Musik-Oscar für "Joker":"Bitte werdet laut!"

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Die isländische Cellistin und Komponistin Hildur Guðnadóttir lebt in Berlin und macht Musik für Filme und Serien. Nun hat sie den Oscar.

Von Reinhard J. Brembeck

Lang gehaltene Klänge, die aus einem fernen Äther kommen, und aus denen oft das von ihr selbst gespielte Cello majestätisch auftaucht, in denen sich Elektrosound mit spärlichem Gesang mischt: Hildur Guðnadóttir ist die derzeit begehrteste Musikspezialistin für langsam daherkriechende Katastrophen, für das stets präsente Unbehagen unter der schillernden und quirligen Oberfläche des Alltags.

Auch wenn die 1982 in Island geborene Komponistin, Cellistin und Sängerin gerade für ihre Filmmusik zu "Joker" mit einem Oscar und schon Anfang des Jahres mit einem Golden Globe ausgezeichnet wurde, gehört sie so gar nicht in die Kategorie der männlichen Großfilmkomponisten von Ennio Morricone über Hans Zimmer bis hin zu dem in breitorchestrale Sounds verliebten John Williams, der schon über 50-mal für einen Oscar nominiert war und ihn auch schon fünfmal gewonnen hat.

Hildur Guðnadóttir fällt in diesem Rahmen nicht nur dadurch auf, dass sie eine Frau ist. Dass ihr deshalb größere Projekte vielleicht gar nicht erst anvertraut wurden, das hat sie öffentlich gesagt. Mit dem Oscar dürften solche Vorbehalte jetzt nicht gelten. Guðnadóttir ist nicht nur eine dem Film dienende Komponistin, sondern auch eine engagierte. Die in Island und Berlin, wo sie lebt, ausgebildete Komponistin hat gerade bei der auf klassische Musik spezialisierten Deutschen Grammophon "Fólk fær andlit" (Menschen bekommen Gesichter) als Single und Video veröffentlicht, das auf die Flüchtlingskrise 2015 auf Island regiert, als, so Guðnadóttir, "todkranke albanische Kinder mit ihren Eltern aus Island abgeschoben wurden". Weiß man das, dann wirkt ihre blumige Einlassung bei der Oscar-Verleihung erheblich politischer: "An alle Mädchen, Frauen, Mütter, an alle Töchter, die in sich drin die Musik sprudeln hören, bitte werdet laut. Wir müssen eure Stimmen hören."

Der Oscar jetzt ist kein Zufallserfolg. Guðnadóttir komponiert schon seit 20 Jahren für Filme, im letzten Jahr wurde ihr Soundtrack zu der Serie "Chernobyl" mit einem Emmy ausgezeichnet, gerade hat sie diese "Chernobyl"-Musik live auch in Berlin aufgeführt. Theatermusik, südosteuropäische Tanzmusik, Spektralmusik und der Einfluss von György Ligetis Klangwolken verbinden sich mit einem Hang zum Esoterischen und Existenziellen, der immer verhindert, dass Hildur Guðnadóttir bloß gruselige Wohlfühlpartituren schreibt.

© SZ vom 11.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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