Süddeutsche Zeitung

Musik:Am Ende der Eiszeit

Beim Beginn des "Out Of The Box Festivals" im Werksviertel trotzen Instrumente und Skulpturen tropfend der Vergänglichkeit

Von Jürgen Moises

"Nun wisst ihr, was Eismusik ist". Das sagt Terje Isungset nach etwa einer halben Stunde. Laut Wetterbericht liegt die Temperatur bei ungefähr fünf Grad. Das ist zu warm für Schneefall und gerade kalt genug, damit das Eiskonzert von Isungset und seinen drei Mitmusikern auf der Dachterrasse der Rooftop-Bar Hoch 5 stattfinden kann. Immer mal wieder fallen Regentropfen auf das Dach im fünften Stock des Werk3 im Münchner Werksviertel am Ostbahnhof, von dem man einen wunderbaren Rundumblick hat: auf die Stadt, das leuchtende Riesenrad nebenan und etwas später auch den Vollmond, als sich dieser aus der dunklen Wolkenlandschaft schält. Im blauen Licht der Scheinwerfer sieht der Regen fast wie Schnee aus. Ein schneidender Wind sorgt ebenfalls für passende Atmosphäre.

Im vergangenen Jahr gab es sogar einen Schneesturm. Das hat Martina Taubenberger vor dem Konzert bei ihrer Begrüßung erzählt. Die künstlerische Leiterin der Whitebox im Werk 3 hatte den norwegischen Eismusiker bereits 2019 eingeladen, bei dem von ihr kuratierten Festival "Out Of The Box" zu spielen. Die Instrumente dafür hatte der 55-jährige Perkussionist und Komponist damals mit einem Eislaster aus Norwegen mitgebracht. Dieses Mal wurden die von Isungset gespielte Eis-Percussion und das Eis-Horn, der von Viktor Reuter gespielte Eis-Kontrabass und die von Erik Ask Upmark gespielte Eis-Harfe in Kärnten am Weissensee gefertigt. Der daran beteiligte Eiskünstler steht als "Roadie" mit auf der Bühne, um ungenutzte Instrumente vorübergehend in eine Kühlkiste zu packen, damit diese nicht schmelzen.

Tatsächlich fangen zumindest bei diesem ersten von insgesamt vier Konzerten die Eispulte auf der Bühne und die Eisskulpturen von Eric Mutel im Hintergrund gegen Ende stark zu tropfen an. Aber dass das Eis, dass die Natur vergänglich und verletzlich ist, genau das will Terje Isungset mit seinen Eiskonzerten, die er seit 20 Jahren veranstaltet, ja auch zeigen. Seit 2006 organisiert er in dem norwegischen Wintersportort Geilo auch das weltweit einzige Eismusik-Festival. "Das ist der Sound der Natur, pur, klar" und sogar trinkbar, sagt er über die Musik, die irgendwo zwischen Jazz, Weltmusik, Klangmalerei und Ethnopop pendelt. Die vom lieblichen Gesang von Maria Skranes geprägt und teilweise von der indigenen Musik der Samen beeinflusst ist, zuweilen aber auch an indische, an australische oder mongolische Klänge erinnert.

Bei Stücken wie "Arctic Ice Music" wirkt das manchmal schon etwas zu gefällig. Aber Isungset will ja nicht die Schrecken des Eises aufzeigen, sondern ein charmanter Botschafter der Eiswelt sein. Und das ist der Norweger mit den blonden Locken ohne Frage. Das dürfte vielleicht auch der Grund dafür sein, dass ihn Martina Taubenberger auch zum zweiten "Out Of The Box"-Festival eingeladen hat, bei dem die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung im Zentrum stehen sollen. Ähnliches gilt für das dänische Ensemble Between Music, das vom 31. Januar bis 2. Februar wie im vergangenen Jahr seine Unterwassermusik spielen wird.

Dazwischen wird es ein Wochenende lang um "Digitale Poesie" gehen (16. bis 19. Januar), in Form eines "Digital Storytelling Lab", eines Podiums zum Thema "digitale Kultur" oder eines "futuristischen Klavierkonzerts" von Ralf Schmid. Außerdem wird Alain Roche mitsamt Klavier an drei Tagen an einem Kran über dem Baugrundstück "Konzerthaus München" hängen (24. bis 26. Januar), um den Zuhörern darunter von 6.45 Uhr morgens an eine "bestürzende Hörerfahrung" zu bieten. Der belgische Konzeptkünstler Lawrence Malstaf schweißt für "Shrink" Akteure in Plastikfolie ein (25./26. Januar). Am 2. Februar geht das Festival dann mit Performances von Tatjana Busch und Emmanuel Witzthum, Auftritten von Münchner Musikern und Bands sowie einer "Out Of The Box Dance Night" zu Ende.

Out Of The Box Festival, noch bis 2. Februar, Werksviertel-Mitte, Atelierstraße, outofthebox.art

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SZ vom 13.01.2020
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