Neues Depot Boijmans Van Beuningen in Rotterdam:Im gläsernen Maschinenraum

Depot Boijmans

Silbern glänzende Teetasse: Das Depot, errichtet vom Rotterdamer Architektenbüro MVRDV.

(Foto: Ossip van Duivenbode)

Das Rotterdamer Museum Boijmans Van Beuningen hat jetzt das erste öffentliche Schaulager der Welt eröffnet. Es gewährt spektakuläre Einblicke.

Von Laura Weißmüller

Wer hier unten steht, im Erdgeschoss des neuen Depots Boijmans Van Beuningen in Rotterdam, und nach oben guckt, hat das Gefühl, in die Zukunft zu blicken. Gläserne Treppen kreuzen sich in einer Mischung aus Piranesi- und Schloss Hogwarts-Manier schier endlos steil in die Höhe. Dazwischen gleiten lautlos große transparente Aufzüge nach oben. Ihr Weg führt vorbei an Glasvitrinen, in denen einzelne Objekte scheinbar in der Luft schweben. Mittelalterliche Holzskulpturen, ein blütenförmiges Cocktailkleid in feuerrot und pink, knallgelbe Handschuhe in Riesenprankengröße.

Auch die sechs Stockwerke sind transparent, zumindest wirkt das auf den ersten Blick so, derart viele große Glasscheiben geben hier Einblicke in die Räume mit den überwiegend unverputzten Betonwänden. Mitten hinein in all die Kunstdepots und Restaurierungswerkstätten, in denen die Schätze dieser Welt lagern, Keramiken aus Asien, Gemälde von Bruegel, Rembrandt, Picasso, Beckmann und van Gogh, eine rot gepunktete Textilarbeit von Yayoi Kusama, eine frühe Skulptur von Christo und Jeanne-Claude, Thonet-Stühle, Alu-Rennrad. Es ist die pure Überwältigung, das absolute Glücksgefühl, ein geradezu rauschhaftes Sehen. Es ist: Kunst.

Depot Boijmans

Pure Überwältigung: das grandiose Treppenhaus.

(Foto: Ossip van Duivenbode)

"Man selbst wird zum Kurator und erzählt sich seine eigene Geschichte", sagt Sjarel Ex dazu. Er ist zusammen mit Ina Klaassen Direktor des Boijmans Van Beuningen-Museums in Rotterdam und Chef von diesem neuen Ort, der eigentlich noch einen neuen Namen braucht. Denn "Depot" ist viel zu nüchtern für diese silbern glänzende, fast 40 Meter hohe Teetasse, die im Rotterdamer Museumspark gleich neben dem Klinkerbau des Boijmans-Museums gelandet ist.

Ein Haus, das den heute unvermeidlichen Selfie-Reflex auslöst - und zwar egal in welcher Altersklasse

Die Architektur, gerade das Äußere, mag spektakulär sein. Das Gebäude hat nicht nur einen kleinen Birkenwald auf dem kreisrunden Flachdach, es ist auch mit 1664 gebogenen reflektierenden Glasscheiben ummantelt und spiegelt auf diese Weise, mal mehr, mal weniger verzerrt, sein Gegenüber. Das löst den heute unvermeidlichen Selfie-Reflex aus - und zwar egal in welcher Altersklasse - , zeigt aber auch, wie sehr die Stadt doch zur Bühne taugt, auf der sie selbst fröhlich die Hauptrolle einnimmt. Allen Totengräber-Rufen in der Pandemie zum Trotz.

Depot Boijmans

Gleich am Rotterdamer Museumspark gelandet: das Depot in musealer Nachbarschaft.

