Museum:Die Macht der Vorbilder

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Provenienzforschung und aktuelle Kunstprojekte am Museum Fünf Kontinente

Von Susanne Hermanski, München

Es gibt wenige Stücke von solcher Bedeutung wie den "Blaue-Reiter-Pfosten" im Museum Fünf Kontinente. Die Künstler der Gruppe "Blauer Reiter" waren so beeindruckt von dem Hauspfahl, der knapp 20 Jahre zuvor aus Kamerun nach München gekommen war, dass Franz Marc und Wassily Kandinsky eine Abbildung davon 1912 in ihren "Almanach" aufgenommen haben. Die geschnitzte Arbeit ist immer wieder auch solitär ausgestellt worden. Sie ist das prominenteste Stück der Sammlung des bayerischen Offiziers Max von Stetten (1860 geboren in Nürnberg; 1925 gestorben in München), der Leiter der Polizeitruppe in Kamerun und Kommandeur der sogenannten "Kaiserlichen Schutztruppe" in Kamerun war. Er hat dort 200 Objekte teils erbeutet, teils gekauft und 1893 bis 1896 mit nach München gebracht. Eingeflossen sind diese Artefakte in die königliche Sammlung, die später im heute so genannten "Museum Fünf Kontinente" aufging und früher - aus heutiger Sicht politisch unkorrekt - "Völkerkundemuseum" hieß.

Nun wollen Wissenschaftler aus Bayern und Kamerun gemeinsam der Provenienz dieser Stücke auf den Grund gehen und klären, ob sie zurückgegeben werden sollten. Das Projekt hat bereits vor drei Monaten begonnen, wird vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste und Bayerns Wissenschaftsministerium gefördert, und ist zunächst für ein Jahr finanziert. "Die Zeit wird nicht reichen", prognostizierte die Direktorin des Museums Uta Werlich bei der Jahrespressekonferenz am Mittwoch. Die Aufzeichnungen, die zu den Objekten in München existieren, sind spärlich, nur zu einem ist verzeichnet, dass es infolge kriegerischer Handlungen, also mit Gewalt, in den Besitz der "Schutztruppe" gelangt ist. Bei allen anderen steht im Einlieferungsbuch lediglich der Herkunftsort "Kamerun". In Kamerun, ein Land, das erst durch die Kolonialmächte zu einer Einheit zwangsgeformt worden ist, existieren gar keine schriftlichen Aufzeichnungen dazu. "Unsere Kultur basiert ganz auf mündlicher Überlieferung", sagt Albert Gouaffo, der eine Professur an der Université de Dschang innehat und an dem Projekt mitwirkt.

Der Kameruner Schiffsschnabel. (Foto: Museum Fünf Kontinente)

Er betont dessen Pilotcharakter und sieht eine große Chance darin, künftig "neue Beziehungen auf Augenhöhe zu führen" und gemeinsam zu einer gerechten und sinnvollen Lösung für die Kulturgüter aus der Kolonialzeit zu finden. "Wir müssen auch in Kamerun erst einen Dialog darüber beginnen, was mit den Objekten geschehen soll und welche Bedeutung sie für die Menschen haben", sagt Gouaffo. Es gelte aber auch über so eine "Renaissance" der afrikanischen Kultur zu heilen, was seit 500 Jahren schrecklich war: "Der Rassist leidet an seinem Rassismus wie der Rassifizierte. Wir suchen eine Universalität - nicht den überkommenen, westlich geprägten Universalismus - neue Denkmuster, Alternativen. Denn jedes Land befindet sich in einem Entwicklungsprozess." Die Gesamtprojektleiterin seitens des Museums Fünf Kontinente Karin Guggeis erklärt, welche Alternativen es am Ende zu einer Rückgabe der Werke geben könnte, selbst wenn das Ergebnis zeige, dass sie unrechtmäßig im Museum sind: "Es kann für die Herkunftskulturen mehr Wert haben, bestimmte Objekte bleiben hier, und sie erhalten als Kompensation beispielsweise eine Schule." Bislang bestehe bei keinem der 200 Werke eine konkrete Rückgabeforderung. Dies gilt übrigens durchaus für ein anderes prominentes Projekt des Museums Fünf Kontinente, das aber nicht Max von Stetten nach München brachte: den Kameruner Schiffsschnabel. Um diesen "Tange" tobt seit Jahren ein Streit - auch in der Herkunftsgesellschaft, weil dieses Bootsornament als Herrschaftszeichen galt und damit bestimmte Ansprüche einhergehen.

Bernd Zimmers Bild "Tiki. Hiva Oa" von 1997. (Foto: Bernd Zimmer/VG Bild-Kunst, Bonn 2020)

Zu den interessantesten Ausstellungsprojekten im Museum Fünf Kontinente zählt 2020 ein Projekt, das ebenfalls Fragen nach der Aneignung fremder Kulturen durch die westliche aufwirft. Darin widmet sich Bernd Zimmer den Marquesas-Inseln und "dem europäischen Traum von der Südsee". Der Titel der Schau, die am 29. Mai eröffnen soll, ist Tikimania. Er bezieht sich auf die eindrucksvollen Tiki-Figuren, stark abstrahierte Abbilder des Menschen und Stilikonen der Inseln. Zimmer hat 1995 auf den Spuren Gaugins und Melvilles die Inselgruppe bereist. Ihr Mythos fasziniere ihn, "zwischen der Sehnsucht nach dem Paradies und dem Albtraum als Inseln der Kannibalen", sagte Zimmer auf der Pressekonferenz. Zimmer ist international als Vertreter der "Heftigen Malerei" bekannt. Hierzulande arbeitet Zimmer seit längerer Zeit an der riesigen Säulenhalle Stoa 169 in Polling, an der Künstler aus ebensovielen Ländern mitarbeiten.

© SZ vom 06.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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