Süddeutsche Zeitung

Musik:Sie könnte nicht verwundbarer sein

Yasmine Hamdan steht auf der Suche nach Heimat zwischen arabischer und westlicher Welt. Auch auf ihrem neuen Album "Al Jamilat".

Von Sonja Zekri

Die Gewalt ist Yasmine Hamdan ein Leben lang gefolgt, und bevor jetzt das tränenreiche Barmen losgeht, muss man sagen: Da hatte die Gewalt einiges zu tun. Libanon in den Siebzigern, der Bürgerkrieg zerriss das Land, Beirut war eine geteilte Stadt, und die kleine Yasmine durfte keinen Schritt auf die Straße tun: "Meine ersten Erinnerungen spielen sich in einem Zimmer ab." Die Gewalt war ihr Nachbar.

Als eine Bombe ihr Haus trifft, flieht die Familie, durchstreift fast so viele Länder wie Alexander der Große, Griechenland, die Emirate, zuletzt Kuwait. Dann bricht Saddam Hussein den Golfkrieg vom Zaun. Die Gewalt hat sie wieder eingeholt.

Aber wie kam sie nach Frankreich? Seit zwölf Jahren lebt Yasmine Hamdan in Paris. Sie hat neben ihrem libanesischen einen französischen Pass, wurde mit dem Chevalier des Arts et des Lettres ausgezeichnet, dem Orden der Künste und der Literatur. Libanesen, sagt sie, wurden in Frankreich lange als "Araber erster Klasse" behandelt, wegen der vielen Christen, des Glamours, der gemeinsamen Geschichte. Vorbei.

"Die Welt ist total im Eimer"

Für den rechtsextremen Front National sind Araber Terroristen, für viele Franzosen nicht integrierbarer Sozialballast. Es herrscht ein Klima des Verdachts, und Yasmine Hamdan als Araberin, Musikerin, Frau könnte nicht exponierter, nicht verwundbarer sein. Sie gehöre zu einer Kriegsgeneration, sagt sie: "Ich entkomme der Gewalt nicht, ich kenne nichts anderes." Heimat? Allein die Frage schmerzt. Ihr Freund ist ein palästinensischer Filmemacher, er kennt das. "Wir ziehen zwar nicht um, aber wir lassen uns auch nicht nieder", sagt sie: "Die Welt ist total im Eimer. Aber deshalb darf man die Hoffnung nicht verlieren." Und wie sie da in freundlichen Worten ihr gehetztes, entwurzeltes Leben vorbeiziehen lässt, eine schmale, gerade ziemlich erkältete Person, da wirkt das stille, ordentliche Berliner Hotelzimmer, in dem sie sitzt, noch ein bisschen stiller und ordentlicher.

Man hört diese ätherische, fast elfenhafte Melancholie, wenn sie singt. Als sie in Jim Jarmuschs Vampir-Elegie "Only Lovers Left Alive" in einer Bar in Tanger die untote Tilda Swinton bezauberte, hörte man sie, auf ihrem ersten Album "Ya Nass" - und jetzt wieder auf ihrem neuen Werk "Al Jamilat" (Crammed Discs). Aber da ist noch etwas anderes, vor allem in den Texten, eine Härte, die nie aggressiv ist, die Kompromisslosigkeit einer Überlebenden, die gar nicht daran denkt - und nie daran dachte - aufzugeben.

Dieses Neben- oder eher Übereinander von schwerelosen Melodien und dem Tod in ihren Texten ist das Geheimnis von Yasmine Hamdan, und es zeigt sich in den ersten Takten des ersten Songs "Douss". Ein paar Momente lang verliert man sich in einem unbeschwerten, fast kinderliedhaften Gitarrenlauf, aber dann setzen Worte ein von Krieg und bitterem Zwist, Schande, Sorgen und Betrug. Der Refrain "Der Frühling für die Araber ist da", klingt wie ein gebrochenes Versprechen.

Spätestens an dieser Stelle sollte man nicht länger drum herumreden: Yasmine Hamdan singt auf Arabisch. Das hat das europäische Publikum nie gestört, außerdem gehört zum Album eine Übersetzung. Für das arabische Publikum aber bekommt jeder Song einen eigenen Charakter, eine eigene Welt. Denn Yasmine Hamdan beherrscht nicht nur fünf Sprachen, sondern auch die meisten arabischen Dialekte, und sie stattet ihre Songs damit aus wie mit einem außergewöhnlichen Arrangement.