(Foto: Ossip van Duivenbode)

Doch was noch viel spektakulärer ist als die Architektur, die das Rotterdamer Büro MVRDV geschaffen hat, ist das Innenleben dieses Ortes. Denn es ist das erste komplett öffentliche Kunstdepot dieser Welt. Auf 15 000 Quadratmetern werden hier alle der mehr als 151 000 Objekte, die sich in der Sammlung des Boijmans Van Beuningen befinden, zugänglich gemacht. Und zwar für jeden. Was bedeutet, dass in diesem Depot ein Besucher Einblicke in das erhält, was zwar alle Museen dieser Welt besitzen - mehr oder weniger gut gesicherte und klimatisch perfekt austarierte Lagerräume, Restaurierungswerkstätten, Ateliers, um die Kunst zu pflegen, zu säubern, zu verpacken -, was aber sonst meist im Verborgenen bleibt, weil es früher oft im Keller untergebracht war, und heute, mit zunehmenden Sammlungsgrößen der Häuser, gleich in eigene Depotgebäude in der Umgebung verstreut ist.

Auch im Boijmans Van Beuningen war das so. Die Sammlung lagerte in mehreren Depots und auch im Keller des Klinkerbaus, was im Jahr 2013 fast zu einer Katastrophe geführt hat, weil die Kellerräume des Museums bei einer Überschwemmung vollliefen, und das Wasser offenbar nur wenige Zentimeter unter den Kunstwerken zum Stoppen kam. Damals entstand der dringende und durchaus nachvollziehbare Wunsch nach einem neuen Depot.

Neues Depot Boijmans Van Beuningen in Rotterdam: Auch die Abteilung mit den alten Meistern ist zugänglich.

Auch die Abteilung mit den alten Meistern ist zugänglich.

(Foto: Ossip van Duivenbode)

Dass dieses nun aber derart zugänglich ausgefallen ist und damit zum ersten gläsernen Maschinenraum eines Museums wurde, mit Blick auf sein Innerstes - und nicht zuletzt auf seine Mitarbeiter -, das dürfte auch an einer gewissen Furchtlosigkeit liegen, die den Niederländern offenbar zu eigen ist. Zumindest macht das den Eindruck. Nur ein Beispiel: Das Land mag eine Fahrradnation sein, einen Helm aber tragen die wenigsten. Nicht einmal auf einer Vespa.

"Wenn wir alles in eine dunkle Kammer stecken, wo keiner mehr reindarf, werden die Dinge in Vergessenheit geraten."

"Sicherheit ist wichtig, aber man sammelt keine Kunst, um sie sicher zu machen", sagt Museumsdirektor Ex. "Wir sammeln Gemälde, Skulpturen und Design, um ihnen ein neues Leben zu geben." Das neue Leben in diesem Depot mag zwar noch etwas ungewohnt sein, auch für die Mitarbeiter, die sich manche reflexhafte Schutzbewegung nicht verkneifen können, wenn ein Besucher vermeintlich zu nah an ein Werk herankommt - kann ja auch schon mal ein van Gogh sein -, aber Ex zielt auf einen schmerzhaften Punkt vieler Museen. "Wenn wir alles in eine dunkle Kammer stecken, wo keiner mehr rein darf, werden die Dinge in Vergessenheit geraten." Auch im Boijmans hätten sie in ihrem Computersystem gemerkt, wie viele Stellen es in der Sammlung gebe, wo keinerlei Aufmerksamkeit mehr reinfließe. Wie auch bei Zehntausenden von Objekten? Verpackt in Holzkisten, Plastikschachteln und Pappkartons. Verstaut in meterhohen Regalen und Schränken. Verschwunden im Koordinatensystem hinter einer sechsstelligen Zahl.

Neues Depot Boijmans Van Beuningen in Rotterdam: Eine Kunst für sich: die sachgerechte Verpackung von Kunst und Design.

Eine Kunst für sich: die sachgerechte Verpackung von Kunst und Design.

(Foto: Ossip van Duivenbode)

Wie etwa Ursulas Schultze-Bluhms "Pandora-Box mit Kopf", einem leuchtend bunt bemalten und mit allerhand ausstaffierten Schrank, auf dem der Torso einer nackten Schaufensterpuppe prangt, deren Kopf wiederum mit Pfauenfedern geschmückt ist. Die Assemblage der deutschen Art Brut-Künstlerin aus dem Jahr 1973 sei eine "wunderbare Entdeckung" gewesen, freut sich die Kuratorin in der Abteilung für Installationen und größere Objekte, "gefunden" beim Einräumen in das neue Depot, das zur Eröffnung tatsächlich die komplette Sammlung beinhaltet. Denn das benachbarte Museum aus dem Jahr 1935, wo sonst an die 3000 Kunstwerke ausgestellt sind, ist bis 2028 geschlossen, es muss umfassend saniert und erweitert werden.

