Süddeutsche Zeitung

Musik:Die Rolling Stones klingen jetzt nach Blues aus Chicago

Mit "Just Your Fool" covern die Stones einen Blues-Song - für eine sehr, sehr alte Rockband eine würdevolle Entscheidung. Aber es gibt einen Haken.

Von Jens-Christian Rabe

Wie sich einst Ende 1961 Mick Jagger und Keith Richards auf dem Bahnsteig des Londoner Vororts Dartford anfreundeten, ist eine der Urszenen des Pop. Sie wurde in Biografien und Memoiren so oft beschrieben, dass es sogar schon Texte über die verschiedenen Versionen gibt. Es besteht etwa keine Einigkeit darüber, was die beiden anhatten, und welche Platten von Muddy Waters und Chuck Berry Mick Jagger genau unter dem Arm hatte, ist auch nicht völlig unstrittig. In Keith Richards vor sechs Jahren erschienener grandioser Autobiografie "Life" und in der 2012 veröffentlichten Jagger-Biografie von Philip Norman waren es Chuck Berrys Album "Rockin' at the Hops" und eine Best-of-Platte von Muddy Waters. Lassen wir es dabei.

Wichtiger ist, dass es auf jeden Fall Alben von Chess Records und also elektrischer Chicago Blues waren, die Jagger und Richards zusammenbrachten. Denn was die Rolling Stones nun auf ihrer am Donnerstagnachmittag weltweit gleichzeitig veröffentlichten ersten Single "Just Your Fool" des für den 2. Dezember angekündigten neuen Albums "Blue & Lonesome" spielen, ist exakt das: guter alter elektrischer Chicago Blues mit viel Blues-Mundharmonika von Jagger himself.

Und was soll man sagen? Nun, es ist kein Geheimnis, dass die Stones ihre Wurzeln genau kennen. Keith Richards kann detaillierte Vorträge halten über die musikalischen Besonderheiten seiner Helden, und Jagger spielt sehr gut Blues-Harp. Alles ist wirklich fein gemacht. Der Produzent und alte Stones-Kumpel Don Was soll das gesamte neue Album, das wohl vollständig aus Cover-Versionen von Chicago-Blues-Songs besteht, mit der Band innerhalb von drei Tagen im Grunde live aufgenommen haben, just like they did it in the good ol' days - wie in den alten Tagen.

"Ich möchte einfach nur Muddy Waters sein"

Und so klingt auch "Just Your Fool", einst ein langsam-schunkeliger Rhythm-and-Blues-Song von Buddy Johnson aus den frühen Fünfzigern, den der Sänger und Blues-Harp-König Little Walter etwas roher interpretierte und beschleunigte. Er spielte seine Mundharmonika absichtlich verzerrt über einen Gitarrenverstärker, und machte den Song 1960 so zu einem Klassiker des Chicago Blues.

Die Stones spielen den Song nun im Grunde schlicht und gekonnt Little Walter nach und rumpeln sich so wieder zurück in die Tradition, aus der sie stammen. Für eine sehr, sehr alte Rockband ist das eine würdevolle Entscheidung. Als Hörer ist man allerdings etwas ratlos, weil Little Walters Version doch einfach besser ist. Wobei die Band die Sache vermutlich ohnehin als Ehrerbietung verstanden wissen will, die sie zweifellos ist.

Wie sagte Keith Richards einmal? "Ich möchte einfach nur Muddy Waters sein. Auch wenn ich nie so gut und so schwarz sein werde."

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Quelle:
SZ vom 07.10.2016
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