Museum Kunst der Westküste:Alles Föhr die Schollenliebe

Im Zeichen der Ebene und des Himmels: Ein neues Privatmuseum auf der Nordseeinsel Föhr feiert die Kunst der Küste.

Kia Vahland

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Im Zeichen der Ebene und des Himmels: Ein neues Privatmuseum auf der Nordseeinsel Föhr feiert die Kunst der Küste.

Landschaft, das ist im Norden immer: Himmel. Die Wolken, die miteinander raufen und tanzen oder einfach nur faul in der Luft hängen. Auf Föhr stiehlt ihnen nicht einmal das Meer die Schau, denn die Wellen toben sich vor Amrum und Sylt aus und kullern dann besänftigt auf das küstennahe Föhr zu. Alles sutje hier, ohne Hektik. Weit und grün liegt die Insel da, im Hinterland ist der Boden saftig und ernährt noch heute Landwirte. Wer von dem Hafenort Wyk in das alte Dorf Alkersum radelt, kurvenfrei über das platte Land, tritt gegen den Wind und sonst gar nichts. Abgeschieden mag man sich hier fühlen, bis zum fernen Horizont geschützt vor zu viel Welt.

Max Liebermann, "Badende Knaben", 1902

Alle Fotos entstammen dem Museum Kunst der Westküste

Text: Kia Vahland/SZ vom 20.8.2009/jeder

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Das aber ist so und ist nicht so. Denn die Föhrer sind Kosmopoliten und verstehen sich darauf, die Ferne stückchenweise auf ihre 82 Quadratkilometer zu holen - ohne deshalb auch nur eine Heuernte oder ein Ringreittunier zu verpassen. Ein bisschen Walfängerseele haben sie sich bewahrt auf der Insel. Rund 100 der außer plattdeutsch meist auch friesisch sprechenden Bewohner besitzen amerikanische Pässe; noch in der Nachkriegszeit wanderten die Insulaner straßenweise nach New York aus und zurück. Was ein so großer Sprung nicht ist, da eine friesische Gemeinde in Manhattan seit Generationen Tante-Emma-Läden unterhält. Die vielen New Yorker Föhrer treffen sich zum Grünkohlessen, gehen in Tracht zur Steubenparade, betreiben einen "Krankenunterstützungsverein" für ihre Alten. In der Nazizeit schlug der Regionalismus in Chauvinismus um und einige Auswanderer versammelten sich als "Ortsgruppe Bronx" unter einer Hakenkreuzfahne. Das freilich will heute niemand mehr wissen. Lieber betonen die Insulaner, wie einzigartig weltläufig ihre Schollenliebe ist.

Peder Severin Krøyer, "Drei Fischer ziehen ein Boot", 1885

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Dafür haben sie nun ein starkes neues Argument. Es steht in Alkersum, versteckt sich unter Reetdach, lässt aber mit kühl hellgrau getünchten Backsteinwänden ahnen, dass die Bauherren sich an bester skandinavischer Gegenwartsarchitektur messen. Der Architekt Gregor Sunder-Plassmann hat hier in mehreren verwinkelten Gebäudeteilen das "Museum Kunst der Westküste" gebaut und damit der umfangreichen Privatsammlung von Küstengemälden des Pharmaunternehmers Fredrik Paulsen eine Heimat gegeben - beziehungsweise der Heimat jene Kunst zurückgegeben, die sich dem hohen Himmel, den langen Strandlinien und der ruhigen Geometrie von Viehweiden auf plattem Land verdankt.

Isaac Israels, "Das frische, zeitige Frühjahr auf der Seebrücke von Scheveningen", undatiert

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Denn nicht nur die Föhrer brachten die Welt nachhause, auch die Künstler reisten um 1900 an die Küsten. Der Süden, Italien vor allem, war bereits an frühere Generationen vergeben. Wer den Vesuv malen wollte, der hatte immer schon eine Galerie voller Bilder vor dem inneren Auge, bevor er nur aus der Eisenbahn ausgestiegen war. Wie anders dagegen der Norden von den Niederlanden bis Norwegen: Hier konnte sich ein Maler als Pionier fühlen, konnte im Herben der Landschaft ein Zeichensystem ausmachen, das zur anbrechenden Moderne besser zu passen schien als die lieblichen Hügel der Toskana. Dass das deutsche Flachland jenseits der Hafenanlagen damals noch weit von der Industrialisierung entfernt war, störte die landlustigen Künstler und Literaten der Jahrhundertwende nicht. Im Gegenteil: Das Unwirtliche wurde ihnen zum künstlerischen Neuland, in den Mühen der Landwirte schienen sich die Zumutungen der Gegenwart zu spiegeln und die Wortkargheit der Friesen stieg auf zur Metapher der Einsamkeit des modernen Menschen. Rainer Maria Rilke, regelmäßiger Sommergast in Worpswede, frohlockte: "Woran unsere Väter in geschlossenen Reisewagen, ungeduldig und von Langeweile geplagt, vorüberfuhren, das brauchen wir. Wo sie den Mund auftaten, um zu gähnen, da tun wir die Augen auf, um zu schauen, denn wir leben im Zeichen der Ebene und des Himmels."

