B-Sängerin Faith Evans in einem Interview an, sie arbeite an einem neuen Album. Es soll Duette mit ihrem verstorbenen Mann enthalten, dem Rapper Biggie Smalls alias Notorious B.I.G. Er wurde 1997 in New York erschossen. Sie könne sich durchaus vorstellen, die Duette auch live auf die Bühne zu bringen, so Evans - zusammen mit einem "Hologramm" ihres toten Gatten.

Technisch kein Problem, aber ist das wirklich eine gute Idee?

Dass die Witwe eines Popstars live ein Duett mit einer virutellen 3D-Projektion des Verblichenen singt, wäre neu. Die Reanimation eines Rappers in dieser Form ist es nicht. Beim Coachella-Festival in den USA trat schon 2012 ein scheinbar frei im Raum schwebender Tupac Shakur auf. Der kultisch verehrte Rapper war 1996 in Las Vegas erschossen worden.

Die technische Umsetzung war damals das geringste Problem: Eine 2D-Projektion brach sich in einem winkligen Glas auf dem Bühnenboden und traf dann auf eine transparente Leinwand aus Polyesterfolie. Im Youtube-Video des Auftrittes ist im Hintergrund der reine Jubel zu hören, kein einziger Buh-Ruf. Ähnlich wurde Michael Jackson 2014 für einen Auftritt bei den Billboard Music Awards in Las Vegas noch einmal auf die Bühne geholt. Auch hier: Tolle Performance, keine Beschwerden.

Nur: Ist das wirklich so eine gute Idee? Oder anders: Darf man das? Schwer zu sagen. Zweifellos wären solche Projektionen - die häufig als "Hologramme" bezeichnet werden, auch wenn sie strenggenommen mit Holografie wenig zu tun haben, sondern auf der Illusionstechnik namens "Pepper's Ghost" basieren - oft nicht die schlechteste Möglichkeit, verstorbene Musiker auf die Bühne zu bringen, besser jedenfalls als ein schlechter lebendiger Ersatz. Michael Jackson oder David Bowie lassen sich nicht einfach von Abgängern einer Musicalschule darstellen, das sieht man in jeder Imitatoren-Show.

Warum schlecht gecastete Möchtegern-Musiker, wenn man lebensechte Projektionen haben kann?

Der Popsänger Adam Lambert war ein eher schlechter Ersatz für Freddie Mercury, als Queen noch einmal Konzerte gaben. Und Axl Rose von den Guns N'Roses wäre auch kein besonders guter Ersatz für Brian Johnson, den Sänger der Rock-Legenden AC/DC, wenn an den jüngsten Gerüchten überhaupt etwas dran ist. Johnson droht der komplette Hörverlust, wenn AC/DC die aktuelle Tour zu Ende bringen will, brauchen sie einen neuen Frontmann. Warum nicht eine virtuelle 3D-Projektion?

Dazu passt auch diese Nachricht: Die legendären Aufnahme-Sessions der Beatles mit ihrem Anfang März verstorbenen Produzenten George Martin werden nun nachgestellt, in der Show "The Sessions - A Live Re-Staging of The Beatles at Abbey Road Studios". 40 Sänger, Musiker und Schauspieler, aufwendige Bühnentechnik. Die Premiere war gerade in London, im April wird die Show nach Deutschland kommen. Wenn schon gigantische Bühnentechnik, warum nicht gleich Projektionen statt gecasteter Möchtegern-Beatles?

Im Popgeschäft mit den Untoten, so scheint es, werden oft aus Angst vor Geschmacklosigkeit noch viel größere Geschmacklosigkeiten in Kauf genommen. Vielleicht ist es ja eine nostalgische Ansicht, dass auf der Bühne unbedingt Menschen stehen müssen? Ein Blick nach Japan beweist, dass man sich an virtuelle Pop-Erscheinungen nicht nur gewöhnen, sondern sie sogar lieben kann. Dort wird seit einigen Jahren Hatsune Miku gefeiert, eine Popsängerin mit türkisfarbenen Haaren und schwarzen Stiefeln, die nie gelebt hat und nie gestorben ist. Hatsune Miku ist eine Mangafigur, rasant designt, für immer 16 Jahre. Sie hat 2,5 Millionen Fans auf Facebook und peitscht in ausverkauften Stadien als 3D-Projektion die Massen mit zuckrigem Bubblegum-Rave-Pop in Ekstase.

