In der Peter-Lindbergh-Ausstellung des Düsseldorfer Kunstpalastes bleibt der Blick als Erstes an einem eher untypischen Bild hängen. Kein statuesker Frauenakt, sondern das Foto einer Kritzelei auf Spanisch: "El arte es garantía de salud", steht da, "Die Kunst ist eine Garantie für Gesundheit", ein Louise-Bourgeois-Zitat. Darunter immer wieder, in obsessiver Wiederholung: "Respiro, respiro, respiro" - ich atme, ich atme, ich atme.
Vor der Corona-Krise wäre man womöglich unachtsam daran vorbeigelaufen, immerhin locken um die Ecke Lindberghs Milla-Jovovich-Porträts. Aber jetzt erscheint diese mannshoch vergrößerte Fotografie eines Graffitos geradezu prophetisch. Dass das Fehlen der unmittelbaren Kunsterfahrung während der vergangenen sieben Wochen, in denen alle deutschen Museen geschlossen waren, der Gesundheit zumindest nicht zuträglich war, merkt man am befreienden Gefühl, dass man jetzt empfindet, da man erstmals nach der am 14. März einsetzenden Zwangspause wieder eine Ausstellung betritt, und zwar nicht als Rezensent, sondern als regulärer Besucher.
Die Museen dienen als Testfeld für das Hochfahren des Kulturbetriebs
Nur das Atmen fällt ein wenig schwerer, weil man, wie alle an diesem Nachmittag, natürlich seine "Alltagsmaske" über Mund und Nase gezogen hat. Das Tragen von Stoffmasken gehört, ebenso wie das Aufstellen von Desinfektionsspendern, zu den Voraussetzungen, unter denen die Museen in Nordrhein-Westfalen, wie in einigen anderen Bundesländern, nun wieder öffnen durften. Armin Laschet gehört bekanntlich jener Fraktion von Ministerpräsidenten an, die eine möglichst zügige Rückkehr zu einer Art "Normalität" befürworten. Ende des Monats sollen sogar die Theater im Land wieder einen eingeschränkten Spielbetrieb aufnehmen dürfen, was manchen Theatermacher in NRW ziemlich überraschte. Nun nutzt man die Museen als erstes Testfeld zum Hochfahren des Kulturlebens.
Serie "Lokalrunde":Beten funktioniert wie eine Leitplanke
Was man im "Redfellas" so lernt: Wie man den Toten hilft, in den Himmel zu kommen. Dass die Alten einen immer im Auge behalten. Und wozu das Wasser, das zum Espresso serviert ist, gut ist.
Ein Argument dafür lautete, hier lasse sich am mühelosesten der Sicherheitsabstand wahren. Tatsächlich gelingt das den etwa 20 Menschen in der Lindbergh-Schau "Untold Stories" sehr gut, ohne dass je der Eindruck entsteht, dieser gemächliche Slalom umeinander trübe den Kunstgenuss. Man hat diese anderthalb bis zwei Meter Distanz inzwischen eingeübt. Bei der Filminstallation, für die der zum Tode verurteile Amerikaner Elmer Carroll Lindbergh 2013 stumm Modell saß, verteilen sich die Besucher mit genügend großen Lücken auf den Bänken, ohne dass das Personal intervenieren müsste.
Obwohl die Kapazitäten auf 250 Menschen begrenzt sind, erweisen sich Sorgen, man müsse am Eingang lange warten, als unbegründet: Im geräumigen Innenhof des Kunstpalastes stehen um die zwölf Besucher, alle maskenbewehrt, und werden binnen Kurzem vom ebenfalls maskierten Mann am Einlass durchgewinkt. Im Foyer zeigen wie in jedem Supermarkt Klebestreifen am Boden an, wo man warten soll, bis man zum Kartenkauf an der Reihe ist. Das größte Interesse zieht, wie vor dem Lockdown, die Lindbergh-Schau auf sich, die in drei Wochen ins Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe weiterreisen soll. Laut Kunstpalast-Chef Felix Krämer überlegt man nun, auf eigene Kosten einen weiteren Satz von Abzügen herstellen zu lassen, um "Untold Stories" in Düsseldorf über den Schlusstermin am 1. Juni verlängern zu können. Die entsprechende Entscheidung wird wohl in der kommenden Woche fallen.
Im Neanderthal-Museum trifft man mehr Hominiden-Puppen als lebende Besucher
Im K20, einem der beiden Ausstellungsorte der Kunstsammlung NRW, geht es noch schneller mit dem Einlass. Hier gibt es keine Schlange, nur eine Dame, die eine Karte für die seit Februar laufende Picasso-Schau kauft. An der Wand prangt noch ein Hinweis auf die Ausstellung mit Arbeiten Charlotte Posenenskes. Sie sollte am 3. April eröffnet werden, doch dazu kam es nicht. Besonders interessant ist dafür die Besichtigung der permanenten Sammlung im ersten und zweiten Stock. Sie umfasst Werke so ziemlich aller bedeutenden Künstler des 20. Jahrhunderts. An diesem Nachmittag hat man sie fast für sich allein. "Eine Katastrophe", befindet eine Dame vom Aufsichtspersonal. "Das muss jetzt wirklich bald wieder mehr werden." Eine andere meint: "Sie haben Glück, sonst stehen sich die Leute um diese Zeit unten im Foyer auf den Füßen." Und wirklich ist es bei aller Surrealität durchaus beglückend, sich wie in einem exquisit bestückten Privatmuseum zu fühlen.
