Italienische Museen:Innere Erosion

Gabriel Zuchtriegel is the new director of the Paestum Archeologi

Die antiken Stätten in Paestum, geleitet von dem Deutschen Gabriel Zuchtriegel.

(Foto: dpa)
  • Durch eine internationale Ausschreibung gelangten 2015 viele Nicht-Italiener an Direktorenposten in italienischen Museen, darunter auch drei Deutsche.
  • Was daraufhin geschah, war ein erstaunlicher Erfolg: Die Besucherzahlen der Museen stiegen, die Schlangen schrumpften, die Erträge wuchsen.
  • Nun verlassen viele der erfolgreichen Direktoren Italie. Liegt das am wachsenden Nationalismus?

Von Thomas Steinfeld

Es war August, als das italienische Kulturministerium bekannt gab, wer fortan die zwanzig größten italienischen Museen leiten sollte. Es hatte, zum ersten Mal in der italienischen Geschichte, eine internationale Ausschreibung gegeben. Viele Nicht-Italiener hatten sich beworben, etliche wurden zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, am Ende waren sieben Ausländer unter den Auserwählten: drei Deutsche, zwei Österreicher, ein Kanadier und ein Franzose.

Im Ausland war man erstaunt, manchmal geschmeichelt, in Italien wurde vernehmlich gemurrt, zumal sich die Berufungen mit einer Reform des Museumswesens verband, die zumindest den großen Häusern eine relative ökonomische Autonomie verlieh: Sie dürfen seitdem mit einem Budget wirtschaften. Mit den neuen Kräften, versprach Dario Franceschini, der damalige Kulturminister, werde man die Museen aus dem 19. ins 21. Jahrhundert befördern.

Das alles ist einige Zeit her, es geschah im Jahr 2015. Die Kritiker der Initiative lagen am Strand, wie ihre Befürworter auch. Doch was daraufhin geschah, war ein erstaunlicher Erfolg: Die Besucherzahlen stiegen, die Schlangen schrumpften, die Erträge wuchsen, und die Museen sahen besser aus als je zuvor.

Jetzt ist es wieder August, und weil die Verträge damals für eine Frist von vier Jahren geschlossen wurden, müssen sie nun verlängert werden (was man in Italien nur einmal tun kann). Doch es ist, den Erfolgen zum Trotz, als wäre der große Plan zur Internationalisierung der Museen von einer inneren Erosion erfasst worden: Peter Aufreiter, der Direktor der Galleria Nazionale in Urbino, wechselt zum Technischen Museum in Wien. Eike Schmidt, der Direktor der Uffizien, des berühmtesten aller staatlichen italienischen Museen, soll im November die Leitung des Kunsthistorischen Museums in Wien übernehmen.

Italien habe lange das gemeinsame europäische Erbe beschworen. Jetzt gehe es nur noch um nationale Traditionen, klagte ein Museumsmann.

Peter Assmann, der Chef des Palazzo Ducale in Mantua, wird zu den Tiroler Landesmuseen in Innsbruck gehen. Italien, sagt er, sei von einem heftigen Nationalismus ergriffen worden. Dazu gehöre der Hass, der Carola Rackete, der Kapitänin der "Sea Watch", in den Medien entgegenschlage ebenso wie das wachsende Ressentiment gegen Ausländer auf Direktorenposten. "Jahrzehntelang haben die Italiener, auch mit Blick auf internationale Fördermittel, bei den Kunst- und Kulturschätzen das gemeinsame europäische Erbe beschworen. Jetzt geht es bei den Altertümern nur noch um die eigene, nationale Tradition."

Keinem der Direktoren wird vom italienischen Kulturministerium indessen so mitgespielt wie Cecilie Hollberg, der Leiterin der Galleria dell'Accademia in Florenz, des Museums, in dem nicht nur Michelangelos David steht, sondern das auch über die weltweit größte Sammlung von Gemälden aus der frühen italienischen Renaissance verfügt. Im Juni erfuhr sie aus den Zeitungen, dass ihr Museum im Herbst seine Selbständigkeit verlieren wird, zugunsten eines Verbunds mit den Uffizien.

Und als am Montag die Namen der ersten neun Direktoren veröffentlicht wurden, deren Verträge jetzt verlängert wurden, war zwar der Name Gabriel Zuchtriegels dabei, des deutschen Direktors der antiken Stätten in Paestum. Cecilie Hollberg aber wurde nicht genannt, obwohl man ihr (mit dem Vorbehalt, die Strukturen könnten sich verändern) die Verlängerung noch im Juni angeboten hatte und sie eigentlich bei dieser ersten Runde hätte dabeisein müssen. In der Pressemitteilung vom Montag heißt es indessen, dass die Posten in Urbino und Mantua auf der Grundlage einer internationalen Ausschreibung neu besetzt werden sollen.

Das Amt eines Museumsdirektors in Italien ist, jedenfalls, wenn es um ein Museum von nationaler Bedeutung geht, nicht mit einem formal gleichen Amt in Deutschland zu vergleichen. Gewiss, es geht in beiden Fällen um Museen, um Kunstgeschichte, um die Erhaltung, Pflege und Öffentlichkeit von Kulturschätzen, um Klimaanlagen, Besucherführung und Sicherheit. Anders als in Ländern nördlich der Alpen sind Kunst und Kultur in Italien indessen hochrangig politische Angelegenheiten.

