Musik-Sammlung:Das Zauberreich des Fabeltiers

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Er liebte die Frauen, die Zigaretten, den Wein. Und doch war der Pianist Arthur Rubinstein der größte Magier am Klavier. Eine 142-CD-Edition dokumentiert sämtliche Alben des Ausnahme-Künstlers.

Reinhard Brembeck

Eleganter Vulkan. Um 1920 herum schrieben drei Komponisten Solostücke für den damals schon berühmten Pianisten Arthur Rubinstein: Igor Strawinsky arrangierte für ihn drei Sätze aus seinem Ballett "Petruschka", Manuel de Falla schrieb die "Fantasía bética" und Heitor Villa-Lobos "Rudepoema". Gemeinsam sind allen drei Stücken der Wahnwitz, der Furor, die tobende Lebenslust.

Rubinstein Rubinstein CD-Box (Foto: RCA Verlag)

Sie können als musikalische Porträts Rubinsteins gelten. Der so geehrte Pianist spielte aber weder "Rudepoema" noch die "Fantasía" jemals öffentlich, nur "Petruschka", das er aber nie im Studio aufnahm. Jetzt ist dennoch ein Mitschnitt davon aufgetaucht, erhältlich in der gerade erschienenen Edition "Arthur Rubinstein. The Complete Album Collection" (RCA) - eine betörend gemachte Sammlung mit 142 CDs.

Zu seinem 75. Geburtstag spielte Rubinstein in vierzig Tagen zehn Benefiz-Konzerte in der New Yorker Carnegie Hall, wobei er kein Stück wiederholte. Ein absoluter Irrsinn, ein phänomenaler Gedächtnismarathon. Teilweise sind davon Mitschnitte erhalten, und da findet sich eben auch "Petruschka". Rubinstein mochte Mitschnitte nicht. Doch hier hört man, wie er seine von den Studioaufnahmen her bekannte Leidenschaft live noch hochriskant übersteigerte.

Zäh hält sich das wohl von Rubinstein ausgestreute Gerücht, dass ihm in der Jugend Frauen, Wein und Zigarren wichtiger waren als das Üben - drei bis vier Stunden täglich seien mehr als genug. Rubinstein hat ab 1928, das Mikrofon war gerade erfunden, im Studio aufgenommen, seine letzte Einspielung entstand 1976, da war er 89 Jahre alt. Gerade die frühen Aufnahmen lassen einen Teufelspianisten erkennen.

Wie Rubinstein die Chopin-Scherzi 1932 spielte, wie er 1945 das Finale der Beethoven-Appassionata attackiert und in der Coda noch das Tempo steigern kann: Das sind geradezu konkurrenzlos grandiose Aufnahmen, da entlarvt sich die Rede von unzureichender Technik als haltloses Gefasel.

Sicher spielte Rubinsteins großer Konkurrent Wladimir Horowitz brillanter - aber eben auch kälter. Rubinsteins Kunst ist größer: Elegant und leidenschaftlich ziseliert er eine Oberfläche, unter der Ungeheuer toben, die der Pianist sein Publikum aber nur erahnen lässt, ohne sie je ans Tageslicht zu zerren. Dieses Doppelspiel betört und macht Rubinstein zu einem nach wie vor hörenswert modernen Pianisten.

Dabei hat Rubinstein keinen nach 1900 geborenen Komponisten aufgenommen - aber viele seiner Zeitgenossen: Albéniz, Villa-Lobos, Strawinsky, Granados, Poulenc, Milhaud, Debussy, Ravel, de Falla, Gershwin, Mompou, Szymanowski, Prokofjew, Skrjabin, Gershwin - und mit dem zweiten Rachmaninow-Konzert ist ihm 1946 eine Aufnahme geglückt, die wundervoll und nobel den Reichtum dieses oft bloß pauschal gedonnerten Stücks offenbart.

Rubinsteins Modernität kommt aber vor allem bei jenem Komponisten zur Geltung, der schon lange eins mit seinem Namen ist: Frédéric Chopin. Die Mazurken, die Nocturnes, die Polonaisen, die Scherzi hat er mehrfach eingespielt, doch es sind die frühen Aufnahmen, die ein Zauberreich eröffnen, das noch immer Staunen erregt. Eleganz und raubtierhafter Zugriff, Drohung und lockende Magie, Rasanz und abgeklärte Ruhe: Rubinstein zwingt die Gegensätze nicht zusammen, er flaniert zwischen ihnen und belässt ihnen dabei ihre Unbedingtheit. So versöhnt er Unversöhnliches, weil er alles gleicherweise beachtet und dadurch schillernd widersprüchliche Menschenporträts zeichnet.

Schon 1999 gab es eine erste Rubinstein-Box. Die neue Edition ist an den liebevoll auf CD-Format verkleinerten Original-LP-Hüllen und ihren Erscheinungsdaten orientiert. Die CDs folgen dabei auch dem originalen Editionsprinzip, so dass die meisten Scheiben nur ein oder zwei Stücke mit einer Spieldauer von oft nur 30, 40 Minuten aufweisen.

Also rückt plötzlich das Einzelwerk viel stärker ins Interesse, als das heutzutage bei CDs der Fall ist, die zu Kompilationen verkommen sind - wie übrigens auch die ersten 14 CDs dieser Edition: Musik, die nie auf LP erschien und die hier bunt durcheinandergewürfelt wird, auch was die Aufnahmedaten angeht. Doch das sind Kleinigkeiten, die Rubinsteins Ton, ganz Silber, schnell vergessen lässt.

© SZ vom 28.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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