Musik:Hip-Hop aus Atlanta ist der Pop der Stunde

Offset, Quavo and Takeoff of the hip-hop group Migos.

Offset, Quavo and Takeoff (v.l.) bilden die Hip-Hop-Gruppe Migos.

(Foto: CHAD BATKA/The New York Times/Re)

Der schwüle US-Bundesstaat Georgia ist ein Treibhaus für innovative Musik. Gut nur, dass man die Texte der "Trap"-Rapper so schlecht versteht.

Von Paul-Philipp Hanske

Der Schauspieler und Filmproduzent Donald Glover nannte bei der Verleihung der Golden Globes die Migos, das Hip-Hop-Trio aus Atlanta, "die Beatles dieser Generation". Dabei kicherte er. Er war sich der Provokation bewusst. Die Beatles sind die wichtigste Band der Musikgeschichte. Und die Migos? Die rappen über ihre "bad bitches", also leicht bekleidete Frauen mit einschlägigen Qualitäten, über Lieblings-Maschinenpistolen und darüber, wie man am besten Crack kocht. Und natürlich über ihre Luxusmarke "Saatshi", soll heißen: Versace. Kurz: Die Migos machen genau die Musik, mit der das Kulturestablishment Probleme hat. Und dann heißt ihr neues Album, das gerade auf dem ersten Platz der amerikanischen Charts steht, auch noch "Culture".

Aber viele Stücke auf "Culture" sind tatsächlich atemberaubend gut. Zum Beispiel der Nummer-1-Hit "Bad and Boujee". Über einem sehr langsamen, melancholischen, tonnenschweren Beat rappen die drei Migos - und zwar alle mehr oder weniger zugleich. Vielleicht müsste man sie statt mit den Beatles mit den Beach Boys vergleichen. Denn nicht anders als diese revolutionieren die drei Rapper gerade das Prinzip Polyfonie im Pop. Unfassbar kunstvoll verflechten sie verschiedene Vokalspuren. Während einer rappt, wiederholt ein anderer Passagen desselben Textes in einer anderen Geschwindigkeit, der Dritte ist für die sogenannten Ad-Libs zuständig, für nachgeahmte Pistolenschüsse, Tierlaute oder kryptische Abkürzungen. Sprache wird in abstraktes Material zerlegt, die Stimmen werden zu Rhythmusmaschinen. Das alles gibt es schon seit einigen Jahren, aber die Migos haben es perfektioniert. Und so ist "Culture" ein ganz und gar originäres Produkt aus Atlanta. Diese Großstadt im schwülen Georgia ist das Treibhaus, in dem eine sehr spezielle Art von Hip-Hop gezüchtet wird: Trap.

Atlanta ist das Epizentrum der Trap-Bewegung

Trap entwickelte sich vor gut zehn Jahren aus verschiedenen anderen Spielarten des Südstaaten-Hip-Hops. Der Name - Falle - verweist auf die Szene, in der Trap entstand: das außerordentlich prekäre, von Drogen und Gewalt geprägte Milieu Atlantas. Der Sound hat eine klare Signatur. Trap ist mit etwa 70 Beats per Minute auffallend langsam. Die elektronische Produktion steht dabei im Vordergrund: grelle Sounds zwitschern über dystopischen Synthesizer-Flächen, dazu kommt ein wuchtiger Bass, und unter all dem arbeitet der Beat aus der Roland-808-Drummachine, der sich durch scharfe, ultraschnelle Beckenschläge auszeichnet. Inzwischen ist Trap ein internationales Phänomen, Popstars wie Rihanna lassen sich Songs in diesem Stil produzieren, klar ist aber, dass Atlanta das Epizentrum dieser Bewegung bleibt.

Eine der zentralen Figuren ist der in der Stadt verehrte, hyperaktive Rapper Gucci Mane (Markenzeichen: die tätowierte Eistüte auf der Wange), der, wenn er gerade mal nicht im Gefängnis ist, pro Tag etwa einen Song produziert. Doch die Produzenten wie Zaytoven, Mike Will Made It oder Metro Boomin sind eigentlichen Stars. Das zeigt sich auch daran, dass sie stolz eine Art akustische Visitenkarte an den Anfang jedes Songs kleben. Vor allem aber gibt es eine sehr spezielle Form der Hit-Produktion in Atlanta, eine Art Kurzschluss. In Atlanta wird in Strip Clubs geklärt, was ein Hit wird - vor allem in einem Club namens "Magic City", in dem systematisch neue Songs getestet werden. All das generiert ein Laboratorium, in dem Sounds und Rap-Stile so weit wie möglich getrieben werden. Das heißt konkret: solange sich Stripperinnen dazu an der Stange rekeln können und das Publikum ausflippt.

