Museen als Heimat:Man spricht Kunst

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Früher waren Museen Schaukästen nationaler Identität. Inzwischen bieten Häuser wie das Frankfurter Städel oder die Londoner Tate globalen Jobnomaden ein Zuhause.

Von Catrin Lorch

Museen sind mehr als Schatzhäuser. Es sind vielmehr Orte, an denen eine Gesellschaft sich ihrer selbst versichert. Sei es Kunst oder Kulturgut - im Museum bewahren, betrachten und pflegen Gemeinschaften vor allem die eigene Identität. Viele Jahrhunderte stand, zumal in Deutschland, der Gedanke einer nationalen Kunst im Mittelpunkt. Doch das ist vorbei. Von der Londoner Tate Modern bis zum Frankfurter Städel oder dem British Museum inszenieren sich Museen als international und offen für gesellschaftliche Veränderungen. Der Nebeneffekt: Museen bieten sich den global vernetzten Berufsnomaden als temporäre Heimat an.

Wenn sich die "Freunde der Pinakothek der Moderne" (PIN) in München zu ihrer jährlichen Auktionsparty treffen, dann setzen sie nicht einfach eine Tradition fort, die in den großen Museumsgründungen wurzelt, im Selbstbewusstsein von hanseatischen Veteranen oder Frankfurter Patrizierfamilien, die für deutsche Kunst von Caspar David Friedrich bis Georg Friedrich Kersting einen Ort schaffen wollten, der es mit königlichen Galerien aufnehmen konnte. Wer damals zur Gesellschaft gehörte, war nicht nur Sammler, sondern auch Mäzen, am besten im Museum.

Doch heute werden weder nationale noch lokale Töne laut, und dies ist nicht einfach einer zeitgemäßen Rhetorik geschuldet. Wie kaum eine andere Institution verstehen sich Museumsvereine, Ankaufskommissionen und Förderkreise darauf, die sogenannten High Professionals, die im Auftrag global operierender Firmen um den Erdball ziehen, und die Reichen, die sich Zweitwohnsitze in attraktiven Metropolen leisten, unter einem Dach zu versammeln. Zum gegenseitigen Nutzen.

Prominenter Vorreiter dieser Entwicklung in Europa war die Tate Modern in London, ein Ableger des britischen Traditionsmuseums, im Jahr 2000 an der Themse in einem ausgedienten Kraftwerk eröffnet. Es klang nicht bescheiden, sondern nach einer ambitionierten Programmatik, als es schon zur Vernissage hieß: Wir haben nichts. Dabei hätte die Tate Modern natürlich auf eine der bedeutendsten Sammlungen des Landes zugreifen können. Doch der Zuckerbaron Henry Tate hatte die nach ihm benannte Tate Gallery - ganz im Geist des 19. Jahrhunderts - der Förderung britischer Kunst gewidmet, obwohl London als Zentrum eines gewaltigen Kolonialreichs Stoffe, Keramik und Kunst aus Indien, China und Afrika importierte und ausstellte. Während diese Objekte auf Weltausstellungen wie exotische Geschmacksmuster präsentiert wurden, sollte die "Tate Britain" in dem schönen Haus am Themseufer allein britischer Kunst vorbehalten sein und mit Gemälden und Skulpturen seit der Wende um 1500 zur Nationalgalerie reifen.

Gut 100 Jahre später eröffnete die Tate Modern, in der alle bedeutenden Strömungen der Moderne und der Nachkriegszeit vertreten waren. Damit war der rein nationale Anspruch überholt. Wir haben nichts aus Afrika, aus dem Nahen Osten oder Lateinamerika hieß es, "wir werden es kaufen müssen". Es war ein Appell, der gut ankam, nicht nur weil sich in der Finanzmetropole - angeschoben von nationalen Förderprogrammen - seit den Neunzigerjahren ein gewaltiger Kunstmarkt entwickelt hatte.

Kurz darauf wurde mit der Messe Frieze Art Fair ein glamouröser Kunstmarkt eröffnet, der nicht nur auf die ästhetische Bildung der Londoner zielte, sondern internationale Galerien einlud. Und neben Galeristen aus New York oder Paris reisten eben auch Händler aus Beirut, Peking, Mexiko City oder Warschau an.

Der Belgier Chris Dercon schließlich perfektionierte nach seinem Amtsantritt als Direktor der Tate Modern im Jahr 2010 eine Ankaufspolitik, die von der Erkenntnis ausging: "London hat ein großes Potenzial, schon wegen der enormen Präsenz von Reichen." Und dazu gehörte eben nicht nur die britische Upper Class, so Dercon, sondern vor allem "Neureiche aus Lateinamerika oder dem Nahen Osten", die sich "gerne in unseren Ankaufskommissionen engagieren". Man traf sich in New York und Miami, reiste gemeinsam zu Kunstmessen oder großen Ausstellungen, entdeckte die noch ungeschriebene Kunstgeschichte des Libanon, die Moderne der indischen Metropolen, die vielfältige Installationskunst der zeitgenössischen afrikanischen Künstler.

Heute besitzt das Haus ikonische Werke wie das gesamte "Musee d'art contemporain de l'Afrique" von Meschac Gaba oder das als Guernica des Nahen Ostens apostrophierte Werk "Sabra and Shatila Massacre" von Dia Al Azzawis, das das Blutbad in zwei palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon zeigt.

Es sind Werke, die nicht im Depot versteckt oder in Spezialsammlungen gezeigt werden. Mit großer Selbstverständlichkeit präsentiert das Haus diese Avantgarden, neben Ikonen westlicher Kunstgeschichte wie Marcel Duchamp oder Mark Rothko, Sigmar Polke oder Henry Paul Gauguin. Ibrahim El-Salahis "Reborn Sounds of Childhood Dreams" hing in der Abteilung "Beyond Surrealism" neben Robert Motherwells Abstraktionen, Ibrahim El Salahi bei den Künstlern der Cobra-Gruppe.

