Musik:Huglfing und zurück

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Von der Ur-Besetzung der Williams Wetsox ist nach 40 Jahren nur ihr Gründer Norbert Fändrich übrig. Was für einen besseren Grund gäbe es, den Blues zu kriegen und zu spielen so wie eh und je

Von Franz Kotteder

Was machte man als junger Mensch vom Land, damals Ende der Siebziger, wenn die ganze Musik ausschließlich in der Stadt spielte? Und das im Wortsinne? Diese Frage stellte sich damals auch Norbert Fändrich, denn zum Musikmachen mit seiner Band musste er von Schlehdorf im Pfaffenwinkel, wo er damals wohnte, dauernd nach München reintrampen, wo die anderen wohnten. Normal wäre gewesen, wenn sich der junge Mensch gesagt hätte: "Guad, na ziag' i hoit auf Minga!" Stattdessen sagte sich der Fähndrich: "I brauch jetzt unbedingt eine Band mit Leit, die hier in der Nähe san."

Das ist, man kann es nicht anders sagen, durchaus typisch für Norbert Fändrich. Bevor man sich in der Ferne verbiegt, bleibt man lieber daheim und richtet sich's dort so ein, wie man es gerne hat. Es fanden sich prompt Jonny Laber, der aus München zurück aufs Land zog und Schlagzeug spielte, und der Malerlehrling Chip, der Bass spielte.

Damals, an Silvester 1979, hatten sie ihren ersten Auftritt, Williams Wetsox hieß die Band. William war immer schon der Spitzname von Norbert Fändrich gewesen, nach einer Figur aus einer amerikanischen Fernsehserie der Sechzigerjahre. Wo die nassen Socken herkommen, lässt sich nicht mehr so genau eruieren.

Fast 40 Jahre später steht Williams Wetsox noch immer auf der Bühne, Ende November in der Musikkneipe Anton's an der Giesinger St.-Martin-Straße. Früher einmal hieß sie Grünes Eck und war auch schon eine Bluesbar, so wie heute. Im Publikum sitzen viele Männer in den besten Jahren mit Anhang, sie nicken ein bisschen wehmütig, als Fändrich sagt: "Das Anton's, das ist eine Musikkneipe, wie es sie bald nicht mehr geben wird." Dann schlägt er wieder den ersten Akkord an auf seiner vollakustischen Gibson-Gitarre, die er auch schon seit Ewigkeiten spielt, und singt einen lakonischen Blues: "G'storben wird morgen, und mit der Tina iss aa schon aus." Wieder ein beifälliges Nicken im Publikum, dann beginnt ein wunderbar leichtfüßiges Gitarrensolo, das man wohl nur so entspannt spielen kann, wenn man niemandem mehr etwas beweisen muss und will. Und wenn man den Blues voll und ganz verstanden hat: jene Musikform, die wie kaum eine andere rabenschwarze Melancholie mit vorsichtiger Lebensfreude und Zuversicht zu verbinden vermag. Er ist ja dann, ganz anders als das Klischee behauptet, überhaupt keine traurige Musik, sondern hat die Macht, das ganze gewaltige Elend der Welt umzuwandeln in Erleichterung und Befreiung. Manchmal, so heißt es, hilft der Blues sogar bei Liebeskummer!

Früher waren mehr Haare: die Williams Wetsox 1980 (mit Jonny Laber, rechts, Norbert Fändrich, mittig, und Uwe Knüppel, links). (Foto: privat)

An diesem Abend im Anton's lappt die Stimmung ein wenig ins Nostalgische, von der Ur-Besetzung der Wetsox ist nur noch William Fändrich übrig. Halt, das ist eigentlich die falsche Formulierung, denn Williams Wetsox, das ist William Fändrich und weitere Musiker, im Grunde das Projekt eines einzelnen. Aktuell begleiten ihn dabei Mario Fix an den Keyboards und Alex Bartl am Schlagzeug, zwei junge Musiker aus Peißenberg, die den richtigen Groove mitbringen, den es für den Blues aus dem Oberland braucht.

