Süddeutsche Zeitung

Musical:Die ersten Schritte zum Erfolg

Seit 20 Jahren bildet die kleine Abraxas-Musical-Akademie Darsteller aus

Von Anna Stockhammer

Auf dem Schild an der Eingangstür steht "Bitte Schuhe ausziehen", gepolsterte Bänke und Sessel im Flur, die Atmosphäre ist heimelig. An den Wänden hängen Plakate von Musicalproduktionen, in denen Schüler und Absolventen Rollen ergattert haben. Jeder soll sehen: Wer hier lernt, kann was werden. In einem Studio proben ein paar Schüler eine Choreografie zu einer Nummer aus dem Musical "Fack ju Göhte", im Gesangszimmer übt eine Schülerin den Song für ihre Abschlussprüfung, "Dear Future Husband" von Meghan Trainor. Zwei Stockwerke, verbunden durch eine Wendeltreppe, nicht mehr als zehn Räume: Das ist die Abraxas-Musical-Akademie in Obersendling.

Toralf Vetterick ist einer der Gründer der Akademie. Sieben Jahre lang war er Balletttänzer an der Deutschen Staatsoper in Berlin und später Musicaldarsteller mit Engagements am Gärtnerplatztheater. Der 54-Jährige stellte Mitte der 90er Jahre fest, dass es München an professionellen Musicalausbildungen mangelte. Dort bot damals einzig die Theaterakademie August Everding einen entsprechenden Studiengang an. Um daran etwas zu ändern, gründete Vetterick mit dem Regisseur Michael Kitzeder 1998 die Abraxas-Musical-Akademie, Bayerns erste private Musicalschule. Heute, 20 Jahre später, gibt es deutschlandweit 27 Ausbildungsmöglichkeiten für Musicaldarsteller, 23 private, vier staatliche. In München kann der Beruf außer an der Theaterakademie noch an der privaten "Munich International School of Arts" und eben der "Abraxas" gelernt werden.

Heute sind Toralf Vetterick und Kitzeder noch immer Leiter der inzwischen Bafög-berechtigten Schule. Dezidiertes Ziel der Akademie ist: die Absolventen auf die Bühne bringen. "Ich sag immer zu den Schülern, ich will eine Freikarte, deswegen bilde ich euch aus", scherzt Vetterick. Intern wurde der Geburtstag der Akademie schon gefeiert, am 1. Mai gibt es dann die offizielle Jubiläumsfeier mit einem Tag der offenen Tür, kleinen Aufführungen und Unterricht für alle, die wissen wollen, ob eine Ausbildung an der Akademie etwas für sie sein könnte. Die dreijährige Ausbildung kostet zwischen 565 und 625 Euro im Monat, derzeit lernen dort 44 Schüler bei 16 Dozenten. Neben Tanz, Gesang und Schauspiel stehen Fächer wie Deutsch und Ethik auf dem Lehrplan.

Die Musicaldarstellerin Barbara Obermeier, derzeit am Staatstheater Darmstadt in "Kiss me Kate" zu sehen, und Nina Steils, Schauspielerin am Volkstheater, sind nur zwei der Absolventen der Abraxas, die erfolgreich am Theater arbeiten. Jährlich schickt die Abraxas-Musical-Akademie etwa zehn Absolventen auf den Markt, 80 Prozent von ihnen könnten irgendwann von der Ausbildung leben, sagt Vetterick. Einige stünden auf großen Bühnen, andere würden unterrichten oder Filme synchronisieren, eine sei inzwischen Wetterfee bei Sat1. Während von Fans des konventionellen Opernbetriebs oder Musikern aus klassischen Orchestern noch hin und wieder auf das Musical herabgeschaut wird, entwickelt sich das Musical auch in Deutschland langsam weiter und euphorisiert nach wie vor die Massen. "Die Leute geben viel Geld dafür aus. Eine Familie mit zwei Kindern die in "Mary Poppins" geht, zahlt mal lässig 300 Euro", sagt Vetterick.

Ihm ist wichtig, seinen Schülern sowohl klassische als auch moderne Stücke näherzubringen, wie eben "Fack ju Göhte", eine Neukomposition nach dem gleichnamigen Film, die bis vergangenen Herbst im Münchner Werk 7 zu sehen war. "Musical kann mehr als nur Halligalli und schön", sagt der ehemalige Profi-Tänzer. Bei der Abschlussvorstellung der Absolventen soll in diesem Jahr ein gesellschaftskritisches Stück aufgeführt werden: In "Grimm", mit der Musik von Thomas Zaufke und den Texten von Peter Lund, geht es um Ausländerfeindlichkeit und Grenzen.

Wenn Vetterick auf die 20 Jahre zurückblickt, ist er stolz, dass seine Schule überlebt hat. Immer wieder hätten private Musicalschulen auf- und wieder zugemacht, die Abraxas-Musical-Akademie habe sich hingegen konstant weiterentwickelt. Viel verändert habe sich dennoch nicht. Die Schule gehört nach wie vor zu den kleineren. Vetterick will das es auch so bleibt. Er kennt alle Schüler beim Vornamen und weiß immer, wer gerade woran arbeitet. Es bleibt bei dem Schild an der Tür, den zwei gemütlichen Stockwerken und den zehn Räumen in Obersendling.

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Quelle:
SZ vom 23.04.2019
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