Serie: Jetzt im Museum:Die Dinge des Lebens

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Ein Film vom anderen Ende der Welt: In "Tales of the Copper Cross Garden: Episode I" (2017) zeigt Sammy Baloji, wie Arbeiter im Kongo Kupferdraht herstellen.

(Foto: Axel Schneider)

Ein Film aus dem Kongo, Laubsauger, schnaufende Motoren: Die Sammlung des Frankfurter Museums für Moderne Kunst zeigt beispielhaft, dass zeitgenössische Kunst sich nicht einfach auf dem Markt "shoppen" lässt.

Von Catrin Lorch

Die Männer tragen fleckige Kittel, schwere Schuhe, sie gehen ruhig ans Werk. Mal öffnen sie an diesem gewaltigen Ofen eine Klappe, dann regulieren sie die Hitze, leiten glühendes Metall in lange Rinnen. Der Film des kongolesischen Künstlers Sammy Baloji "Tales of the Copper Cross Garden: Episode I" (2017) zeigt, wie in einer Fabrik in seiner Heimat Kupferdrähte hergestellt werden. Offensichtlich fast in Handarbeit. Ruhige Bilder und gemächliche Schnittfolgen dokumentieren die Arbeitsabläufe und die Herstellungsbedingungen eines Materials, das als Leitungen in dicken Kabelbündeln auf der ganzen Welt gefragt ist.

Derzeit wird der Film als Projektion im "Tower" des Frankfurter Museums für Moderne Kunst (MMK) gezeigt, wo die Direktorin Susanne Pfeffer vor allem neue Erwerbungen und selten gezeigte Werke aus dem Depot präsentiert. Und weil man aus dem Fenster direkt auf die Bürotürme des Bankenviertels blickt, wirken die Bilder von der afrikanischen Schwerindustrie unmittelbar verbunden mit der City - man kann sich vorstellen, dass die Kupferleitungen als pulsierende Nachrichtenbahnen die Hochhäuser wie Adern durchziehen.

Einmal im Jahr muss die Direktorin ihre Ankäufe im Magistrat der Stadt vorstellen - und erklären

Dass direkt nebenan ein kleiner Motor unablässig rotiert und schnauft, passt ebenfalls perfekt: Auch "Rosaire" (2012) ist ein aktueller Ankauf. Der sauber aufgeschnittene Motor, den der Frankfurter Künstler Thomas Bayrle auf der Documenta ausgestellt hat, erinnert mit seinem Rattern an Fortschrittsglauben, an die Schönheit von Maschinen, spielt aber beiläufig auch auf die Geschichte des Readymades an. Die Projektion und der Motor, das Bild und die Skulptur bedürfen als Kunstwerke durchaus der Erklärung. Man kann sich vorstellen, wie Susanne Pfeffer für diesen Ankauf geworben hat, einmal im Jahr muss sie alle anstehenden Erwerbungen für ihr von der Stadt getragenes Museum im Magistrat vor den Stadtverordneten vorstellen. Wobei sie das weniger als Pflicht denn als Privileg empfindet. Es sei sehr gut, sagt die Direktorin, mit der parlamentarischen Öffentlichkeit über Kunst zu sprechen, über Ankäufe und die Entwicklung der Sammlung.

Serie: Jetzt im Museum: Susanne Pfeffer, Direktorin des Frankfurter Museums für Moderne Kunst (MMK).

Susanne Pfeffer, Direktorin des Frankfurter Museums für Moderne Kunst (MMK).

(Foto: Alexander Paul Englert / Frankfurt am Main)

Auch wenn Susanne Pfeffer als Kuratorin international bekannt wurde - spätestens seit sie mit Anne Imhof im Deutschen Pavillon den Goldenen Löwen auf der Biennale von Venedig holte -, so stehen im Museum die Ausstellungen nicht im Mittelpunkt. Sondern vor allem die Sammlung, das, was in den Schausälen und Depots für die Ewigkeit bewahrt wird. Diese auf Unendlichkeit angelegte Verpflichtung hebt öffentliche Museen ab - von all den anderen Ausstellungshäusern, Kunsthallen, Galerien oder privaten Showrooms.

