Süddeutsche Zeitung

Musical:Die Flammen der Liebe

Das Musical "Ring of Fire" bringt im Silbersaal des Deutschen Theaters die Erinnerung an Johnny Cash und June Carter zurück

Von Michael Zirnstein

Obwohl David M. Lutken einen Jetlag vom Flug über den Atlantik hat, und obwohl er noch nachts das Skript zu "Ring Of Fire" überarbeitet hat, hält es ihn nicht mehr auf dem Stuhl. In seiner ausschweifenden Erzählung von seiner einzigen persönlichen Begegnung mit Johnny Cash muss er ihn wenigstens einmal imitieren, nicht nur seine Stimme, sondern die ganze Gestalt. "Nur um zu beweisen, dass ich auch Schauspieler bin", sagt der Musik-Direktor und Mit-Autor des Musicals "Ring of Fire", das von der Deutschland-Premiere, von Mittwoch an, einen Monat lang im Silbersaal des Deutschen Theaters laufen wird (während eine andere Show im Gasteig, die "Johnny Cash Roadshow", die angeblich einzige von Cashs Familie empfohlene, nur am 12. November zu sehen ist).

1993 hat Lutken mit dem Country-Star gearbeitet, zumindest einen Tag lang. Der Schlacks aus Texas, der unter anderem Klassik und Kirchenmusik in den USA und in London studiert hatte, kam da zum ersten Mal am Broadway zum Einsatz. Bei einer Revue zu Ehren des amerikanischen Nationalhelden Will Rogers gab Lutken im New Yorker Palace Theatre den Running Gag: Immer wenn der Flugzeugpilot Wiley Post, mit dem Rogers über Alaska abgestürzt war, erwähnt wurde, musste Lutken im Publikum aufstehen. Diesen Part übernahmen bisweilen Prominente, vom Schwergewichtsboxweltmeister bis eben zu Johnny Cash. Der kam morgens samt Ehefrau June Carter und Tochter Rosanna im Theater an, aß mit Lutken zu Mittag, und der ließ ihn erzählen: über das Musikgeschäft, über sein Aufwachsen auf einer Baumwoll-Farm in Arkansas, speziell Cashs Besuche der Gottesdienste in den kleinen Kirchen interessierten Lutkens, denn sein Vater war Lehrer einer episkopalen Sonntags-Schule. "Sehr nette Leute, die Cashs", erinnert er sich.

In der Aufführung saß er neben dem Ehrengast und stupste ihn immer an, wenn er winken sollte. Das Publikum sei jedes Mal durchgedreht, also bat man Cash nach der Revue für einen Song auf die Bühne. Das Problem: Der damals 61-Jährige war - Tribut an ein Leben voller Exzesse - sehr schlecht beieinander. Der Weg aus der Loge zur Bühne führte über viele Stufen, und Cash sackte regelrecht in sich zusammen. Es sei okay, sagte June Carter, und Lutken hängte Cash die Gitarre um. In dem Moment setzt Lutkens kleine Imitation ein: Er strafft seinen Körper, nimmt die Gitarre Cash-mäßig wie ein Gewehr in Anschlag, und marschiert schnurstracks geradeaus, dabei sonor anstimmend: "Love is a burnin' thing . . . " Johnny Cash habe, so erklärt es sich Lutken, "seine ganze restliche Energie gespart, um das zu tun, was von ihm verlangt wurde, was ihm wichtig war."

Ein Jahr später, 1994, hatte Cash seine Auferstehung: Der Musikproduzent Rick Rubin begann seine American Recordings-Serie mit Rock-Covers und Cash-Klassikern mit ihm, und junge, linke Hipster auf der ganzen Welt entdeckten den Altmeister frisch für sich. "Für meine Generation war er ja nie weg", sagt Lutken. Die populären Songs des dritten Frühlings sollten Jahre später auch in der Broadway-Show "Ring of Fire" Raum bekommen. Aber nachdem Cashs Sohn John sich eingeschaltet hatte, wurden sie gestrichen zugunsten des traditionelleren Materials. Die Show hat sich mehrmals verändert, erzählt Lutken, der schon bei der Entwicklung dabei war und am Broadway in der Acht-Mann-Band als Gitarrist. Da sangen noch drei Schauspieler-Paare die Hits von "I Walk The Line" bis "Folsom Prison Blues". Als man nach einem Jahr durch die ärmeren Regionaltheater tingelte, schrumpfte die Besetzung zusammen, und die Musiker begannen, alle Rollen selbst zu spielen.

Lutken kam auch immer wieder nach Europa, etwa mit seiner ruhmreichen Hommage an Woody Guthrie, noch so einem US-Volkshelden. Am English Theatre in Wien erinnerte man sich daran und beauftragte ihn, mit "Ring Of Fire" wiederzukommen, allerdings - der biografische Film mit Joaquin Phoenix war gerade erschienen - nun nicht nur mit Musik, sondern auch mit mehr gespielten Szenen aus Cashs Lebens. Lutken gibt darin den alten, zurückblickenden Sänger - und lässt freilich seine Erinnerungen an die eigene Begegnung einfließen. "Er war so ein weltoffener Mann, auch offen für alle möglichen Formen des Entertainments", erklärt der Bandleader und denkt an Cashs Fiakerfahrt in einer Show von Peter Alexander durch Wien, "aber er blieb sich immer selbst als Künstler treu". Das bedeutet "I Walk The Line"; oder wie es Gunter Gabriel so trefflich übersetzte: "Sing's oder knurr's, ich bleib auf Kurs".

Das Musical ist allerdings komplett auf Englisch, oft in Südstaaten-Slang, was aber nur gut ist, denn im Mittelpunkt steht Cashs volksnahe wie tiefschürfende Musik aus Rockabilly, Folk, Gospel, Country und Blues. Und das sei noch immer die beste Botschaft, die aus der amerikanischen Kultur komme, findet Lutken. Deshalb lädt er auch einmal in der Woche bei freiem Eintritt zu einem "Hootananny" ins Lokal Vathos. Das sind gesellige Gemeinschaftssingen in der Tradition der Gewerkschaftsveranstaltungen mit Pete Seeger und Woody Guthrie im Zweiten Weltkrieg. Jeder darf sein Instrument mitbringen und einsteigen. David M. Lutken packt freilich auch seine Gitarre aus und singt Cash, nicht nur, weil es "ein großer Spaß" wird, sondern auch, um zu beweisen, dass er im Herzen ein Musiker ist.

Ring of Fire, 13. November bis 15. Dezember, Deutsches Theater

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SZ vom 12.11.2019
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