Musik: Erdmöbel:Alles glitzert

Im Leben der Anderen: Warum "Erdmöbel" die größte deutsche Band unserer Tage sind. Und dann noch ein ganzer Roman als Bonustrack.

Alex Rühle

Darf man das hier mal? Als Kritiker sich einfach nur ekstatisch auf ein Konzert freuen? Auf den Moment, an dem Markus Berges in der Münchner Muffathalle all diese deutschen Wortungetüme verzaubern wird? Sillageplane. Nothammer. Niederrheinexpress. Oder das fünfsilbige Nordrhein-Westfalen.

Musik: Erdmöbel: Die vier "Erdmöbel", hier als Straßenmusiker.

Die vier "Erdmöbel", hier als Straßenmusiker.

(Foto: Matthias Sandmann)

Ekki Maas wird diesen fast schon gutmütig schunkelnden Burt- Bacharach-Bass anstimmen und dabei mit dem Oberkörper hin und herpendeln wie ein Teletubbie-Metronom, Wolfgang Proppe setzt mit seinem Keyboard Akkorde darauf, sanft wie Schneeflocken - und dann entsteht plötzlich wieder diese Rückkopplung, das Erdmöbel-Wunder: All diese rechtwinklig grauen Funktionswörter, Wörter, die normalerweise klingen wie konsonantische Auffahrunfälle oder als seien sie die Erfindung eines missgelaunten Verwaltungsbeamten, fangen an zu schweben.

Man könnte sagen, mit den Liedern der Kölner Band Erdmöbel ist es wie mit Kirchenfenstern: Von außen wirken sie manchmal grau, bleiern. Wenn man dann drinsteht in den Liedern, sich umdreht und auf die Texte schaut, die vom Sonnenlicht der Musik durchstrahlt werden, dann leuchten all diese Begriffe in neuem, nie gekanntem Farblicht.

Der Song, aus dem die zitierten Wörter stammen, heißt "Emma", er ist der dritte auf der neuen CD "Krokus" (Edel) und spielt, das versteht man erst nach mehrmaligem Hören, in besagtem Niederrheinexpress, der liegenblieb in der Provinz, als der Orkan Emma über Europa hinwegfegte. Da sitzt einer am Fenster eines Zuges und fährt durch die tiefste Provinz, die Gegend, aus der die vier Mitglieder von Erdmöbel kommen. Und aus der übrigens auch Betti Lauban kommt, die Hauptfigur aus Markus Berges' erstem Roman, der soeben bei Rowohlt veröfentlich worden ist, was wir hier kurz einmal einschieben können, der Niederrheinexpress steht ja gerade eh nur rum, "kurz hinter Geldern, in leeren Feldern".

"Ein Brief an September Nowak" ist ein Roman über die rettende Kraft der Phantasie, oder sagen wir, weil das sonst zu sehr nach Paolo Coelho klingt: die Kraft der Erfindungsgabe. Erzählt wird aus der Sicht eines Mädchens, dem der Vater im allerersten Absatz des Romans sein Lebensmantra einbläut: "Vergiss nie, woher du kommst." Wie sollte sie. Betti Lauban, aus dem nordrheinwestfälischen Warendorf. Jahrelang hatte sie eine Brieffreundin namens September Nowak, die ihr aus Monaco schrieb. Als Betti sie nach dem Abitur besucht, stellt sich heraus, dass alles an dieser fernen, großen Freundin erfunden war, der Name, das Leben, Monaco: In Wahrheit heißt die Brieffreundin Nicole, ist nicht Ballerina, sondern fett, und lebt als Tochter einer Putzfrau in den grauen Vororten Nizzas.

Wo unser aller Leben stattfindet

Betti ist schockiert, reist ab - und streift sich dann aber selbst den erfundenen Namen der Freundin über. So lässt sie sich als September durchs sommerliche Südfrankreich treiben und genießt es, eine Art Untermieterin im erfundenen Leben der Anderen zu werden und sich selbst beim Weiterspinnen einer fremden, eigenen Geschichte zuzuhören: "Sie zu erzählen, war Betti leicht gefallen. Leichter als die Wahrheit, die in ihr steckte wie taubes Gestein in einem Bergwerk."