Ähnlich exklusiv verlief bereits der Vormittag bei der ersten Station des Rundgangs durch die rheinischen Museen. Das Neanderthal-Museum in Mettmann, östlich von Düsseldorf, platzt sonst wochentags vor Schulklassen aus allen Nähten. Es ist das perfekte Ausflugsziel, mitten im Grünen gelegen und naturhistorisch wichtig als Ort, dem der Neandertaler aufgrund der berühmten Fossilienfunde von 1856 seinen Namen verdankt. Normalerweise gibt es im Jahr rund 4000 Führungen und Workshops für Schulklassen. Aber Klassenfahrten finden jetzt natürlich nicht statt, und so ist es ziemlich ruhig im Neandertal.
Zügig kann man die vor dem Eingang in Neongrün auf die Pflastersteine gezeichneten, zur optischen Orientierung für Warteschlangen gedachten Zickzacklinien hinter sich lassen. Vom freundlichen Personal bekommt man einen Plastikchip in die Hand gedrückt, mit der Bitte, ihn hinterher beim Verlassen des Museum in den dafür vorgesehenen Kescher zu werfen. So behalte man den Überblick, wie viele Menschen sich im Haus aufhalten, mehr als 150 dürfen es nicht werden. Beim Anlegen des selbstklebenden Besucherbändchens sind sie hier strenger als in den Kunstmuseen - man muss es sich, anders als dort, ohne Hilfe selbst ums Handgelenk legen, um den Kontakt zu minimieren.
Der allmähliche Aufstieg durch die Dauerausstellung mit ihren lebensecht rekonstruierten Neandertalern und anderen Hominiden ist gut geeignet für einen Besuch zu Pandemiezeiten. Auch wenn man sich das alles nicht nur mit einer einzigen dreiköpfigen Familie teilen würde, dürfte hier das Abstandhalten nicht schwerfallen, um das rote Aufkleber allenthalben bitten. Am Wiedereröffnungstag kamen 45 Besucher statt der sonst üblichen 500.
Bärbel Auffermann, Direktorin des Museums, ist darüber allerdings nicht unglücklich. 18 der 45 Angestellten waren in Kurzarbeit, momentan betrifft die Maßnahme nur noch die Museumspädagogen. Nun könne das Personal die neuen Bedingungen ohne zu großen Druck einüben: "Am Wochenende soll es regnen, bei 14 Grad", sagt sie. "Das ist Museumswetter, da rechnen wir mit deutlich mehr Besuchern."
Ob die Kinder sich als Gladiatoren verkleiden dürfen, liegt im Ermessen der Eltern
Wenn die Schlangen so lang würden, dass der Platz vor dem Museum nicht ausreiche, um mit Abstand zu warten, werde man die Besucher eben bitten, im Auto zu warten, ein bisschen spazieren zu gehen oder ein andermal wiederzukommen. Wie von der Chefin eines Naturkundemuseums, in dem sich alles um Evolution dreht, kaum anders zu erwarten, setzt sie auf die Fähigkeit aller Beteiligten, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen.
Gerade solche Aspekte, die ein familien- und kinderfreundliches Museum sonst attraktiv machen, werden nun zu besonderen Herausforderungen. Die bis August verlängerte Sonderausstellung über römische Gladiatoren im Tiefgeschoss etwa bietet mit Tuniken und Schwertern Gelegenheit, sich zu verkleiden. "Wir bieten das weiterhin an" sagt Bärbel Auffermann. "Zwischendurch werden die Sachen auch desinfiziert, aber das geht natürlich nicht nach jedem kleinen Besucher." Es liege letztlich im Ermessen der Eltern, ob sie ihren Kindern diesen Umgang mit den Mitmachexponaten erlaubten.
Eine interaktive Arbeit ist sonst auch eine der Hauptattraktionen des K21 im Düsseldorfer Ständehaus, des zweiten Düsseldorfer Standbeins der Kunstsammlung NRW: Tomás Saracenos Rauminstallation "in orbit" besteht aus einem gigantischen Stahlnetz, aufgespannt in 25 Meter Höhe über dem Lichthof. Normalerweise kann man hier zwischen transparenten Riesenballons und Kissen umherkrabbeln. Aber so richtig normal ist eben noch nichts, deshalb bleibt "in orbit" erst mal zu. Den Rest des wunderbaren Baus teilt man sich wie das K20 vor allem mit den netten Menschen vom Aufsichtspersonal, die dem Besucher helfen, sich in dem mit schwarzen Absperrbändern markierten Pandemieparcours des K21 zurechtzufinden.
Natürlich hofft man sehr, dass bald wieder mehr Besucher den Weg hierher finden. Einstweilen kann man die Räume aber trotz Maskenpflicht und überall bereitstehender Desinfektionsmittelspender durchaus in ihrer hallenden Leere genießen und schön darüber sinnieren, wie sehr der Kontext doch die Wahrnehmung bestimmt: Ist der Karton mit Latexhandschuhen, der in der Gruppenausstellung "I'm not a nice girl!" auf dem Tisch neben den Werkkatalogen der teilnehmenden Künstler steht, vielleicht Teil der Installation? Nein, er ist für Leute, die lieber mit Extraschutz die Seiten umblättern.
Gesundheit kann die Kunst nicht hundertprozentig garantieren. Aber dass die Räume, in der man sie unmittelbar erleben kann, der Pandemie nun Schritt für Schritt wieder abgerungen werden, und mit ihnen alle anderen Museen, das signalisiert eine Verbesserung der Lebensbedingungen, die man nicht unterschätzen sollte.