Transhumaner Pop

Sicher, bei Hatsune Miku ist radikale Künstlichkeit Programm. Bei den Beatles, bei AC/DC und bei Rappern wie 2Pac oder Notorious B.I.G. geht es um's Gegenteil: extreme Authentizität.

Aber ist das ein Argument gegen 3D-Projektionen? Um die Figuren aus dem Computer könnte ja ein neuer Kult des Authentischen entstehen. Man könnte zum Beispiel betonen, dass die Projektion ausschließlich Bewegungen ausführt, die der Star zu Lebzeiten in Musikvideos, Konzertmitschnitten oder Fernsehauftritten hinterlassen hat. Das wäre dann sozusagen die "echte", mimisch originalgetreue Variante.

Sie ließe sich gut abgrenzen von "falschen" Performances, in denen die projizierten Stars auch Bewegungen vollführen, die hinzugerechnet, ihnen also digital angedichtet wurden.

Am Ende ginge es, wie anderenorts ja auch sehr eifrig, um ein neues Menschenverständnis. Der französische Wirtschaftstheoretiker Jacques Attali hat in seinem Band "Noise" bereits 1977 beschrieben, wie sich seit dem Mittelalter gesellschaftliche Umbrüche besonders früh in der Musik und ihren Produktionsbedingungen angedeutet haben. Heute, so scheint es, ist Pop - neben dem 3D-Kino mit seinen Animationen - jene Sphäre, in der sich die Ansteckungsbereitschaft des Menschen durch technologisch erzeugte Kulturformate beobachten lässt.

"Im Jahr 2030 wird unsere Intelligenz größtenteils nicht-biologisch sein."

Natürlich ist diese groß. Der Reiz von Acid-House bestand schon in den Achtzigerjahren darin, dass Raver dem Bass-Zwitschern des Synthesizers Roland TB-303 humane Eigenschaften zuschrieben ("singend", "sägend"). Und als Natalie Cole 1991 dank digitaler Sampling-Technik mit ihrem toten Vater Nat King Cole im Duett sang ("Unforgettable"), fand man das eine Sekunde lang gruselig - und dann sehr berührend.

Vielleicht könnte man Ray Kurzweil, den Vordenker des Transhumanismus, zu Rate ziehen. Der wurde in den Achtzigern als Sound-Entwickler bekannt. Er baute ein Keyboard für Stevie Wonder, das täuschend echt den Klang eines Konzertflügels nachahmte. Heute ist Kurzweil "Director of Engineering" bei Google und prophezeit: "Im Jahr 2030 wird unsere Intelligenz größtenteils nicht-biologisch sein." Bald schon, so eine der vielen Verheißungen, könnte sich das menschliche Bewusstsein auf eine Festplatte hochladen lassen, wo es nach dem Tod weiterlebt.

Geht dem Transhumanismus also heute schon ein transhumaner Pop voraus, mit gesampelten toten Stimmen, Hologrammen der ohnehin Unsterblichen und allem Drum und Dran? Sieht so aus. Und sollte der Bewusstseins-Upload irgendwann funktionieren, ließen sich wohl auch die Gehirne von toten Popstars zum Weiterrechnen bringen. Dann könnte man endlich fragen, wie sie ihre eigenen postumen Auftritte eigentlich finden.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Fassung des Textes war von Hologrammen die Rede. Bei den beschriebenen Projektionen handelt es sich aber strenggenommen nicht um Holografie, sie basieren lediglich auf einer Illusionstechnik names "Pepper's Ghost". Dank einer Leserzuschrift haben wir die unkorrekte Bezeichnung berichtigen können.

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