Süddeutsche Zeitung

Musik:Aus Farin Urlaubs Abfallkiste

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Das Doppel-Album versammelt all die Späne, die Farin Urlaub selbst und mit seiner Band "Die Ärzte" in fast drei Jahrzehnten fabriziert hat. Nicht nur in archäologischer Hinsicht entdeckenswert.

Von Peter Richter

Bei der Fabrikation von Heiterkeiten, die Jan Vetter, gen. Farin Urlaub seit Jahrzehnten mit der Band Die Ärzte und allein betreibt, sind beim Hobeln auch Späne gefallen, die jetzt mal zusammengekehrt wurden, aber nicht in den Müll kamen, sondern auf Platte: Ja, liebe Klugscheißer, das Doppel-Album "Berliner Schule - Fragwürdige Heimaufnahmen 1984 bis 2013" ist schon ein paar Wochen in der Welt, aber manchmal dauert es halt, bis man auf was stößt.

Und nein: Ein Feststecken in der Pubertät ist nicht nötig, um das von Interesse zu finden. Relevant ist es schon in archäologischer Hinsicht. Die Abfallhalden verraten oft Wahrheiten, die von den Meisterwerken eher verschleiert werden. Erst durch die Bonus-CD zu The Cures superdepressiver "Seventeen Seconds" weiß die Welt, dass Robert Smith damals der Kajal verschmiert sein muss vor Albernheit: "I dig you / You dig me / We dig each other / That's groovy". In welchem Maße hingegen Westberlin noch bis kurz nach dem Mauerfall eine Stadt der Rockabillies und Psychobillies gewesen ist: Das ist als memorative Tonspur heute eigentlich nur noch in den frühen Songs von "Die Ärzte" aufbewahrt, besonders denen von Farin Urlaub. So klingen auch weite Teile seiner Ausschuss-Produktion wie eine Parodie auf Stray Cats et al.; das darf man sich durchaus so vorstellen wie die Holzschnitte aus dem Dürer-Umfeld, die einst den hohen Ton der Italiener gekonnt mit derbdeutsch Skatologischem karikierten. Farin Urlaub kontert alle Coolness des Pop mit Bravo-Lovestory-Gemeinheiten ("Bernd hat es gemacht / Obwohl er hässlich ist, hässlich ist wie die Nacht"), durch Kreativreime ("Kennt Ihr eigentlich Christine / Sie trägt immer einen Rock / Sie sieht aus wie so ein Model / Aus Brigitte oder Vogue"), haltlose Beschimpfungen ("Die Frauen sehen aus wie Kängurus / Und alle Männer heißen Bruce") oder simples Witze-Erzählen ("Sagt der Hund zum Gnu / Ich kann lauter bellen als du / Sagt das Gnu zum Hund / Und?") Kann sein, dass diese Songs nicht immer ausgereift sind. Aber wenn sie Bob Dylan den Nobelpreis hinterherwerfen, hat dieses Album den Deutschen Buchpreis verdient.

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SZ vom 05.01.2018
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