Der Blues aus dem Oberland: "Des is a Sach,' der eigene Blues und die eigene Sprach'", heißt es in einem zehn Jahre alten Lied von Williams Wetsox. Das beschreibt in wenigen Worten, worum es die ganzen 40 Jahre über gegangen ist: ein grundlegendes Lebensgefühl mit der eigenen Sprache zu beschreiben, sei das nun Gitarrenmusik oder der bairische Dialekt. Die Lebensgeschichten sind dann doch überall sehr ähnlich, ob sie jetzt von Son House erzählt werden oder vom Kraudn Sepp, die William Fändrich immer wieder gerne als Beispiele nennt. Es ist ja immer eine Musik der einfachen, kleinen Leute, die schließlich auch etwas zu sagen haben und von denen man vielleicht gerade dann erzählen muss, wenn sie selber tonlos geworden sind und gar nichts mehr sagen. So wie der alte Knecht: "Sie ham ihn behandelt wie an Räuber, und er hat g'arbat wia a Ross . . . Sechs Hoibe auf der Kirchweih, des war da Spaß fürs ganze Jahr." Wenn das mal nicht klassischer Blues ist.

Und wenn Norbert Fändrich mal nicht ein klassischer Bluesmusiker ist: Lang, hager, mit einer Stimme, die viel Lebenserfahrung verheißt, aber gewiss nicht vom Tabakgenuss kommt: "Ich hab' noch nie geraucht." Obwohl das damals, als alles anfing, völlig normal gewesen wäre und die erste Band, für die Fändrich eigene bayerische Texte schrieb, auch noch Maria Johanna hieß. Überhaupt war das Oberland seinerzeit eine fidele Gegend, so scheint's. Während die Oma im Radio nur Fred Rauch und das Wunschkonzert einschaltete, war es um den kleinen Norbert geschehen, als er zum ersten Mal "I Just Wanna Make Love to You" von den Rolling Stones hörte. Der Stiefbruder schenkte ihm die erste Gitarre, dann ging's los.

In Huglfing, wo Fändrich schon seit vielen Jahren lebt, gab es eine Sannyasin-Kommune, ein paar Häuser weiter eine namenlose Musikkneipe, die Fändrich später dann gut dreieinhalb Jahre lang als Wirt führte. Zuvor hatte er eine Lehre angefangen, bei Foto Sauter in München. Schon am zweiten Tag kündigte er wieder, "so war ich drauf, damals". Zwischendrin ging's auch mal nach Berlin, zu den Hausbesetzern, und immer war eine Gitarre dabei.

So gingen also die Jahre ins Land, aber irgendwie hielt es Fändrich dann doch immer wieder beim eigenen Blues und bei der eigenen Sprach'. Huglfing wurde spätestens durch die Musikkneipe in der Waldstraße zur festen Basis - und schließlich auch musikalisch verewigt. In dem Stück "Hey Schaffner", der mit der Zeile beginnt: "Hey Schaffner, wann geht der nächste Zug nach Huglfing?" Laut Fändrich war das "der größte Hit bei uns im lokalen Bereich". Gleich nach dem "Da hoibe simme Zug" übrigens, die Eisenbahn ist im Blues eh ein großes Thema, seit jeher.

Nun geht die Fahrt also weiter in ein neues, weiteres Band-Jahrzehnt. Das erste Konzert nach dem Jubiläumstag findet an diesem Samstag, 4. Januar, fast schon traditionsgemäß, in der Musikkneipe Village in Habach statt. Will man da hin, dann nehme man vom Münchner Hauptbahnhof aus die Regionalbahn 59453 in einer Dreiviertelstunde nach Huglfing, von dort aus sind es dann noch gute zwölf Kilometer bis ins Village. Bus fährt leider keiner auf direktem Wege, aber wäre das alles noch Blues, wenn es einfach wäre?

© SZ vom 04.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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