Es sind Sätze wie dieser, die aus diesem Buch, der Künstlerbiographie, Roadmovie, Coming-of-Age-Geschichte und Sebald-Hommage in einem ist, ein großes Buch machen, einen Roman, der, obwohl er in den neunziger Jahren spielt, das Prekäre unserer Tage so einmalig gut einfängt: "Ein unbeschreiblicher Schmerz, nicht schlimm, aber mir fehlen dafür die Worte." Oder wie es ganz ähnlich in einem "Erdmöbelsong" heißt: "Wort ist das falsche Wort / Es ist mehr Akkord".

Einmal erzählt Betti einem kleinen Mädchen eine Geschichte von E.T.A. Hoffmann und sagt dabei von einer Frau: "Sie hieß Dörtje Elverdink und trug ein Kleid aus Zindel. ,Was ist Zindel?' fragte Josie. ,Weiß nicht. Aber es glitzert mehr als alles, was wir kennen.'"

Die Lieder von "Erdmöbel" tragen allesamt Zindel, sie glitzern mehr, als alles, was wir kennen. Nein, das stimmt nicht: Sie zeigen, dass alles, was wir kennen, glitzert. Man braucht nicht Monaco für großen Pop, die Songs der Kölner Band spielten immer schon eher in Vororten, dort wo unser aller Leben stattfindet, weshalb wir meinen, nicht mehr hinschauen zu müssen, sondern die Dinge nur noch schlunzig mit den Augen abscannen.

Phantasie, so zitiert Berges in seinem Roman einmal Vladimir Nabokov, Phantasie sei der Muskel der Seele. Bei Nabokov heißt es im Anschluss daran, der wahre Schönheitssinn habe "viel weniger mit Kunst zu tun als mit der stetigen Bereitschaft, den Glorienschein um eine Bratpfanne (...) wahrzunehmen."

In "Das Leben ist schön!" besingen Erdmöbel "Morgenrot über den Kaminen / Butterbrotpapier zwischen den Schienen" und rufen, ja schreien am Ende fast: "Und das ist schön / Das Leben ist schön / Ich kann Eure Tränen nicht verstehn." Es lebe die Bratpfanne.

Wer nun meint, ach so, affirmativer Pop, verstehe, noch so Zeitgeistclaqueure, der verfüge sich in die Ecke, in der er anscheinend all die bisherigen Erdmöbel-Alben verschlafen hat. Oder er höre sich "Fremdes" an, das Hasslied auf Köln, auf die abgestanden bräsige Rheinseligkeit, die selbstgefällige Provinzialität, die in dem Refrain endet: "Fremdes, Billiges, Lautes und Hässliches". Wie da diese hundert Takte Hass zusammengehen mit einem merkwürdig federnden Ska. Wie da Text und Rhythmus so gegeneinandergeschoben werden, dass sich das Lied auch sicher im Gedächtnis festhakt. Mann, Mann, Mann, das wird großartig werden heute Abend.

Nur schade, das hier kein Platz mehr ist für einen Lobgesang auf die immer raffinierteren Bläserarrangements der Erdmöbel. Auf die melodiösen, dichten Pianoklänge. Darauf, wie sie die Welt verzaubern und gleichzeitig allen falschen Pomp entzaubern. Andererseits, das Wort "Streikbrecher-Import" aus der nebenstehenden Meldung, die uns leider den fehlenden Platz nahm, passt so wunderschön zu Markus Berges' Texten, das wir beim Andersdraufschauen auf die Seite plötzlich merkten: Und es war alles, alles gut.

Konzerte: 19.10. München, 20.10. Dresden, 22.10. Hamburg, 23.10. Köln, 29.10. Wuppertal

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