Otto Heinrich Engel, "Strandleben am Abend", 1911

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Der Himmel trieb Künstler wie den Berliner Otto Heinrich Engel auch nach Alkersum. Hier tischte die resolute Wirtin Grethjen Hayen in ihrem Gasthof auf. Auf die Wirkung des Visuellen verstand sie sich nicht weniger als ihre Gäste: Die korpulente Dame mit Friesenhaube und traditionellem Kettenschmuck ließ ihr Konterfei auf Tassen und anderen Mitbringseln anbringen. Das alte Wirtshaus gibt es nicht mehr, aber der Nachbau Sunder-Plassmanns hätte auch Grethjen gefallen - nicht nur, weil ihr Abbild nun in Serie in den Sprossenfenstern hängt. Der Architekt hat den an der Straßenseite gelegenen Gasthof einfach zum Zentrum des Museums erklärt; die eigentlichen Ausstellungsräume sind nur seine Triebe, die in den Garten ausschlagen.

Das Büro Sunder-Plassmann entwarf bereits das Haus der Sammlung Scharf-Gerstenberg in Berlin und das Pommersche Landesmuseum in Greifswald, zur Zeit tüfteln die Architekten an Orhan Pamuks "Museum der Unschuld" in Istanbul auf nur 4,5 Metern Breite. Die gegenteilige Aufgabe, etwas Großes im Kleinen zu verstecken, nämlich ein ganzes Kunstmuseum in einem Friesendorf, war ähnlich vertrackt. In Alkersum, wo jede Bushaltestelle ins Auge sticht, würde ein Neubau schnell als Fremdkörper empfunden. Jetzt sieht man von vorne nur eine ortstypische weiße Gaststätte und ein reetgedecktes Nachbarhaus. Im Inneren ist der luftigste Raum der Festsaal mit Platz zum Schwoofen. Die Malerei dagegen hängt in einem verschachtelten Raumgefüge, getrennt nach Ländern und oft bis unter die Decke. An die Enge muss man sich gewöhnen; der von Mischa Kuball mit einer Lichtinstallation bespielte Verbindungsgang etwa stimmt schwermütig wie ein lichtloser Wintertag im Nieselregen.

Saal 3 des Museums Kunst der Westküste

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Den Kunstwerken aber schadet die Nähe zueinander nicht. Zwar erzählen alle von der Nordseeküste, vom Gang der Wellen und vom Wind, der die schwarz gewandten Friesenfrauen ebenso durchpustet wie hell gekleidete Städterinnen auf Sommerfrische. Aber redundant wirkt die Schau dennoch nicht, zu sehr unterscheiden sich Mal- und Denkweisen.

Die Norweger halten es mit der tosenden, gischtsprühenden Romantik Johan Christian Dahls und der nervösen Egozentrik Edvard Munchs, für den die Naturkräfte Seelenspiegel sind. Die Dänen aus Skagen machen lieber gleich den Menschen stark: den Fischer als Helden zu Wasser und zu Lande. Bei den Künstlern in Deutschland und Holland reicht die Spanne von den betulichen Heimatbildern Carl Ludwig Jessens über ein aufwühlendes Dünenstück Fritz Overbecks bis hin zu Max Beckmanns braunblauem Meisterwerk eines Strandes bei Flut: Seine Wellen ziehen erst Linien in den Sand und überspülen gleich darauf wieder jede Kontur des Pinselstriches. Wo Beckmann die Grenzen des Graphischen austestet, schwelgt Max Liebermann im Pastosen. Knietief lässt er seinen Bademeister durch das Meer waten als sei es ein umgeworfener Farbtopf.

Mit der Präsentation dieser Sammlung stärkt Paulsen den Stolz der Insulaner. Er selbst hat zwar familiäre Wurzeln in Alkersum, wurde aber in der schwedischen Emigration geboren. Am besten wissen den friesischen Himmel eben jene Nordleute zu schätzen, die einmal weggehen mussten.

Museum Kunst der Westküste in Alkersum auf Föhr, www.mkdw.de

Saal 1 des Museums Kunst Westküste

© s.de
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