Musical:Material der Seele

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Klaviatur des Zerbrechens: Susanne Kubelka und Neven Nöthig. (Foto: Lindemann)

Aus einem Leben wird Klang: das "Camille Claudel Atelier Musical" im Pathos

Von Egbert Tholl, München

An diesem Abend wird mal wieder deutlich, was für ein wunderschöner Theaterraum das alte Pathos ist. Ein Raum, der an sich schon eine Poesie hat, auch wenn im Keller das Wasser steht und die Feuerwehr vorbeikommen muss. Ach, das wäre schon ein Traum, aber ein aus der Realität geborener, nähme die Stadt ein wenig Geld in die Hand und renovierte das Gebäude, gerade so viel, dass sein Charme bleibt. Da bräuchte es wohl gar nicht so viel, und man müsste auch keine Angst haben, dass das Pathos dem noch seiner Entstehung harrenden Kreativquartier in Jutier- und Tonnenhalle im Weg umginge - was das Pathos kann und was es ausmacht, ist so speziell, dass es immer Nische sein wird, aber eine notwendige, eine, die man auch nie unter den Gastspielbetrieb der Kammerspiele subsumieren könnte.

Freilich, das Pathos kriegt ja Geld vom Kulturreferat, aber das geht halt für die Kunst drauf. Wie etwa ein ganz klein bisschen für das Gastspiel von Coop 05, das "Camille Claudel Atelier Musical". Das ist ein Zauberabend dreier Menschen, Susanne Kubelka, Neven Nöthig und Claudia Günster. Regie hat Nicola Nagel geführt, und Kubelka hat die Aufführung letztlich ersonnen, den Text zusammengestellt und auch viele Ideen zur Musik weitergereicht. So spielt nun Frau Günster Cello, Kubelka selbst lässt ein indisches Harmonium schnaufen - das muss man sich als eine Art Akkordeon auf einem Kinderwägelchengestell vorstellen - und Nöthig bläst in eine blaue Plexiglasblockflöte. Aber so beschrieben klingt das viel zu profan. Denn die Musik, und der Abend ist Musiktheater, ist immer da, einerseits als elektronische Aura, andererseits in französischen, schweren Liedern, da singen sie dann, da spielt Kubelka Klavier, und irgendwoher weht immer noch ein feiner Klang heran, durchzeiht diesen wundersam klaren und grandios tiefen Abend.

Kubelka übersetzt die Materialität der Skulpturen Camille Claudels in Klang. Aber auch in Liebe. Zu Rodin sagt Camille, die hier niemand anders als Kubelka ist, dass seine "Eichenhände" ihre Wohnung seien und sie in seinem Bart ihre Vögel züchten wolle. Gemeinsam arbeiten Rodin und Claudel im Atelier, und was sie erschaffen, klingt. Stein, Blecheimer - "Stein, Papier, Blut, Asche". Das ist Claudels Metapher, die an der Liebe zum älteren, bald sehr erfolgreichen Rodin litt, der ihr zwar das künstlerische Arbeiten - eine Frau im ausgehenden 19. Jahrhundert! - ermöglichte, sie aber auch zum Knecht des eigenen Genies machte. Camille war ihm Muse, Gehilfin, Geliebte, und als die Beziehung zerbrach, von der sie immer mehr gewollt hatte in ihrer Unabdingbarkeit als Künstlerin und Mensch, da zerbrach sie selbst wie die Klaviatur eines alten Klaviers in Kubelkas poetischem, traurigen Traum. Als Claudels Vater starb, der einzige in ihrer Familie, der sie immer unterstützt, verstanden hatte, versteckte die angstvolle Mutter die aufgelöste Camille im Irrenhaus. 30 Jahre lang. Bis zum Tod.

Wenn nun dunkel eine Videokamera über Skulpturen Claudels fährt und man das Schaben der Steine hört, dann versteht man ein Ringen um einen Ausdruck, von dem hier Klang bleibt.

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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