Tote Popstars sind lukrative Popstars, diese Regel gilt nicht erst seit Michael Jackson. Dieser nämlich hat laut Forbes in den sechs Geschäftsjahren seit seinem Tode im September 2009 rund eine Milliarde Dollar eingespielt und damit etwa so viel wie in seinen gesamten 50 Lebensjahren zuvor. Zum Erfolg trugen vor allem zwei Alben bei, "Michael" aus dem Jahr 2010 und "Xscape" von 2014. Sie wurden nach seinem Tod auf Grundlage hinterlassener Gesangsspuren produziert. Gewiss, anfangs schien das noch gespenstisch, aber bald schon gar nicht mehr so außergewöhnlich. Denn im Radio und auf dem digitalen Musikdienst Spotify singen häufiger tote Popstars: Elvis, Amy Winehouse - und neuerdings Lemmy Kilmister, Natalie Cole und David Bowie.
Viele Titanen des Pop sind in den vergangenen Monaten von uns gegangen, und nicht nur für die verzweifelten Anhänger stellt sich die Frage, ob sie sich nicht doch irgendwie am Leben erhalten lassen. Gerade kündigte die amerikanische R&B-Sängerin Faith Evans in einem Interview an, sie arbeite an einem neuen Album. Es soll Duette mit ihrem verstorbenen Mann enthalten, dem Rapper Biggie Smalls alias Notorious B.I.G. Er wurde 1997 in New York erschossen. Sie könne sich durchaus vorstellen, die Duette auch live auf die Bühne zu bringen, so Evans - zusammen mit einem "Hologramm" ihres toten Gatten.
Technisch kein Problem, aber ist das wirklich eine gute Idee?
Dass die Witwe eines Popstars live ein Duett mit einer virutellen 3D-Projektion des Verblichenen singt, wäre neu. Die Reanimation eines Rappers in dieser Form ist es nicht. Beim Coachella-Festival in den USA trat schon 2012 ein scheinbar frei im Raum schwebender Tupac Shakur auf. Der kultisch verehrte Rapper war 1996 in Las Vegas erschossen worden.
Die technische Umsetzung war damals das geringste Problem: Eine 2D-Projektion brach sich in einem winkligen Glas auf dem Bühnenboden und traf dann auf eine transparente Leinwand aus Polyesterfolie. Im Youtube-Video des Auftrittes ist im Hintergrund der reine Jubel zu hören, kein einziger Buh-Ruf. Ähnlich wurde Michael Jackson 2014 für einen Auftritt bei den Billboard Music Awards in Las Vegas noch einmal auf die Bühne geholt. Auch hier: Tolle Performance, keine Beschwerden.
Nur: Ist das wirklich so eine gute Idee? Oder anders: Darf man das? Schwer zu sagen. Zweifellos wären solche Projektionen - die häufig als "Hologramme" bezeichnet werden, auch wenn sie strenggenommen mit Holografie wenig zu tun haben, sondern auf der Illusionstechnik namens "Pepper's Ghost" basieren - oft nicht die schlechteste Möglichkeit, verstorbene Musiker auf die Bühne zu bringen, besser jedenfalls als ein schlechter lebendiger Ersatz. Michael Jackson oder David Bowie lassen sich nicht einfach von Abgängern einer Musicalschule darstellen, das sieht man in jeder Imitatoren-Show.
Warum schlecht gecastete Möchtegern-Musiker, wenn man lebensechte Projektionen haben kann?
Der Popsänger Adam Lambert war ein eher schlechter Ersatz für Freddie Mercury, als Queen noch einmal Konzerte gaben. Und Axl Rose von den Guns N'Roses wäre auch kein besonders guter Ersatz für Brian Johnson, den Sänger der Rock-Legenden AC/DC, wenn an den jüngsten Gerüchten überhaupt etwas dran ist. Johnson droht der komplette Hörverlust, wenn AC/DC die aktuelle Tour zu Ende bringen will, brauchen sie einen neuen Frontmann. Warum nicht eine virtuelle 3D-Projektion?
Dazu passt auch diese Nachricht: Die legendären Aufnahme-Sessions der Beatles mit ihrem Anfang März verstorbenen Produzenten George Martin werden nun nachgestellt, in der Show "The Sessions - A Live Re-Staging of The Beatles at Abbey Road Studios". 40 Sänger, Musiker und Schauspieler, aufwendige Bühnentechnik. Die Premiere war gerade in London, im April wird die Show nach Deutschland kommen. Wenn schon gigantische Bühnentechnik, warum nicht gleich Projektionen statt gecasteter Möchtegern-Beatles?
Im Popgeschäft mit den Untoten, so scheint es, werden oft aus Angst vor Geschmacklosigkeit noch viel größere Geschmacklosigkeiten in Kauf genommen. Vielleicht ist es ja eine nostalgische Ansicht, dass auf der Bühne unbedingt Menschen stehen müssen? Ein Blick nach Japan beweist, dass man sich an virtuelle Pop-Erscheinungen nicht nur gewöhnen, sondern sie sogar lieben kann. Dort wird seit einigen Jahren Hatsune Miku gefeiert, eine Popsängerin mit türkisfarbenen Haaren und schwarzen Stiefeln, die nie gelebt hat und nie gestorben ist. Hatsune Miku ist eine Mangafigur, rasant designt, für immer 16 Jahre. Sie hat 2,5 Millionen Fans auf Facebook und peitscht in ausverkauften Stadien als 3D-Projektion die Massen mit zuckrigem Bubblegum-Rave-Pop in Ekstase.