Schon deswegen hat sich Pfeffer vor ihrer Berufung erst einmal kundig gemacht - anhand von Abbildungen und vor den Regalen in den Lagern. "Im ersten Jahr habe ich ganz langsam gekauft, nicht viel", erzählt sie. "Es ist eine große Verantwortung. Man will ja etwas kaufen, das auch spätere Generationen beschäftigen wird." Das MMK verdankt seine Gründung dem Ankauf der Sammlung Ströer, hoch gehandelter amerikanischer Pop-Art. Die Kollektion war wertvoll, wartete aber nachgerade darauf, von kundigen Fachleuten weiterentwickelt zu werden. Jean-Christophe Amman, der erste Direktor, ergänzte die bis dahin rein weiße, männliche Künstlerliste um die Namen vieler Malerinnen. Im Tower hängt beispielsweise gerade Marlene Dumas' düstere Figur "The Guard" über Eck mit einer unbetitelten Zeichnungs-Suite von Sylvia Bächli, die Pfeffer von schweren Buchenleisten befreit hat und in einem silbrig glänzenden Rahmen auf tiefblau gestrichenen Wänden präsentiert.

Jetzt im Museum

Damit die Kunst wieder sichtbar wird, zeigt die SZ aktuelle Ankäufe aus deutschen Häusern. Folge 1: Zeitgenössische Kunst im Museum Moderne Kunst in Frankfurt.

So eine Präsentation wirkt wie eine Geschmacksentscheidung. Doch prägen Vorlieben längst nicht mehr den Umgang mit den Kollektionen, auch wenn das Wort "Ankauf" so klingt, als ginge die Direktorin auf Einkaufstour. Schon weil die Kunstgeschichte bis heute Figuren wie Hugo von Tschudi feiert, der an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert den Impressionismus in die Berliner Museen holte. Nach der Zäsur der NS-Diktatur, die alle Avantgarden verschleuderte und im Holocaust bedeutende Künstler, Sammler und Händler verfolgte, vertrieb und enteignete, wurde die Sammlungspolitik in der Nachkriegszeit zentral. Direktoren wie Werner Schmalenbach etablierten mit dem Aufbau der Kunstsammlung NRW - die vor allem Gemälde der Moderne als Meisterwerke feiert - die Bundesrepublik wieder als gewichtigen Akteur in der westlichen Kunstszene.

Es geht darum, den "westlichen Kanon aufzubrechen"

Als Kunsthistorikerin sieht sich Pfeffer in der Pflicht, genau diesen "westlichen Kanon aufzubrechen". Susanne Pfeffer und ihre Kollegen stehen nicht nur einer größer gewordenen Kunstwelt gegenüber, die sich statt zwischen New York und Paris jetzt zwischen Lagos und São Paulo entfaltet. Nachkriegskünstler unterliefen den Ewigkeitsanspruch des Museums mit "Fettecken" (Joseph Beuys). Und die aktuell hoch gehandelten Zeitgenossen entziehen sich mit cleveren Konzepten dem Markt. Das "Bouquet" der Niederländer Jeroen de Rijke und Willem de Rooij in der Sammlung des MMK besteht eigentlich nur aus der Anleitung, wie ein Florist die Blumen zusammenstecken soll. Wer ein Werk des international gefeierten Tino Sehgal für ein Museum ankauft, darf nicht einmal einen Kaufvertrag aufsetzen.

Die beiden Laubsauger, die im Eingang der Ausstellung vor ein paar Fahrrädern auf dem Boden liegen, werden die Verwaltung des Museums viele Stunden beschäftigt haben. Denn diese Werke des amerikanischen Künstlers Cameron Rowland kann man nicht ankaufen. Rowland hat sein Material - Fahrräder, Kinderwagen oder eben Laubsauger - bei Auktionen der amerikanischen Polizei gekauft. Die darf an "Tatorten" alles sicherstellen, was im Zusammenhang mit einem Verbrechen stehen könnte. Also auch Kinderfahrräder - die später allerdings zugunsten des Polizei-Etats versteigert werden dürfen.

Als Installation verweist "Group of 11 Used Bikes" (2018) auf die Willkür polizeilicher Gewalt in den USA, ist im besten Sinn zeitgenössisches Readymade und schließt auch an die in Gemälde verwandelten Zeitungstitelseiten eines Andy Warhol perfekt an. Doch bei allem künstlerischen Wert - wer will am Unrecht verdienen? Der Künstler, der beim Verkauf den "Gewinn" einstreicht? Das Museum, das sich über einen "Wertzuwachs" in seinen Büchern freut? Der Preis für die Arbeit errechnet sich jetzt aus der Rechnung des Auktionators, verteilt auf die Leasingraten eines Vertrags, der zunächst - wie bei einem Autokauf - über die Zeit von fünf Jahren läuft. Solange so eine Arbeit ausgestellt ist, profitiert vor allem einer: das Frankfurter Publikum.

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