Süddeutsche Zeitung

Musik:Krippenspiel mal anders

Keine andere Band versetzt Freunde anspruchsvollen Deutsch-Pops so sehr in Weihnachtsstimmung wie "Erdmöbel". "Es war hellichte Nacht" ist der Titel ihres diesjährigen Liedes zum Fest

Von Michael Zirnstein

Mit den Weihnachtsliedern sollte man es nicht so eng nehmen. Wie die Band Erdmöbel. Obwohl die Kölner alle Jahre Wieder auf Weihnachtstournee gehen, sind sie weiß Gott keine "Stille Nacht"-Puristen. Auch bei den Liedern, von denen sie seit 2006 jeden Advent eines als "Geschenk" veröffentlichen (teils als Gratis-Download, aber längst auch gesammelt auf CD kaufbar), muss es nicht um Weihnachten im klassischen Sinn gehen. "Wir haben drei Themen für unsere Jahresendlieder", sagt der Sänger Markus Berges, und führt aus: "Weihnachten, Silvester und die Depression zwischen den Jahren. Einmal haben wir auch den Nikolaus dazugenommen."

Heuer also ist ein Silvesterstück dran. "Es war hellichte Nacht" beschäftigt sich mit dem Jahrtausendwechsel vor 20 Jahren. Damals geläufige Reizwörter tauchen geisterhaft wieder auf: "Millennium-Baby" und "Millennium-Buck". Man erinnert sich an die schön schaurige Vorausahnung des Weltuntergangs, welchen der Datumswechsel in den Computern eigentlich hätte auslösen sollen. "Da steckte schon eine Sehnsucht mit drin, dass endlich die Lichter ausgehen würden, irgendwie Feierabend ist mit all unseren tollen Errungenschaften", erinnert sich Berges. Insofern ist das Rückblickslied "Hellichte Nacht" im Greta-Jahr 2019 durchaus brisant. Wobei Erdmöbel-Bassist Ekki Maas bei allen Parallelen auch einen Unterschied sieht: "Damals wurde von Nostradamus geschwafelt und man hatte echt Sehnsucht nach dem Weltuntergang - heute hat man Angst davor." Früher war also alles besser, sogar die Selbstauslöschungsfantasien, und in diesem Zurücksehnen hat selbst dieses Tischfeuerwerk eines Silvestersongs etwas von Heiliger Nacht. "Das funktioniert aus irgendeinem Grund für alle , und inzwischen auch für mich, als Weihnachtslied", sagt Berges. Die Band hat daher als Bildchen für die Streaming-Dienste einen Neon-Tannenbaum gewählt.

Keine andere Gruppe versetzt Freunde anspruchsvollen Deutsch-Pops so sehr in Weihnachtsstimmung wie Erdmöbel. Wobei alles mit einer Anti-Version von "Last Christmas" begann, in der es hieß: "Weihnachten, ist mir doch egal. Ich bin drei Karat Kaugummiautomat / Schenk mir ohne Papier mein billiges, billiges Herz." Aber freilich erlagen Erdmöbel selbst dem Zauber dieses Plastik-Pop-Klassikers, der alle Jahre wieder den Xmas-Terror im Radio einbimmelt. "Die würden das nicht spielen, wenn die Leute das wirklich nervig finden würden", sagt Maas; er findet das polyphone Wham-Lied sogar "musikalisch toll, bis auf den Schlagzeugsound: Da laufen mehrere Melodien gegeneinander, die ernstgenommen werden wollen, diese Basslinie, und die Melodie des Todes, wie wir sie nennen. . ."

Man würde einer ironiebegabten und doch poetisch ausgerichteten Gruppe wie Erdmöbel zutrauen, dass sie den Weihnachtsrummel verachtet und ihn in ihren Stücken aufs Korn nimmt. Schließlich wurde sie vor 26 Jahren um den inzwischen zum Romanautoren gereiften Berges gegründet. Doch erklärt der Sänger, "unsere Weihnachtssongs sind zwar spielerisch", aber sie seien auch getragen von einer ernst gemeinten "kindlichen Feierlichkeit", ob nun bei "Fräulein Frost", bei "Nonstop Christmas", bei "Ding Ding Dong (Jesus weint schon)", bei "Hoffnungsmaschine" (mit Judith Holofernes), bei "Melodica" (mit Ulrich Matthes) oder bei "Lametta" (mit Maren Eggert). Das Heilig-Hymnische sei eben dann besonders "amüsierlich", wenn es um die Einsamkeit am Heiligabend gehe oder um Negatives, wie "Der letzte deutsche Schnee" vor fünf Jahren: "Das war für uns als unpolitische Band fast schon ein Protestsong", sagt Ekki Maas, "aber er romantisiert das Thema freilich auch." So wie sich vor 77 Jahren bereits Bing Crosby offenbar in kindgerechte weiße Weihnachten zurückträumte.

Weihnachtsklassiker haben es derzeit nicht leicht - gerade weil sie ja so unschuldig erscheinen. Während sich Robbie Williams Helene Fischer für "Santa Baby" schnappt, schimpft das "Me too"-Lager, "Baby, it's cold outside" vertone eine sexuelle Nötigung und John Legend schreibt einen politisch korrekten neuen Text dazu. Dann lieber eigene, nachdenkliche Stücke dichten, wie es viele Musiker von William Fitzsimmons bis Kerstin Ott gerade machen. Vor einer Weile hat das Giesinger Anarcho-Label Trikont die zwei Sampler "Wish You Best Christmas Ever" herausgebracht. "Auch Indie-Künstler müssen Weihnachten feiern", sagt Ekki Maas, "und dabei ist die aktive Rolle die bessere: Dann doch lieber singen, was man selber will. Das ist das ganze Geheimnis."

Erdmöbel stillen eine Sehnsucht mit ihren Weihnachts-Shows. "Bei unseren Konzerten ist das ein großer Hokuspokus geworden", sagt Berges, der dem Publikum gerne mal spaßeshalber das Tanzen verbietet, was die Stimmung nur umso mehr anheizt. Die Band selber tritt ja auch in Gold und Silber auf wie Weihnachtskugeln. "Unsere Fantasie ist, dass das eine Form von Weihnachten ist, die gerade in Deutschland fehlt, dass es in England eine Party-Weihnacht gibt, wo auch Alkohol eine große Rolle spielt und mehr als nur die Familie. Diese Fantasie inszenieren wir gemeinsam." Diese Karnevalisierung der Stillen Nacht endet dann allerdings unter den eigenen Nordmanntannen der Band-Mitglieder. Auch wenn es inzwischen ein eigenes "Geschenk"-Songbuch von Erdmöbel gibt. "Wir stellen uns das so schön vor, dass die anderen Leute unsere Lieder unter dem Weihnachtsbaum singen, wir selber machen das natürlich nicht."

Erdmöbel, Sa., 21. Dez., 21 Uhr, Strom, Lindwurmstraße 88

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SZ vom 21.12.2019
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