Und so gibt es seit einigen Jahren einen nicht versiegenden Strom von Black Music aus Atlanta, die neu, aufregend und im besten Sinne außergewöhnlich klingt, zum Beispiel vom Rapper Future oder von Abra. Vor allem aber von Young Thug, der im Augenblick zu einem Liebling der internationalen Pop-Szene avanciert. Das liegt zum einen an seinem Rap-Stil. Was die Migos zu dritt machen - einen polyfonen Hexensabbat feiern - schafft Young Thug alleine. Er setzt seine Stimme wie einen Sampler ein, beinahe jedes Wort wird anders betont, er schreit, singt, gurrt, schnattert und bellt, und das alles in verschiedenen Geschwindigkeiten und, arrogant souverän, mal im, mal gegen den Takt. Schon lange wurde die lächerliche These, dass es im Pop nichts Neues mehr gebe, nicht mehr so lässig falsifiziert.

Atlanta ist ein Hort des Machismo - doch das ändert sich gerade

Dass Young Thug gerade von Musikmagazinen und Modemachern verehrt wird, liegt aber an seiner Gesamterscheinung. Tätowiert bis unter den Haaransatz und keinen Zweifel daran lassend, dass "Thug", also "Verbrecher", nicht nur ein Künstlername ist, bringt er rein äußerlich Geschlechterklischees ordentlich durcheinander. In den Mädchenkleidern, die er wie T-Shirts trägt, wirkt er äußerst androgyn. Hinzu kommen sein Tanzstil, mit dem er offensichtlich exotische Vögel beim Balzen imitiert, und sein Flirt mit der Kamera. Kurz: Young Thug dekonstruiert sehr effektiv das Bild des Mannes. Aber dann gibt es eben auch die andere Seite, und auch die hat mit Atlanta zu tun. Als Young Thug vor Kurzem - verdammtes Kifferschicksal! - mal wieder seinen Flug verpasste, rastete er am Flughafen aus, beschimpfte die Frauen am Schalter sexistisch und bewarf sie mit Geldscheinen. Und dann war er auch noch so klug, das peinliche Spektakel filmen und online stellen zu lassen.

Denn das ist bei aller musikalischen und modischen Innovation klar: Atlanta ist immer noch ein Hort des Machismo: der Verherrlichung von Geld und Gewalt, der Reduzierung von Frauen auf Körperöffnungen und der Diskriminierung sexueller Minderheiten. Letzteres zeigt sich im Fall des Rappers Ilovemakonnen, der neben Young Thug die aufregendste neue Stimme aus Atlanta ist. Seine verblüffende Fähigkeit, zwischen zwei Tonlagen - Bass und Falsett - zu wechseln, sein dezidiert psychedelischer Zugriff auf Trap (seine Drogen sind nicht Kokain, sondern Pilze) und seine etwas tollpatschige Art zu tanzen, sind absolut bezaubernd.

Ein offen schwuler Rapper in der harten Trap-Szene: Das gab es noch nicht

Vor zwei Wochen outete sich Ilovemakonnen als schwul. Es war nicht das erste Outing in der jüngeren Black-Music-Geschichte. Was die Sache jedoch tragisch macht: Man merkte Ilovemakonnen an, wie sehr er mit sich rang. Seine Songs formulierten bisher - wie alle Atlanta-Tracks - ein klar heterosexuelles Begehren, mit vielen Bitches und schlüpfrigen Aufrisssprüchen. Gleichzeitig wurde Ilovemakonnen aufgrund seines so ganz und gar unmännlichen Auftretens in der Szene immer wieder als "Pillow-Biter", also als passiver Part im homosexuellen Geschlechtsakt, beschimpft. Schon vor seinem Outing sagte er, er habe keine Lust mehr auf Musik, und das hieß wohl auch: auf die Szene in Atlanta. Er wolle nun zum Film. Aber wie so viele Musiker in Atlanta ist Ilovemakonnen manisch und besessen von seinem Sound, er wird also zurückkehren. Einen offen schwulen Rapper in der harten Trap-Szene: Das gab es noch nicht. Was für ein Glücksfall das wäre: der denkbar heißeste Sound - und das auch noch mit einem zeitgemäßen Geschlechterverhältnis. Aber noch muss man darauf warten. Und ist froh, dass man den verwaschenen Südstaaten-Slang vieler Songs einfach nicht versteht.

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