In Deutschland war es zunächst Städel-Direktor Max Hollein, der mit einer ähnlich konsequenten Ausrichtung auf die Ex-Pat-Szene Erfolge feierte. "Die Tate Modern Gallery und das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) haben diese Einbindung der gesellschaftlichen Sphäre zur Perfektion gebracht", sagt Hollein rückblickend. Sein Städel-Museum konnte auf das historisch eingeübte Engagement der Frankfurter Bürger bauen. Doch er hatte erkannt, dass es gerade die Museen sind, die sich als "Anlaufstationen" für die Zugereisten eignen, "die sich gesellschaftlich verbinden wollen". Als Zeitungsleser beobachtete er nicht nur das internationale Feuilleton, sondern auch den lokalen Wirtschaftsteil. "Wir haben durchaus verfolgt, wer in die Stadt zieht, beispielsweise als Unternehmer oder als Manager für große Firmen", erinnert er sich im Interview.

SZ-Serie: Jeder Mensch hat eine Heimat. Oder nicht? Oder auch zwei? Eine Artikelreihe untersucht die Ver- und Entwurzelung in bewegten Zeiten. (Foto: SZ)

Inzwischen leitet er das Fine Arts Museum of San Francisco, und in der Bay Area organisiert er gleichfalls nicht nur die in den USA eingespielten Events wie Empfänge oder Gala-Abende, sondern setzt auf die aus der ganzen Welt Zugereisten, die schnell in die kulturelle Infrastruktur einer Stadt eintauchen möchten und Kontakte außerhalb des Büros suchen: "Gerade für diese Szene der Ex-Pats, die Leute, die wissen, dass sie vielleicht nur fünf Jahre bleiben, sind Museen attraktiv. Sie können aktive Bürger der Stadt sein, sich einbinden lassen und engagieren. Und das muss nicht unbedingt der Milliardär sein, auch der High-Professional dockt gerne an das Museum an." Dass es diesen Menschen womöglich erst in zweiter Linie um den Kontakt zu Sammlern, Künstlern, Kuratoren geht und mehr darum, mit anderen Nomaden eine temporäre Gesellschaft aufzubauen, haben Museumsdirektoren wie Hollein auf der Rechnung.

Der Chinese Joseph Hutong zahlte zwei Millionen Pfund für eine Renovierung im British Museum

Sie profitieren trotzdem. Denn Museumsdirektoren wie Dercon oder Hollein können etwa einen Finanzmakler, der nur für zwei, drei Jahre am Ort lebt, über eine der Kernaufgaben des Museums, das Sammeln, an ihr Haus binden. Das Engagement in Ankaufskommissionen kommt der Mentalität dieser Klientel entgegen. "Ein gewisser Reiz ist auch, dass man Zugang zu Insider-Wissen bekommt und dieses Wissen dann schnell auch zugunsten des Museums verwendet: In gewisser Hinsicht ist man beim Einkauf für das Museum dabei, macht ihn mit möglich und schafft dabei etwas, das bleibt", erläutert Hollein.

Für Sammler, die sich schon in Dubai oder New York für die Kunst engagiert haben, ist das Museum als Institution ein vertrauter Ort, man spricht sozusagen die gleiche Sprache und fühlt sich vielleicht nur wie in einer anderen Niederlassung des gleichen, exklusiven Clubs. Und wer genügend Mittel aufbringen kann wie etwa der chinesische Mäzen Joseph Hutong, der kann darauf bauen, dass die nach ihm benannte und für mehr als zwei Millionen Pfund runderneuerte orientalische Galerie des British Museums von der britischen Königin eröffnet wird.

Diese Öffnung strahlt ab, kaum eine Institution hat sich in den vergangenen Jahren so verändert wie das Museum. Kunstmuseen haben sich nicht nur internationalisiert, sondern wollen die demokratische Gesellschaft, die sie unterhält, auch reflektieren. Die Folge ist eine "Dekolonisierung" der Häuser: Ein deutsches Museum ist ein Ort, an dem sich die Enkel türkischer Gastarbeiter, albanische Migranten und syrische Flüchtlinge genauso ihrer Identität versichern sollen können, wie die Nachfahren der Städel-Gründer. Auch klassische Weltmuseen wie das British Museum "überdenken" die Präsentation der ständigen Sammlungen, wie Direktor Hartwig Fischer im Magazin Monopol erklärte. Es gehe ihm nicht länger um die Betonung von Identitäten, sondern darum, "Brücken zwischen den Kulturen zu bauen".

Doch wie in der Tate Modern, wo gut ein halbes Dutzend nach Weltregionen aufgeteilte Ankaufskommissionen in der Zusammenarbeit von Kuratoren und Sammlern die Maßstäbe für Qualität verhandeln, gilt auch in San Francisco, dass die Initiative beim Museum liegen muss. Wenn Kuratoren Interesse an einem Thema wie "Contemporary Muslim Fashion" haben, können Freundeskreise oder Museumsvereine sich der Unterstützung von Ex-Pats sicher sein. Allerdings, so Hollein, müsse das Museum stets die Linie bestimmen: "Nur weil es hier viele indische Internet-Entrepreneure gibt, können wir nicht anfangen, indische Kunst zu sammeln", so Hollein. Es funktioniere anders herum. "Dann ist so eine Entscheidung eine hervorragende Möglichkeit, ihre ursprüngliche Heimat weiter zu unterstützen." Die Identität, die das zeitgenössische Museum vertritt, besteht aus vielen Identitäten.

© SZ vom 14.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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