Süddeutsche Zeitung

Musik und Lyrik:Trangefeichte Lulle

Die "literarischen Klabautereien" des Münchner Komponisten Wilhelm Killmayer

Von MICHAEL STALLKNECHT

Mehr als 200 Lieder hat der Münchner Wilhelm Killmayer geschrieben - und damit viel dazu beigetragen, der vertonten Lyrik wieder einen Stellenwert in der zeitgenössischen Klassik zu verschaffen. Doch der 2017 verstorbene Komponist griff auch selbst immer mal wieder zur Feder, um sich umgekehrt als Lyriker zu erproben. Seine "literarischen Klabautereien" nannte er die Gelegenheitsgedichte, die er manchmal auch öffentlich vortrug und irgendwann einmal zu einem Band zusammenstellen wollte.

Das hat ihm nun posthum die Bayerische Akademie der Schönen Künste im Rahmen ihrer Kleinen Bibliothek abgenommen, für die Michael Krüger, Akademiepräsident und selbst Lyriker, gemeinsam mit Killmayers Witwe Martina eine Auswahl getroffen hat. Zu Killmayers Lieblingsformen gehörten Limericks, die er oft gleich in ganzen Serien Musikern und ihren Instrumenten, aber auch den merkwürdigen Inhalten und Bühnenpannen von Opernklassikern widmete. Im charakteristischen fünfzeiligen Reimschema spießte er Eitelkeiten und Marotten auf wie die des Flötisten, der auf das Putzen seines Flötenputzers mit Pril schwört, oder des Wiener Philharmonikers, der seinen Johann Strauß "ausschließlich zuhaus" spielt. Ältere Komponistenkollegen wie Brahms oder Dvořák bekommen dabei ebenso ihr Fett weg wie die Neue-Musik-Szene oder die Lieblingsfloskeln von Feuilletonisten. "'s war ein Dirigent, der dirigierte nur nackt,/ ein jegliches Werk im Fünfachtel-Takt;/ 's war ziemlich vertrackt/ und nicht immer exakt,/ die Kritik jedoch fand die Werke 'entschlackt'."

So subtil der Komponist Killmayer in seinen Liedern den Rhythmus der Sprache ablauschte, so sehr sind seine Gedichte vom Klang und Rhythmus der Wörter geprägt. Dadaistisch überschlagen sie sich wie in der "Etablissements-Ballade" "Heiße Nacht bei Brabinski", deren anscheinend wilde Ereignisse ganz der Imagination des Hörers überlassen bleiben: "Flotzeturkel! wie da schnackt / Abul Seban flutzenackt / und der trangefeichte Lulle / sabbert pfiffend in der Trulle / wo beratzt mit Siepenknattel / man benetzt des Tolen Flattel." In der Tradition der Lautgedichte eines Kurt Schwitters oder der Lautkompositionen eines Dieter Schnebel schafft sich die Sprache hier selbst die Form, ohne für die zweifelhaften höheren Zwecke eines Inhalts herhalten zu müssen. Manchmal wird dieses Missverhältnis selbst zum Thema wie in der "Rede des Jost Rächlin", die man sich am besten in Killmayers eigener Lesung auf der beiliegenden DVD anhört: Mit enormem Furor mandelt sich da jemand über einen Anlass auf, dessen Nichtigkeit der unbekannt bleibende Inhalt signalisiert. Solchen Selbstüberhöhungsposen setzte Killmayer einen "elaborierten Infantilismus" entgegen, wie es der Pianist und Killmayer-Freund Siegfried Mauser im Nachwort nennt, eine Lust an Reim und Wortspiel, die einem kindlichen Spieltrieb folgen darf. Eine Reihe von Kindergedichten findet sich denn auch ebenso in dem Band wie Tiergedichte in der Tradition Christian Morgensterns. Für ihn als ganzes gilt, was Killmayer in zwei dort enthaltene Zeilen bannte: "Sein Wesen erschöpft sich im Unbedeutenden -/ so entsteht Charme."

Wilhelm Killmayer: Der alte Mann mit dem Cello / sagt statt "hallo" / jetzt immer nur "hello", gesammelte Gedichte über Musik und das ganze Leben. Hrsg. Michael Krüger. Wallstein Verlag, Göttingen 2018, 132 Seiten, 20 Euro

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SZ vom 19.01.2019
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