Süddeutsche Zeitung

Musik:Hongkongs unabhängige Stimme

Proteste und soziale Spannungen prägen die Stadt im Südosten Chinas. Wie Indie-Pop aus der Metropole klingt, zeigt ein Themenabend im Theatron

Von Jürgen Moises

Sie gilt als eine der Metropolen mit den höchsten Lebenshaltungskosten. Und es gibt keine andere Stadt, in der es prozentual so viele Millionäre und Milliardäre gibt. Gleichzeitig leben 20 Prozent der Einwohner Hongkongs unterhalb der Armutsgrenze. Der Durchschnittslohn ist von den etwa 20 000 Dollar, die Mitarbeiter der großen internationalen Banken monatlich dort verdienen, ebenfalls sehr weit entfernt. Und weil bezahlbarer Wohnraum wie zu erwarten kaum bis nicht vorhanden ist, müssen sich oft mehrere Menschen oder sogar Familien in der Siebeneinhalb-Millionen-Einwohner-Stadt ein gemeinsames Zimmer teilen. Für soziale Spannungen gibt es also genügend Argumente, die allesamt auf ihre Art bei den aktuell stattfindenden Protesten hineinspielen.

Für Musiker und Künstler ist Hongkong damit ebenfalls kein leichtes Pflaster. Und das ist neben der "Förderung der kulturellen Diversität" auch einer der Gründe dafür, warum es die Hongkonger Renaissance Foundation und das von ihr initiierte Projekt "Ear Up Music Global" gibt. Die Renaissance Foundation ist eine 2012 gegründete Non-Profit-Organisation, der Kulturschaffende wie der Rallyefahrer und Schriftsteller Han Han, der Lyriker Chow Yiu Fai, der Regisseur Jia Zhangke oder der Musikkritiker Chang Tieh Chih angehören. Diese haben es sich zur Aufgabe gemacht, lokale Indie-Musiker, Filmemacher, Autoren und Künstler in Form von Mentor-Programmen, Konzerten oder Festivals zu unterstützen und sie mit Gleichgesinnten in Macau, Taiwan und China zu verlinken. Zu den "Ear Up"-Leistungen gehört zudem die Organisation von internationalen Tourneen. Bei "Sound Of Munich Now" im Feierwerk konnte man bereits 2017 mit Adrian Lo und TFVSJS zwei von Ear Up Music ausgesuchte Acts erleben.

Nun treten vier weitere Acts aus Hongkong bei einem "Ear Up Music Showcase" in München auf. Dieser findet an diesem Donnerstag um 19 Uhr als Teil des diesjährigen "Musiksommers" im Theatron im Olympiapark statt. Statt Postrock und eines Singer-Songwriters gibt es nun Cantopop von Rubber Band zu hören, einen groovigen Mix aus Jazz und Soul von Prototyke Lab, jazzigen Soulpop mit Cantopop-Anleihen von Clover Lei sowie poppigen Funkrock mit mehrsprachigen Lyrics, welcher der Band Call Back ASAP in Hongkong den Titel "The Voice 2014" eingebracht hat.

Für hiesige Ohren dürfte das meiste davon gar nicht so fremd klingen. Und tatsächlich nennt etwa die Sängerin Clover Lei, auch wenn man in Stücken wie "Oh Darling" eine chinesische Laute hören kann, unter anderen Erykah Badu und Amy Winehouse als Vorbilder. Auch beim mehrstimmigen Cantopop der 2004 gegründeten Rubber Band wirkt zunächst mal nur die Sprache fremd. Kantonesischen Gesang oder chinesische Instrumente mit westlichen Klängen zu verbinden, das war schon in den Siebzigerjahren das Rezept des Cantopop, der in den Achtzigern seine Hochphase hatte, inzwischen aber an Bedeutung verloren hat. Das zeigen auch die aktuellen Proteste. Denn während die Demonstranten im Jahr 2014 noch den Neunzigerjahre-Hit "Boundless Oceans, Vast Skies" der Cantopop-Band Beyond sangen, stimmen sie heute Lieder wie die christliche Hymne "Sing Hallelujah To The Lord" und "Do You Hear The People Sing" aus dem Musical "Les Miserables" an.

Ear Up Music Showcase Hongkong, Do., 15. Aug., 19 Uhr, Theatron im Olympiapark, Eintritt frei

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Quelle:
SZ vom 14.08.2019
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