Museen im Fall Gurlitt:Wenn der Staat ein Räuber ist

Franz Marc Pferde in Landschaften Nazi-Raubkunst

Franz Marcs "Pferde in Landschaft", ebenfalls unter den in München gefundenen Kunstwerken. Da horchen auch Museumsleute auf.

(Foto: REUTERS)

Wenn es sich um "entartete", also von den Nazis diskreditierte moderne Kunst handelt, horchen auch Museumsleute auf. Aber wie sollen sie Kunst von einem Staat zurückfordern, zu dessen Instanzen sie selbst zählen? Warum Museen von dem Fund in München nichts haben könnten.

Von Kia Vahland

Eine vierstellige Zahl von Kunstwerken findet sich in der Privatwohnung des Erben eines der wichtigsten Händler des NS-Kunstsystems: Das weckt Hoffnungen bei vielen Opferfamilien, die immer noch nicht wissen, was aus den Sammlungen ihrer Eltern oder Großeltern geworden ist. Es sind aber nicht nur Privatleute, die etwas verloren haben.

Wenn es sich um "entartete", also um die von den Nazis diskreditierte moderne Kunst handelt (Cornelius Gurlitts Vater Hildebrand hatte sich während der NS-Zeit auf die verfemten Avantgarden spezialisiert), dann horchen auch Museumsleute auf. Mindestens 300 der Werke sollen von verfolgten Künstlern des 19. und 20. Jahrhunderts stammen.

Das Interesse der Nazis war ein volkspädagogisches: Die Deutschen sollten nicht weiter beeinflusst werden von dem, was Hitler und die Seinen als "geisteskranke" und "kulturzersetzende" Malerei und Bildhauerei empfanden. Deswegen zeigten die Nazis 1937 die Münchner Ausstellung mit "entarteten" Werken und räumten auch über diese Auswahl hinaus aus den Museen alles ab, was ihnen als zu fremd und frei erschien. Das waren rund 20.000 Stücke. Weil dies von Staats wegen geschah, konnten die Museen nach dem Krieg nichts zurückfordern - sondern mussten mühsam auf dem Markt erwerben, was Händler wie Hildebrand Gurlitt während der NS-Zeit aus Museen an private Sammler verkauft hatten.

Das Sprengel-Museum in Hannover zum Beispiel verdankt gute Teile seiner Sammlung dem Ehepaar Margit und Bernhard Sprengel, das in der NS-Zeit auch bei Gurlitt einkaufte. Der überließ den beiden Anfang der Vierzigerjahre für gerade einmal 8000 Reichsmark 409 Blätter von Emil Nolde, der trotz seiner NS-freundlichen Gesinnung in der Münchner Schandausstellung vertreten war. Die Blätter stammten aus dem Besitz des Essener Folkwang Museums und anderer öffentlicher Häuser. Gleichzeitig rissen die Nazis im Hannoveraner Provinzialmuseum Werke von El Lissitzky, László Moholy-Nagy, Wilhelm Lehmbruck, Ernst Barlach und anderen von den Wänden. Dass der angesehene Schokoladenfabrikant Sprengel in derselben Stadt Bilder von Emil Nolde und Franz Marc in seinen Räumen hängen hatte, störte niemanden.

Leer ausgehen beim Gurlitt-Nachlass?

Die Essener konnten die Nolde-Grafiken nach dem Krieg von dem SprengelMuseum nicht zurückfordern. Der Staat selbst war ja der Räuber - und Museen sind staatliche Institutionen. Deswegen ist es nicht ausgeschlossen, dass sie auch beim Gurlitt-Nachlass in der verwahrlosten Münchner Wohnung wieder leer ausgehen werden. Das gehört zu den vielen Fragen, die zu klären sind, neben den zu erwartenden Rückgabeforderungen der Erben von enteigneten jüdischen Privatsammlern: Was passiert mit den Arbeiten, die von 1937 an in Museen beschlagnahmt wurden? Darf der Sohn behalten, was der Vater als Kunsthändler nach NS-Gesetzen rechtmäßig erworben hat?

In den seltensten Fällen geht ein Werk an Vorbesitzer zurück, das einmal den Vermerk "EK" trug - so kennzeichneten die Nazis ihre Beute aus der Aktion "Entartete Kunst". Eine dieser Ausnahmen ist demnächst wohl in München zu erleben. Im Lenbachhaus, einem städtischen Museum, hängt ein solches Werk: Paul Klees 1919 gemalte "Sumpflegende", eines der Hauptbeweisstücke der Ausstellung "Entartete Kunst" in den Münchner Hofgartenarkaden. Dieses Werk gehörte der Kunsthistorikerin Sophie Lissitzky-Küppers, die es dem Hannoveraner Provinzialmuseum anvertraute. Von dort kam es 1937 in die Münchner Schau und wurde später weiterverkauft.

Die Erben der ursprünglichen Eigentümerin beanspruchen das Bild, und alles sieht danach aus, dass nun auch die Stadt München einem Vergleich zustimmen wird. Denn Lissitzky-Küppers, die 1926 in die Sowjetunion gegangen war, wechselte bald nach ihrem Umzug die Staatsbürgerschaft, und die Enteignung von Ausländern entsprach nicht einmal den NS-Gesetzen. Die Verantwortlichen hätten wissen können, was es mit diesem Bild auf sich hatte, als sie es 1982 auf dem freien Markt erstanden.

Der Fall ist ein Beispiel dafür, wie unfähig die Museen in der Bundesrepublik lange waren, gut umzugehen mit dem alten Unrecht, das nicht nur, aber auch ihnen selbst geschehen war. Alles, was die Kuratoren der Nachkriegszeit interessierte, war, die durch die NS-Aktion entstandenen Lücken zu füllen - wie auch immer und zur Not auf Kosten derer, die schon einmal Opfer geworden sind.

Hildebrand Gurlitt hatte in der NS-Zeit ganze Moderne-Abteilungen der Museen verkauft, und manche dieser Bilder landeten über private Sammler irgendwann wieder in Museen. Vieles aber ging verloren auf den verworrenen Wegen des Kunsthandels. Doch einiges findet sich nun vielleicht doch wieder.

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