José Carreras wird 70:Kavalier mit Ausrutschern

Luciano Pavarotti empfand sein Timbre als das schönste aller Tenöre nach dem Zweiten Weltkrieg: José Carreras wird 70. Sein Resümee nach 46 Opernjahren: "It was a lot of fun."

Von Egbert Tholl

Gerade ist er auf Abschiedstournee, wieder einmal, sangen manche. Er selbst sagt, er wisse nicht, wie lange der Abschied dauern wird. Er wolle alle Städte besuchen, in denen er einst sang. Und wohl noch ein paar mehr. Am Montag, 5. Dezember, wird José Carreras 70 Jahre alt.

Zwei Momente prägen die Wahrnehmung seiner Person. Der eine ist die Leukämie-Diagnose im Jahr 1987. Der gefeierte Tenor verschwand von den Opernbühnen der Welt. Und wurde mittels Knochenmarktransplantation geheilt.

Dann kehrte er zurück und wurde berühmter als je zuvor, nachdem er - und das ist der zweite Moment - mit Plácido Domingo und Luciano Pavarotti die drei Tenöre gründete.

Sie sangen in Stadien und bei Fußballweltmeisterschaften, sie verdienten märchenhafte Gagen. Und doch bleibt da ein Bruch. Nie mehr, auch wenn er wieder in Operninszenierungen wie in Ermanno Wolf-Ferraris "Sly" auftrat, erlangte er den geradezu paradiesischen Zauber, den man spürt, hört man ältere Aufnahmen von ihm.

Carreras verlegte sich auf anderes. Machte eine bemerkenswerte Karriere als Liedsänger, näherte sich dem Pop und nahm ein paar abenteuerliche Sachen auf. Unter dem Titel "Pure Passion" etwa das nun mit Text unterlegte Thema aus dem ersten Satz von Tschaikowskys sechster Symphonie oder ein bizarres Pasticcio aus der "Tannhäuser"-Ouvertüre und dem Pilgerchor, mit fantasiebegabtem Text.

Seine letzte Opernrolle 2014 - da war er wieder, der stolze, kluge Katalane

Jedem anderen hätte man solche Scherze nie verziehen. Doch Carreras ist viel zu viel Gentleman, viel zu fein, als das man ihm solche Ausrutscher übel nehmen könnte. Eher ist es so, dass man sie nicht glaubt.

Und dann kam die letzte Opernrolle, "El Juez" von Christian Kolonovits, ein Stück über die Franco-Diktatur, unter der die Familie von Carreras zu leiden hatte. Da war er wieder, der stolze, kluge Katalane, unglaublich ernsthaft, fulminant. Die Uraufführung war 2014 in Bilbao, und als hätte er noch einmal allen alles bewiesen, fing Carreras danach an, sich auf den Abschied vorzubereiten.

Seine frühen Verdis, reines Glück

Im Grunde kann man sagen, hat ihn nach seiner Krankheit vor allem eines interessiert: seine Stiftung zur Leukämie-Forschung. Grandiose Summen sammelte er für diese, allein in Deutschland 100 Millionen.

Jedes Gespräch der letzten Jahre drehte sich vor allem darum. "Das eine ist die Kunst; aber es gibt noch etwas Wichtiges im Leben." Und vielleicht noch ein bisschen Fußball, wie es sich für einen echten Barcelona-Fan gehört. Aber schon da wusste man nicht, ob er nicht Scherze macht. Sein eigenes Resümee nach 46 Jahren Oper bislang: "It was a lot of fun."

Und so fing es ja auch an. Carreras kam zum Singen über den Film "The Great Caruso" mit Mario Lanza. Also über Oper und neapolitanische Lieder als schönste Unterhaltung. Er fing an, Gesang zu studieren, Montserrat Caballé entdeckte ihn, als er neben ihr den Flavio in einer "Norma" in Barcelona sang. Niemand achtet je auf Flavio. Hier schon. Und innerhalb weniger Jahre folgten viele lyrische Partien von Verdi und Donizetti an der Scala, der Met, in Wien, London, der Welt.

Aus dieser Zeit gibt es Aufnahmen von ihm von Rossini, bei denen man vor den Lautsprecherboxen kniet, gibt es frühe Verdis, reines Glück. Dann kam, was so oft kommt in Sängerkarrieren: Immer schwerer, dramatischer wurden die angebotenen Partien, Karajan, den er heute noch als Vaterfigur empfindet, drängte ihn in Partien wie Radames ("Aida"), die freie Poesie seiner Stimme fing an zu leiden.

Sein Freund und Kollege Luciano Pavarotti empfand einst Carreras' Timbre als das schönste aller Tenöre nach dem Zweiten Weltkrieg. Er selbst, Carreras, meinte einmal: "Ich kann sagen, dass ich meine größten Erfolge in Opern feierte, von denen es davor hieß, sie seien nichts für mich." Man kann auch einfach sagen: Er sang, was die Menschen von ihm hören wollten, und er sang vieles davon berührender als jeder andere.

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