Sie verehrt die Sprache der Beduinen, dieses erotische Andeuten, die würdevolle Schüchternheit. Sie liebt den kuwaitischen Dialekt, "sehr groovy". Libanesisch, die Sprache der meisten Songs auf dem Album? "Etwas schwerer, mehr Pose." Ägyptisch? "Ganz großes Drama, wie in den ägyptischen Kinofilmen der Sechziger." Der Song "Qassi" ist so eine Geschichte, die Klage einer Frau, die sich nicht angemessen geliebt fühlt, viel Geige, ein dräuender Trommelwirbel, dann setzt der Rhythmus ein und etwas wie ein Sturm geht nieder. Ein Mini-Melodram mit jähem Ende. Überhaupt erzählt sie auf "Al-Jamilat" sehr viele Geschichten von Frauen, innere Monologe von widersprüchlichen Frauen, die das eine sagen, aber etwas anderes meinen, die stark sind, aber sich schwach geben.

Der Titelsong "Die schönen Frauen" geht zurück auf die Verse des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwisch und ist ein Fest schöner Frauen, seien sie groß oder klein, alt oder jung, arm oder reich, sie alle sind "Nachbarinnen des Regenbogens", "Rosen auf dem Schlachtfeld", "Palmen im Himmel". Es ist einer der wenigen Songs auf Hocharabisch, der Koran-Sprache, der göttlichen Vollendung des Arabischen. Hamdan hat einen wunderbar wiegenden Rhythmus dazu gefunden, der die Worte in die Ewigkeit trägt wie sein Schritt das Kamel durch die Wüste. Zum Trost: Nicht alle Araber verstehen ihre Anspielungen. Fast alle beherrschen mehr als den eigenen Dialekt, aber kaum einer alle, und obwohl in den Schulen Hocharabisch gelehrt wird, ist die Behauptung einer sprachlichen Einheit eine ideologisch genährte Illusion. Die Gemeinschaft der Araber, der Muslime, der "Umma", oft behauptet, ist heute ferner denn je. Und so hat die Musik von Yasmine Hamdan einen tröstlichen Nebeneffekt: Sie feiert den Reichtum der unterschiedlichen arabischen Kulturen ohne einen Hauch nationaler Engstirnigkeit.

"Wir waren wie Aliens"

Yasmine Hamdan lässt sich von Nina Simone und Portishead inspirieren, sang eine Zeit lang männliche Liebeslieder mit einer tiefen, männlichen Stimme wie Marlene Dietrich, aber ihre Verehrung gehört den arabischen Klassikern, Männern wie dem ägyptischen Komponisten Mohammed Abdel-Wahab, der Hymnen schrieb, Orden bekam und schließlich ein Staatsbegräbnis. Nach dem Ende des Bürgerkriegs kehrte sie nach Beirut zurück, streifte durch Plattenläden auf der Suche nach den musikalischen Wurzeln der Region.

Sie gründete die erste Independent-Band des Nahen Ostens, Soap Kills, eine längst legendäre Formation, deren Name darauf anspielt, wie entschlossen sich die Libanesen dem Wiederaufbau, dem Vergessen, dem schönen Schein verschrieben. "Das Land war auf eine Band wie unsere überhaupt nicht vorbereitet. Es gab keine Clubs, keine Bühnen, es war dreckig, aufregend, sehr Rock 'n' Roll", sagt sie heute: "Wir waren wie Aliens." Und das größte Alien von allen war sie, Yasmine Hamdan, eine Frau, die sich nicht benahm "wie eine Jungfrau", die klassische Lieder sang, obwohl sie nicht klassisch ausgebildet war. Der Druck war groß, interessanterweise nicht von politisch konservativer Seite - die Hisbollah erhob gerade erst ihr Haupt -, sondern von den Frauen in ihrer eigenen Familie.

Das war ziemlich vernagelt, aber immer noch weniger borniert als die französische Musikszene. Die wurde durch die Ankunft Yasmine Hamdans nämlich in schwere Ratlosigkeit gestürzt. "Sie haben zu mir gesagt: Sie machen keine Weltmusik, aber Sie singen auch nicht Englisch oder Französisch? Wer sind Sie?", erinnert sie sich, und findet diese Vorstellung davon, "was ein Araber zu singen hat", noch genauso unmöglich wie damals: "Ich spreche so gut Französisch wie sie. Aber für sie war ich nur eine Exotin." Es war ein Denken, das damals lästig war, sich später radikalisierte und inzwischen triumphiert.

Ihre Band Soap Kills gibt es nicht mehr. Im Nahen Osten entstanden andere Indie-Bands wie die libanesische Gruppe Mashrou Leila oder die ägyptische Band Kairokee. Yasmine Hamdan arbeitet immer noch in Paris, als Solomusikerin. Gefühlter Wohnsitz: zwischen den Welten.

Konzerte von Yasmine Hamdan: am 4. Mai in Berlin, 5. Mai Hamburg, 7. Mai Leipzig, 9. Mai Köln, 10. Mai Frankfurt, 11. Mai München.

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SZ vom 18.03.2017/smb
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