Süddeutsche Zeitung

Musik:Gratwanderung Himmelerde

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Von WOLFGANG SCHREIBER

"Wenn du den Trauermarsch vier Mal so schnell spielst, wird es eine Polka". Sagt Andreas Schett, Trompeter und Leiter der zehnköpfigen Osttiroler "Musicbanda" Franui. So werden, jedenfalls für die tollen Franui-Leute, Friedhof und Tanzboden intim benachbarte Gewerbegebiete, geraten Schubert- und Mahler-Lieder makaber zu Bruch. Besonders wenn sie in Klängen von Trompete, Bass und Saxophon, Akkordeon, Tuba und Hackbrett weitergedacht, übermalt, skelettiert werden. Die Franui-Musiker haben in ihrer institutionalisierten alpinen Urigkeit längst die großen Musiktempel erobert und jetzt Einzug gehalten ins Barenboim-Reich der Berliner Staatsoper, wo der neue junge Intendant Matthias Schulz gerade mit drei Novitäten binnen einer Woche den Musiktheater-Hattrick hingelegt hat.

Die Franui nennen sich selbst gern "Umspannwerk zwischen Klassik, Jazz, Volksmusik und zeitgenössischer Kammermusik". Für ihr neues Stück "Himmelerde" haben sie sich, auf allzu großer Opernbühne, mit dem Maskenspiel des eigentümlichen Berliner Theaterkollektivs Familie Flöz verbündet. "Maskenmusiktheater" heißt somit der bizarre Liederparcours, koproduziert mit den Ludwigsburger Schlossfestspielen, eine theatrale Gratwanderung zwischen lyri-schen Tiefen und szenischen Untiefen. Dass sich dabei dem Bariton Florian Boesch die Sopranistin Anna Prohaska hinzugesellt hat, gibt dem Reigen charmanter bis aggressiver Liedübertünchungen (Markus Kraler, Andreas Schett) vokalen Glanz, mit einer gewissen Überforderung. Denn die in der Opernkunst brillante, hier als nachtschwarze Diseuse geforderte Sängerin kann den holzschnitthaften Bildergeschichten um Liebe und Tod, Trauer, Wehmut, Einsamkeit kaum gerecht werden. Die Geschichte selbst (Inszenierung: Michael Vogel, Bühne: Felix Nolze), von Rätselgestalten mit Maskenköpfen bevölkert, wird mit Liebesleidnaivität erzählt und herzergreifend choreographiert. Opernvolkskunst - Masken aber nicht als Karikaturen, nur als Projektionsflächen der Sehnsucht (noch einmal am Samstag, im Theaterhaus Stuttgart am 6. und 7. April).

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Quelle:
SZ vom 19.01.2019
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