Süddeutsche Zeitung

Musik:Eine neue Art von Band

"Deichkind" sind mittlerweile eine politische Pop-Macht. In ihren Konzerten wollen sie an den Gehirnen des Publikums herumbasteln

Von Michael Zirnstein

Schon in ihren Interviews zeigen Deichkind, dass sie keine normale Band sind, sondern die kreativste des Landes. Als diese 1997 als smarte Hamburger Hip-Hopper gestarteten Universal-Genies um 2006 herum begannen, ihre Shows in "Kindergeburtstage für Erwachsene" zu verwandeln, luden sie schon mal Reporter auf einen Erlebnistag beim "Chiemsee Reggae"- Festival ein. Man sollte selbst als Skelett verkleidet auf der Bühne herumkaspern, um die Macht der entfesselten Masse zu spüren. Eine Fahrt auf einem Schlauchboot übers Fan-Meer konnte man gewinnen, an ihrem Glücksrad bei einem späteren Interview. Aber dann blieb der Zeiger doch auf einem Schnaps stehen.

Rausch und Ekstase, kollektiv wie individuell, waren immer ihr Thema. Einmal breiteten Deichkind einfach einen Haufen "richtig gutes Zeug" wie hippe Turnschuhe vor sich aus, quasi als Gesprächsangebot, um nicht immer die selben Fragen hören zu müssen. Diesmal, im Café von Bellevue di Monaco verschanzten sich Philipp Grütering alias Kryptik Joe, Henning Besser (DJ Phono) und Sebastian "Porky" Dürre hinter einem ganzen Regalinhalt an Büchern auf drei Tischen: die Nacht-Erzählung "Rave" von Rainald Götz, Künstler-Inspirationen wie "Steal Like An Artist", "The Secret Art Of The Performer" und Werner Herzogs "Erforschung des Nutzlosen", der Meditations-Klassiker "Jetzt!" von Eckhart Tholle, die Biografie des Hip-Hop-Rabauken The Streets, edle Kunstbände wie "Concorde" des Fotografen Wolfgang Tillmans und - falls alles nichts hilft - der Konservations-Kurs "Miteinander reden". Den freilich braucht es nicht. Die drei reden wie gedruckt, allen voran Henning Besser, der sich in seiner Rolle als "La Perla" in einen pseudo-intellektuellen Laber-Flow schwafeln kann. Wobei die Philosophien des Show-Produzenten oft ernst gemeint sind, manchmal aber auch Nonsense - dieses Stilmittel zieht sich durchs Gesamtwerk der Gruppe und auch durchs fünfte Album "Wer sagt denn das?"

Im Titelstück plappern sie sich selbst und allen anderen jede Menge Schmarrn nach, dass Immigranten gefährlich sind, Jugendliche keine Zeitung lesen, Geldverdienen nichts für Frauen ist. Oder stimmt das gar? Wem ist noch zu trauen? Alexa und Siri, der Filterblase, wetter.de? Und Deichkind, die ja auch Parolenschwinger sind und in ihrer Kunst stets diffus bleiben wollten? Mit "Wer sagt denn das", dem wichtigsten Song der Platte, wie sie sagen, wollten die Ironiker sich positionieren: Gegen Fake News, Europagegner, Klimawandelleugner, Hassbürger. "Wir nehmen uns als Pop-Band wahr und können kaum die Welt ändern", sagt Grütering, "aber wir erreichen Massen und nehmen die Verantwortung ernst, in einer Zeit, wo es immer ruppiger und spaltiger wird, dazu etwas zu sagen. Einen Song ,Fuck AfD' zu schreiben, wäre aber nicht unsere Art." Tatsächlich drehten sie später ein Video zu "Dinge", in dem sie sehr deutlich werden: In einem Abbruchhaus unter dem Graffito "Fuck AfD" zerstören sie, sogar mit einer Planierraupe, Sportwagen, Flachbildschirme und andere Konsumsuchtmittel. "Lösungen können wir nicht bieten", sagt Besser dennoch, "aber wir können wichtige Themen in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen." Und nicht zufällig gebe man das Interview im solidarischen Café der Initiative Bellevue di Monaco.

Von Elekro-Punk-Kaspern haben sie sich zur Polit-Pop-Macht entwickelt, was sie wiederum verschleiern. Dafür gibt es Stücke wie "1000 Jahre Bier". Das ist mit germanischem "Bier Bier Bier!"-Gegröle und Sprüchen wie "Drei Liter Malz, rein in den Hals" eine schöne Reminiszenz an die andere, als linkspolitische Band oft unterschätzte Bundes-Pop-Truppe Rammstein, und passt inhaltlich zu früheren Show-Höhepunkten: dem Abfüllen des Publikums mit Bier- und Wodka-Spritzen ("Zitze"). "Das Deichkind arbeitet gern mit der Strategie des trojanischen Pferdes, es gibt Teile unseres Werkes, die bewusst niederschwellig angesetzt sind", erklärt Besser, "das ist die Zugbrücke in unsere Burg, über die wir als Rattenfänger Tausende Leute ins Konzert locken. Da werden uns dann zwei Stunden ihre Gehirne geliehen, wo wir ein bisschen an der Synapsenverknüpfung herumbasteln."

Dazu will man nun nach der punkigen Künstlerverneinung (Müllsack-Kostüme), der Ästhetisierung des Rausches ("Zitze") und der Heldenverehrung auf silbernen Säulen als eine Art "Take That für Arme" eine neue Stufe erklimmen: das "Wir". Besser möchte, dass Band und Fans zusammen ein "Tableau vivant", ein lebendes Gemälde gestalten. In Gedanken ist er aber schon weiter, will das nicht mehr zeitgemäße Bild von Bands eh dekonstruieren. Dazu sollen Schauspieler engagiert werden wie der Hipster Lars Eidinger, der bereits Band-Maskottchen ist und ihnen "den Sprung nach Hollywood ermöglichen solle wie David Lynch einst Rammstein". Schauspieler sähen besser aus, verstünden das Performer-Handwerk und könnten auch besser Interviews geben.

Deichkind, Di., 18. Feb., Augsburg, Schwabenhalle, Do., 20 Feb., München, Zenith

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SZ vom 14.02.2020
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