Ein Deutscher an der Spitze eines Museums in Italien, das ist ungefähr, als leite ein Ausländer eine deutsche Polizeibehörde.

Deswegen gibt es in der nationalen Regierung einen Kulturminister. Und deswegen verfügt dieser Kulturminister über einen Generalsekretär und ein Amt mit fast zwanzigtausend Angestellten, in dem im Bereich der "beni culturali", der Kunst- und Kulturschätze, nahezu alle Aktivitäten von überregionalem Interesse zusammengefasst und kontrolliert werden.

Auch deswegen bedeutete die Berufung von Ausländern einen radikalen Wandel: So, wie man es sich in Deutschland nicht vorstellen könnte, einen Ausländer zum Direktor einer großen Polizeibehörde zu ernennen, so erschien es in Italien als unmöglich, einen Ausländer zum Leiter eines großen Museums zu machen.

Aus der politischen Bestimmung, die mit dem Amt eines Museumsdirektors verbunden ist, ergeben sich Folgen für die praktische Arbeit. Auf der einen Seite entsteht eine Nähe zur Parteipolitik, die eine eigene Form des Lobbyismus für die Museen notwendig werden lässt. Wenn zwei Kommunalpolitiker aus Florenz das Kulturministerium in Rom besuchen, um für die Selbständigkeit der Accademia zu plädieren, könnte dies eher schaden, wenn es sich dabei im Politiker des "Partito Democratico" ("PD"), der sozialdemokratischen Opposition, handelt, die Politiker der nationalistische "Lega" oder der radikaldemokratischen "5 Stelle" besuchen.

Selbstverständlich verträgt sich diese Abhängigkeit nur schlecht mit der prinzipiell langfristig angelegten Arbeit in einem Museum. Für die Installation einer neuen Klimaanlage, sagt Cecilie Hollberg, habe sie mehr als drei Jahre kämpfen müssen - die jetzige ist 40 Jahre alt, in einigen Sälen gibt es gar keine. Jetzt beginnen die Arbeiten, während die Zukunft sowohl des Museums wie seiner Direktorin zu einer höchst unsicheren Angelegenheit geworden sind. Indessen war es nie unbekannt, wie italienische Kulturpolitik funktioniert: Ein neuer Minister will Zeichen setzen, die "Lega" wie die "5 Stelle" sind nationalistischer gesonnen als der "PD", verfügen aber über weniger Fachleute für die Kulturarbeit, weshalb es zu überraschenden Besetzungen kommt - und so geht das fort.

Auf der anderen Seite verlangt die politische Bestimmung der großen italienischen Museen eine starken Bindung an die Region und deren Wähler. Von den Anwälten des "territorio" wurde die Internationalisierung der großen Museen von vornherein mit starkem Misstrauen begleitet, etwa in Gestalt des Kunsthistorikers Tomaso Montanari, der sich in unzähligen Publikationen gegen das Prinzip des "events" und gegen den Zentralismus im Kulturbetrieb wehrt und für eine Erneuerung der Museen aus dem Geist der Kommune plädiert, wobei seine Vorstellungen manchmal identitäre Züge annehmen.

Die Direktorin hätte gern die Ergebnisse ihrer Arbeit erlebt. Dazu kommt es wohl nicht.

Alle neuen Direktoren haben auf solche Ansinnen reagiert, erfolgreich, in Gestalt von Freundeskreisen oder familienfreundlichen Angeboten. Der Vorbehalt, die Region im Zweifelsfall zu verraten, ist deswegen nicht verschwunden. Tomaso Montanari sitzt seit Juni im wissenschaftlichen Beirat der Uffizien. Und allen Dementis zum Trotz wollen die Gerüchte nicht verstummen, die in Montanari den neuen Direktor eines um die Accademia erweiterten Verbunds sehen wollen, in deren Mitte dann die Uffizien stehen würden. Erfahrungen in der Leitung eines Museums besitzt Montanari nicht, wiewohl es vor allem die "5 Stelle" gern gesehen hätten, wenn er in der jetzt amtierenden Regierung (die wohl nicht mehr lange bestehen wird) das Amt des Kulturministers übernommen hätte.

"Ich habe einen Auftrag erhalten", sagt Cecilie Hollberg: "Gerne hätte ich die zum Greifen nahen Ergebnisse der langwierigen Ausschreibungen und Vorarbeiten selbst erlebt. Aber ich hinterlasse ein wohlgeordnetes Haus." Ihr Schicksal wird sich vermutlich erst entscheiden, wenn die Namen der Direktoren veröffentlicht werden, bei denen noch nicht bekannt ist, ob ihre Verträge verlängert werden (Capodimonte in Neapel und die Brera in Mailand vor allem) - und wenn bekannt wird, was mit den Uffizien geschehen wird. Gegenwärtig erscheint es nicht einmal als völlig ausgeschlossen, dass Eike Schmidt bleibt.

Wahrscheinlich wird sich auch erst dann erweisen, wie und warum es zu jener inneren Erosion in der Leitung der großen italienischen Museen kam: Aus Nationalismus, aus parteipolitischen Gründen, auf der Grundlage von identitären Fantasien, um die Macht der Zentralbehörde zu stärken oder warum auch immer. Vom Standpunkt der Museen und ihres Publikums betrachtet, ist der Schaden, der durch die jüngsten Querelen entstanden ist, allerdings schon beträchtlich.

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