Im Depot verteilt sich die Sammlung nun auf insgesamt 14 Abteilungen, mit allein fünf unterschiedlichen Klimazonen, in denen die Objekte in schlichte Industrieregale und Hängesysteme einsortiert wurden, abhängig vor allem nach Material und Größe, manchmal auch nach Entstehungszeit und -ort. Ex vergleicht das Ordnungssystem mit dem einer Bibliothek. Wer das Depot in Zukunft besucht, muss eine Tour buchen und wird dann mit einer kleinen Gruppe von maximal 13 Teilnehmern sowie einem Führer und einer Sicherheitskraft eine einzige Abteilung besichtigen. Doch keine Sorge - das Glücksgefühl, der visuelle Rausch setzt auch schon in einer Abteilung, ach was, bereits im Foyer ein.

Depot Boijmans

Blick in eine der Restaurierungswerkstätten.

(Foto: Ossip van Duivenbode)

Was aber noch viel wichtiger ist: Ein Besuch in diesem Depot, ein Blick in die Restaurierungswerkstätten, die eher an Hightech-Labore erinnern, macht unmissverständlich klar, was es heute bedeutet, eine Sammlung zu bewahren. Welche Technologien, Maschinen und Ausrüstung nötig sind, um zum Beispiel eine Assemblage aus Holz, Plastik, Metall und Pfauenfedern zu pflegen, aber vor allem auch welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Sorgfalt. "Kaum einer weiß, was es braucht, damit ein Gemälde die nächsten 100 Jahre gut übersteht. Das Wissen, wie wir uns um unser Erbe kümmern, ist gering", sagt Boijmans-Direktor Ex. Das Depot ist damit auch der Wunsch, genau das begreifbar zu machen und damit nicht zuletzt nachvollziehbar, warum dieses Unterfangen so kostspielig ist. Und zwar in jedem Museum.

Private Sammler können sich hier einmieten, die Trennlinien zur öffentlichen Sammlung werden so allerdings verschwimmen

Apropos Kosten: 2000 Quadratmeter dieses Depots können von privaten Kunstsammlern, egal ob Unternehmen oder Personen, für 400 Euro pro Quadratmeter und Jahr gemietet werden. Manche davon öffnen ihre Türen auch den Besuchern. Keine Angst, dass sich die hochkarätige Sammlung des Boijmans dadurch selbst abwertet? Schließlich werden die Besucher kaum eine Trennlinie ziehen zwischen den unterschiedlichen Sammlungen, die in exakt den identisch gestalteten Räumlichkeiten untergebracht sind. "Sie werden alles miteinander vermischen, und das ist ok", sagt Ex. Und erklärt ähnlich unbesorgt die Bedingungen des kleinen Freeports, den das Boijmans für die privaten Sammler hier geschaffen hat. "All diese Dinge werden bereits getan, nur nicht von einem Museum. Warum nicht? Wir sind unabhängig, nicht kommerziell, und wir arbeiten für die Künstler und das Publikum."

Niederländisch furchtlos eben. Genauso wie Winy Maas, einer der Gründer von MVRDV. Der Architekt erklärt einem seinen Entwurf auf dem Dach des Depots, wo neben dem Wäldchen auch ein Restaurant und ein Veranstaltungsraum untergebracht sind, natürlich ebenfalls gläsern. "Wie kann etwas zu spektakulär sein? Wie sollen wir denn sonst den Änderungen auf der Welt, dem Klimawandel und der Spaltung der Gesellschaft, begegnen?" Man müsse schon ein bisschen frecher sein, so Maas, um zu zeigen, wie die Menschen in Zukunft zusammenleben könnte. Bei einem "Teppich aus lauter Ähnlichkeiten wie in Deutschland" weiß keiner, wohin die Richtung geht. Im Depot Boijmans Van Beuningen ist das anders. Die Botschaft ist klar. Die Zukunft gehört der Kunst.

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