Süddeutsche Zeitung

Musik:Sand für eine neue Stadt

Lesezeit: 3 min

Dem Alien-Disko-Festival in den Kammerspielen liefert die Band Palais Schaumburg eine Art Hymne

Von Jürgen Moises

Er habe davon geträumt, dass er Leuten Geld gegeben hat, weil sie so gut singen. Und er habe sich total gut dabei gefühlt. Das erzählte Holger Hiller beim Konzert von Palais Schaumburg in der Kammer 1 der Münchner Kammerspiele. Und wer seinen Gesang kennt, der wird den Humor in dieser Traum-Anekdote verstehen. Denn was Hiller für gewöhnlich so betreibt, ist eher ein lautes Sprechen oder quengeliges Deklamieren als ein Singen. Das war Anfang der Achtziger schon so, als Palais Schaumburg in ihrem Neuen-Deutsche-Welle-Sound Funk, Postpunk, Elektronik, Dadaismus und Dilettantismus mischten. Im Jahr 2011 hat sich die 1984 aufgelöste Truppe reformiert, und sie war nun in Originalbesetzung als einer der Haupt-Acts beim zweitägigen Alien-Disko-Festival in den Kammerspielen zu erleben.

Mit "Wir bauen eine neue Stadt" lieferten Palais Schaumburg dabei auch so etwas wie die Hymne für die dritte Ausgabe des Festivals ab, das auch in diesem Jahr wieder von der Münchner Indierock-Band The Notwist kuratiert wurde. Die zugehörigen Zeilen wie "Gibst du mir Steine, geb ich dir Sand" konnte man nämlich auch in der Fassung der Landlergschwister bei der "Gutfeeling-Disko" hören. Das heißt, bei der dreistündigen Jamsession, mit welcher der erste Festivaltag im Blauen Haus ausklang. Sie ertönten außerdem bei der "Alien Parade", die am Samstagabend in Form einer Marching Band mit viel Gerassel und Geblase vom Odeonsplatz aus zu den Kammerspielen zog. Und so konnte man den Ruf nach einer neuen Stadt auch auf der Maximilianstraße hören.

Zu dieser Marching Band gehörten neben Münchner Musikern von der Hochzeitskapelle und den Landlergschwistern auch zahlreiche Japaner - war Japan doch in diesem Jahr der musikalische Schwerpunkt des Festivals. Eingeladen wurden die japanischen Musiker von den Tenniscoats, die in diesem Jahr als Co-Kuratoren fungierten. Die Tenniscoats, das sind Saya und Takashi Ueno, ein wunderbar sympathisches Folkpop-Duo aus Tokyo, mit dem Markus Acher von The Notwist eng befreundet ist und die auch bei der vorherigen Alien Disko schon live zu erleben waren. Mit ihren verspielten Songs, dem breiten Lächeln von Sängerin Saya Ueno und ihrem Talent, ihre Konzerte durch das Einladen von Gästen und Mitmach-Aktionen in eine Mischung aus Kirmes und Kindergeburtstag zu verwandeln, hatten sie sich damals schon neue Freunde erspielt.

Diesmal standen sie mit einer japanischen Brassband auf der Bühne, die Münchner Hochzeitskapelle schaute auch kurz vorbei, und am Rand saß der japanische Klangkünstler Umeda Tetsuya mit einer klackernden Apparatur, die ab und zu Tischtennisbälle herausschoss. Am Tag zuvor hatte man Tetsuya in der Kammer 3 dabei erleben können, wie er mit einer Leiter und Eisbrocken Töne erzeugte. Parallel dazu saß in Kammer 2 der Jazz- und Improvisationsmusiker Otomo Yoshihide, der auch schon mit Merzbow oder John Zorn gearbeitet hat, mit schwarzem Hut an der Gitarre. Dieser entlockte er ab und zu ein paar ruhige, bluesige Akkorde, aber vorwiegend harte, kreischende Riffs, mit denen er so einige Zuschauer aus dem Saal trieb.

Auch der Auftritt von Eddie Marcon begann leicht sperrig, das heißt mit einer freejazzigen Improvisationseinlage, wie sie die japanische Psychedelic-Pop-Band gerne in ihre Songs einbaut. Zusammen mit den Tenniscoats, Markus Acher und der Sängerin Nami von der Münchner Band Coconami als Gästen spielten sie dann aber sehr ruhige, verträumte, fast verhuschte Balladen und punkteten ebenfalls mit einer großen Portion Sympathie. Und man darf annehmen, dass die japanische Indie-Szene dank ihnen, dank Tenniscoats und Alien Disko nun einige Fans mehr in München hat.

Aber das gilt sicher auch für andere Bands und Musiker. Etwa für den französischen Multiinstrumentalisten und Klangbastler Pierre Bastien, der mit Trompete, Horn und einem selbst gebauten Klangapparat auftrat. Oder das US-Duo Oshun, das mit einer eleganten Mischung aus Soul und Hip-Hop überzeugte. Sehr schön auch die dunklen Elektropop-Songs von Tirzah oder der Auftritt des Jazz-Trompeters Ben Lamar Gay, der mit seiner Truppe Songs spielte, die irgendwo zwischen Jazz, Soul und Afropop ihre ganz eigene Note entfalten. The Notwist selbst überraschten bei ihrem Auftritt damit, dass sie fast nur Songs von ihrem Nebenprojekt 13 & God spielten, und traten sonst mit verschiedensten Musikern bei den Jamsessions im Blauen Haus auf. Sollte das kunterbunte, sämtliche Genre- und Kultur-Grenzen sprengende Treiben bei diesen Sessions oder dem Festival allgemein die Blaupause oder der "Sand" für die erhoffte "neue Stadt" sein, so darf man sich diese jedenfalls als einen wunderbaren Ort vorstellen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4255130
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.12.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.