Musik: TV On The Radio:Die hippste Hipster-Band der Welt

Schöner schlendern: Auf der Flucht vor der Begeisterung über eine Band, die alles kann, haben sich "TV On The Radio" für ihr neues Album in ein akustisches Entspannungsbad gelegt.

Marc Deckert

Die amerikanische Band TV On The Radio ist umgeben von einer Aura zwingender Aktualität. "Gegenwart des Rock", "Zukunft des Rock", "modernste Band überhaupt" - wer dem allgemeinen Jubel zuhört, muss den Eindruck gewinnen, das Quintett aus New York berste vor Relevanz.

Musik: TV On The Radio: Die Vorzüge von TV On the Radio fallen gleich ins Auge: Fünf ganz unterschiedliche, aber irgendwie interessante Typen. Dazu kommt die Besetzung, in der jeder alles kann.

Die Vorzüge von TV On the Radio fallen gleich ins Auge: Fünf ganz unterschiedliche, aber irgendwie interessante Typen. Dazu kommt die Besetzung, in der jeder alles kann.

(Foto: Michael Lavine)

Zugegeben, ihre Musik, eine Art hyperaktiver Soul mit Anleihen beim Art-Rock und bei der elektronischen Musik, klingt wirklich unverhohlen modern. Aber eine genaue Betrachtung der Band müsste nicht nur die Musik und ihre Wirkung auf die Fans einbeziehen, sondern vor allem die Wirkung auf jenes immer gern beeindruckte Wesen, das man Pop-Kritiker nennt.

Die Vorzüge von TV On the Radio fallen ja auch gleich ins Auge. Fünf ganz unterschiedliche, aber irgendwie interessante Typen, vier schwarz einer weiß, aus dem New Yorker Hipster-Viertel Williamsburg (inzwischen wurde das Hauptquartier allerdings nach Los Angeles verlagert). Dazu kommt die Besetzung, in der jeder alles kann.

TV On The Radio funktionieren als schweißtreibende Rockband mit Gitarre und Schlagzeug, sie könnten aber ebenso gut reinen Elektropop produzieren oder Filme machen, was sie in ihrer Freizeit auch tun. Und dann haben sie auch noch die richtigen Freunde: David Bowie ist als Backgroundsänger im Spiel. Und eindrucksvolle Nebenprojekte: Bandmitglied David Sitek produzierte so unterschiedliche Künstler wie die ewig auf dem Absprung befindlichen Yeah Yeah Yeahs, aber auch das Debütalbum des Hollywood-Stars Scarlett Johansson.

Rechnet man all dies zusammen, ist das symbolische Kapital schon so groß, dass am Ende kaum noch Musik gemacht werden muss.

In die Begeisterung mischen sich aber auch Stimmen, die behaupten, TV On The Radio seien eine viel zu kalkulierte Sensation. Ihre Musik habe zwar Sex, aber nur die Band eile von Höhepunkt zu Höhepunkt. Der Hörer spüre nichts. Und wirkt die ganze Band nicht im Grunde wie eine Erfindung von Musikjournalisten oder David Bowie? Sollte sich der ebenso schlaksige Sänger Tunde Adebimpe eines Tages auf der Bühne die Maske vom Kopf reißen und der Thin White Duke zum Vorschein kommen - es würde kaum jemanden wundern.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, was erfreulich ist.

Entspann dich - es ist nur ein Album

Was zunächst erfreulich ist: Die Band macht allen Gerüchten zum Trotz wirklich Musik, sogar im hörbaren Frequenzspektrum. Ihr neues Album "Nine Types of Light" (Interscope/Universal) ist nicht nur zum Download erhältlich, über iTunes oder Kanäle der Gedankenübertragung, die noch zu neu sind, um hier beschrieben zu werden. Nein, wir haben es gerade jetzt als CD mit Plastikhülle und Booklet neben uns liegen. Und was darauf zu hören ist, ist erstaunlich: Die ersten Takte beginnen in einer unglaublichen Ruhe. Ein weicher Keyboardton, der an ein Akkordeon erinnert, scheint zu sagen: Entspann dich. Es ist nur ein Album.

Tunde Adebimpe singt mit sonorer Stimme: "Confidence and ignorance approved me / Define my day today / I've tried so hard to shut it down like an oath / Gently walk away". Und genau so gemächlich, mit einem Breakbeat, beginnt der Track dann wirklich wegzulaufen.

TV On The Radio waren schon immer sehr gut darin, intellektuelle Musik körperlich klingen zu lassen und umgekehrt. Auf diesem Album haben sie die intellektuellen Ambitionen zugunsten des Soul zurückgefahren, und das ist wunderbar. Sie verwechseln Hektik nicht mehr mit Spannung. Die Lieder haben bis auf wenige Ausnahmen mittlere oder langsame Tempi, sogar die Single "Will Do", ein klassisches Liebeslied, in dem ganz simpel ein attraktives Wesen angefleht wird, es doch bitte nochmal mit dem Sänger zu versuchen.

Tiefe Frequenzen dominieren, Beats und Bass, und hinter den tiefen Frequenzen liegen noch tiefere, ein dunkles Widerhallen, als wäre das ganze Album nicht in einem Studio mit schallgedämpften Wänden, sondern in einer gemütlich eingerichteten Grotte entstanden. Das führt zu einer Art Verbindlichkeit, die neu ist.

Soundforscher sind TV on The Radio dabei geblieben: Kleine Entfremdungseffekte sorgen für Spannung, etwa wenn die sehr real klingenden Saxofone im "Second Song" am Ende des Stücks ein klein bisschen zu lang den Ton halten, so dass man ihre Künstlichkeit bemerken muss.

Aber was beeindruckt, ist doch die neue Ruhe und der Frieden, die sich die Band hier herausnimmt. In "Killer Crane", einem der Höhepunkte des Albums arbeitet sie mit orchestralen, lang verweilenden Akkorden, ein synthetischer Klang genau zwischen Orgel und Streichern, wie ihn alte Keyboards mit schönen Namen produzieren. Jede Milisekunde dieses Albums ist auskomponiert und ausproduziert, so wie es bei einer großen Rockplatte vielleicht auch sein sollte. Jeder Effekt, auch die Historizität bestimmter Klänge, ist genau kalkuliert.

Einzige Ausnahme dürfte die Stimme des Sängers Tunde Adebimpe sein, die immer noch eine verblüffende Ähnlichkeit mit der des Art-Rock-Veteranen Peter Gabriel aufweist.

So klingt diese Platte, als hätten sich TV On The Radio auf der Flucht vor all der Begeisterung in ein akustisches Entspannungsbad gelegt. Ihre Avantgarde-Glaubwürdigkeit bleibt gesichert, aber sie tun nichts mehr, um diesen Status auszubauen. Sympathisch wirkt vor allem ihr Festhalten am Format des Rock-Albums. Denn mit zehn Songs, von denen sich am Ende keiner als Füllmaterial erweist, ist "Nine Types Of Light" ein nahezu idealtypisches Album.

Sich die Platte herunterzuladen, egal ob legal oder illegal, wäre ein Vertragsbruch. Sie im anachronistischen CD-Format mit zerkratzter Plastikhülle in der Hand zu halten, erscheint als das Logischste, was man sich nur denken kann.

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