Museen in Geldnot:Die Royal Academy schlägt vor, den "Taddei Tondo" zu verkaufen

Michelangelo, Tondo Taddei - Michelangelo, Tondo Taddei / Sculp./ C16 -

Die einzige Marmorskulptur von Michelangelo in Großbritannien: Der „Tondo Taddei" (1504 und 1505).

(Foto: picture alliance / akg-images)

Mit dem Geld für die einzige Marmorskulptur Michelangelos in Großbritannien sollen 150 Stellen gerettet werden.

Von Alexander Menden

Der britische Kultursektor kämpft seit Beginn der Corona-Krise ums Überleben. Ein Drittel der professionellen Musiker werden laut einer Erhebung der britischen Musiker-Gewerkschaft ihre Karriere aufgeben müssen, mehrere Theater wurden unwiderruflich geschlossen und selbst große Museen, die ursprünglich als widerstandsfähiger galten, befinden sich in einer tiefen Finanzkrise. Die Tate-Galerien etwa kündigten jüngst die Entlassung von 300 Angestellten an.

Ein besonders drastisches Beispiel für die Finanznöte liefert jetzt das Londoner Museum Royal Academy of Arts (RA). Deren Gründer formulierten im Jahr 1768, die RA solle "der Schaffung und Würdigung der Bildenden Künste durch Ausstellungen, Bildung und Debatte" dienen. Dabei dachten sie sicher nicht an die Art von Debatte, die derzeit kaum verhohlen in dieser Institution tobt: Einige Mitglieder fordern, das wertvollste Stück aus der RA-Sammlung zu verkaufen, um 150 Mitarbeiter vor der Entlassung zu bewahren.

Der sogenannte Taddei Tondo, ein Werk Michelangelos, ist die einzige Marmorskulptur des Künstlers in einer britischen Sammlung. Um das Jahr 1505 entstanden, zeigt das runde Marmorrelief Maria mit Jesus und Johannes dem Täufer als Knaben. Es befindet sich seit 1830 im Besitz der RA, gilt als Meisterwerk und Juwel der Sammlung. Sein Wert wird auf 110 Millionen Euro geschätzt.

Die Tageszeitung Guardian zitiert nun ein ungenanntes Mitglied der Royal Academy, das offenbar für eine größere Gruppe innerhalb der Academicians spricht. Man habe sich schon mit dem jüngsten Ausbau des Gebäudes in Burlington Gardens durch David Chipperfield finanziell verhoben, so deren Argument; nun sei durch Corona die ganze Institution in Gefahr. In dieser Not "an einem Klumpen Marmor festzuhalten, der die RA für die kommenden Jahre finanziell absichern könnte", sei moralisch falsch, findet der Künstler. Eine Sprecherin der RA-Präsidentin Rebecca Salter dementierte: Man plane nicht, irgendein Stück aus der Sammlung zu verkaufen. Es sei die Pflicht der Akademie, sie "für diese und nachfolgende Generationen zu erhalten".

Letztlich ist das ein Scheingefecht. Die Sammlung gehört zum "UK Museum Accreditation Scheme", was die RA an die Befolgung bestimmter Standards bindet. Diese sehen vor, dass man keine Kunstwerke verkaufen darf, um Betriebskosten zu decken oder ein Defizit auszugleichen. Daher darf man es vor allem als Signal an die britische Regierung werten, dass dieser Streit so ostentativ ausgetragen wird.

Diese gibt bei der Unterstützung der Künste ein überaus schlechtes Bild ab. Zwar versprach Premier Boris Johnson im Juli, ein Rettungspaket für die Künste in Höhe von gut anderthalb Milliarden Euro zu schnüren. Doch erstens fließt das Geld nur sehr langsam, und zweitens sind ohnehin nur solche Institutionen empfangsberechtigt, die schon vorher subventioniert wurden. Dazu zählt die traditionsreiche Royal Academy aber nicht. Sie ist eine unsubventionierte Stiftung und finanziert sich allein durch Eintrittskarten, ihren Shop, Mitgliedsbeiträge, Sponsoring und Spenden. Diese Einkünfte sind seit Beginn der Corona-Krise um 75 Prozent gesunken.

Wenn nun eine öffentliche Debatte über den Verkauf eines so bedeutenden Kunstwerks zur Verhütung von Entlassungen - sonst in Museumskreisen ein absolutes Tabu - stattfindet, dann beweist das vor allem eins: das Versagen aller Rettungsmechanismen.

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