Musical:Ohne Abstand

Der Komponist Andrew Lloyd Webber plant in London demnächst wieder Musicals aufzuführen - und zwar mit der vollen Auslastung des Zuschauerraums.

Von Alexander Menden

Die sieben Londoner Theater, die der "Really Useful Group" angehören, haben in Coronazeiten Glück im Unglück. Unter dem Dach der Produktionsfirma des Musical-Komponisten und Impresarios Andrew Lloyd Webber waren sie vor den finanziell existenzbedrohenden Auswirkungen der Pandemie zunächst besser geschützt als andere privatwirtschaftlich geführte Häuser. Doch sehr lange kann auch ein internationaler Theaterkonzern mit enormen Fixkosten den totalen Stillstand nicht überleben, der in der britischen Bühnenlandschaft noch immer herrscht. Vergangene Woche erklärte das auf Wirtschaftsprognosen spezialisierte Unternehmen Oxford Economics, Großbritannien stehe aufgrund der Pandemie vor einer irreversiblen "Kulturkatastrophe". Es prognostizierte einen Umsatzrückgang von rund 82 Milliarden Euro in der Kreativbranche und den Verlust von 400 000 Arbeitsplätzen.

Andrew Lloyd Webber will dem nun als erster Produzent entgegenwirken und versucht, unter Coronabedingungen den Spielbetrieb im West End wieder aufzunehmen - ohne Mindestabstandsregeln. Für den Test hat er das London Palladium ausgewählt. Dort soll ein System eingeführt werden, das bereits in Südkorea bei einer Tourproduktion von Webbers Dauerbrenner "Das Phantom der Oper" im Einsatz ist. Die Produktion in Seoul wurde bei Ausbruch der Pandemie geschlossen, wiedereröffnet und dann wieder kurzzeitig eingestellt, weil ein Ensemblemitglied sich mit dem Corona-Virus infiziert hatte. Nun läuft sie wieder, und zwar unter Einsatz von Wärmebildkameras, die vor Betreten des Gebäudes die Temperatur jedes Besuchers messen. Erst wenn diese als unbedenklich angezeigt wird, kann man durch eine Luftschleuse das Theater betreten. Zu den weiteren Maßnahmen gehören unter anderem selbstreinigende, antibakterielle Türgriffabdeckungen. Das Publikum trägt während der Vorstellungen Mund-Nasen-Schutz.

Hauptziel des Versuchs ist es, herauszufinden, ob Vorstellungen ohne Social Distancing möglich sind. Das Palladium ist mit rund 2300 Plätzen das größte von Lloyd Webbers Londoner Theatern. Müsste man gewährleisten, dass zwischen den Zuschauern der Sicherheitsabstand gewahrt bleibt, müsste man rund 80 Prozent der Sitzplatzkapazität abbauen. Um zumindest auf eine schwarze Null zu kommen, brauchen die Theater aber eine Minimalauslastung von 50 Prozent. Der erste Testlauf im Palladium soll in der kommenden Woche beginnen.

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