Süddeutsche Zeitung

Musiktheater:Wie es mit der Oper weitergehen kann

Teilnehmen, nicht vorgesetzt bekommen: Die Münchner Musiktheaterbiennale zeigt, wie zugänglich zeitgenössische Musik sein kann.

Von Egbert Tholl

Vielleicht ist das ja eine Lösung: eine Klangskulptur am Meer, vielleicht nur für einen Zuhörer und eine Sopranistin, eine Begegnung voller Intimität, auch wenn die Brandung rollt und das Meer rauscht. Oder im Wald: auf dem einen Baum ein mechanischer Vogel, der Musik abspielt, auf einem anderen Baum ein echter, der singt, unten die Zuhörer. Und vielleicht noch ein Theremin.

Der Norweger Øyvind Torvund hat eigenwillige Vorstellungen, wie Opernaufführungen der Zukunft aussehen könnten. Aber er meint es ernst, so halbwegs wenigstens, jedenfalls heißt sein Stück, das nun bei der Münchner Musiktheaterbiennale seine Uraufführung hatte, "Plans For Future Operas". Dafür schrieb Torvund die Musik, den Text und fertigte kleine Filme an, mit ein paar wenigen Strichen, die dadurch wirken wie frühe Zeichnungen von Alberto Giacometti. Sie zeigen die Anordnungen seiner Umsetzungsideen, deren tönenden Gehalt Mark Knoop am Klavier und an Synthesizern und die grandios ungerührte Juliet Fraser mit ihrer Stimme liefern.

Das ist mehr als eine Spinnerei - es rührt am Kern vom Musiktheater

Das ist viel mehr als eine entzückende Spinnerei, es rührt am Kern vom Musiktheater. Denn Torvund beschäftigt Musik, vor allem wenn sie theatralisch wird, als Kommunikationsphänomen. Und vielleicht muss man manchmal ein paar spinnerte Ideen haben, um mit Witz über das Ziel hinauszuschießen, das doch nur sein kann, dass der Zuhörer gemeint ist und sich gemeint fühlt.

Die diesjährige Ausgabe der Musiktheaterbiennale trägt den Titel "Good Friends", was naheliegenderweise die Kollaboration der Künstler meint, die teils von verschiedenen Kontinenten stammend sich zu gemeinsamen Arbeiten zusammenfinden, weiterführend aber auch den Umgang mit dem Publikum berührt. Seit Manos Tsangaris und Daniel Ott 2016 die Leitung der Musiktheaterbiennale übernahmen, taten sie sehr viel, um aus ihr ein Publikumsfestival zu machen. "Zeitgenössisches Musiktheater" führt vielerorts immer noch zu einem unmittelbaren Abwehrverhalten, potenzielle Zuschauer glauben, ohne wenigstens ein abgeschlossenes Musikwissenschaftsstudium dort nichts verloren zu haben.

Das gilt für die Biennale nicht. Für keines der sieben neuen Werke in diesem Jahr - die Biennale ist ein reines Uraufführungsfestival - braucht man auch nur die allergeringsten Vorkenntnisse. Das gilt für die Themen wie für die Musik gleichermaßen. Gut, zwei der Arbeiten sind im Kern so unterkomplex, dass man schon sehr lange nach einem Punkt suchen muss, an dem man sich überhaupt reiben könnte. Aber alle sind sie Einladungen, sich auf etwas einzulassen. Und anders als die vielen Uraufführungen, die längst auch kleinere Opernhäuser in ihr Repertoire aufnehmen, hat keine der Aufführungen Repräsentationscharakter. Man bekommt bei der Biennale nicht einfach nur etwas vorgesetzt, man nimmt teil.

Am stärksten vielleicht bei "Spuren", einer Produktion der Musikhochschule in deren Keller. Das Gebäude errichteten einst die Nazis als "Führerbau", der Keller ist ein Bunker, und nun begegnet man dort Sängerinnen in höchster emotionaler Not, in Ausnahmezuständen, sehr nah und doch sehr entrückt - ein Erlebnis, dass auch ohne die derzeitigen Weltgeschehnisse beklemmend wäre, nun aber vollends packt. Die Musik von Polina Korobkova kriecht in den Kopf und ins Gemüt, die wundervolle Viktoria Matt fleht singend um wenigstens drei Worte eines geliebten Menschen. Natürlich, Musiktheaterarbeiten, die ihre Kraft auch aus der Spezifik des für sie gewählten Raums gewinnen, gibt es auch außerhalb der Biennale immer wieder mal. Weil die Theater diese Unmittelbarkeit des Erlebens herstellen wollen. Und das Publikum danach giert.

Da kommen auch Menschen, die keine Nerds sind, die von zeitgenössischer Musik keine Ahnung haben

Die Biennale war bislang - sie dauert noch bis Donnerstag an - gut besucht, wobei man eingestehen muss, dass vier der Produktionen von vornherein für ein überschaubares Publikum geplant waren. Das Ergebnis einer kleinen, absolut nicht repräsentativen Umfrage nach der letzten Premiere in der überhaupt nicht kleinen Muffathalle: Da kommen auch Menschen, die keine Nerds sind, die von zeitgenössischer Musik keine Ahnung haben, auch keinen der Künstler kennen. Es fiele leicht, ein Festival mit diesem Anspruch des Neuen zur perfekten Blase zu erklären. Aber es stimmte erfreulicherweise nicht.

Auch weil letztlich fast alle Arbeiten dezidiert politisch sind. Die Eröffnungspremiere "Lieder von Vertreibung und Nimmerwiederkehr" war eine Flüchtlingsoper, "The Little Lives" von Ann Cleare und A. L. Kennedy beschäftigt sich mit einem sardonischen Grinsen vor dem Hintergrund des Brexit mit den Auswirkungen politischer Entscheidungen aufs Private, "The Damned And The Saved" ist eine totalitäre Dystopie, allerdings mit Hoffnung am Ende. Die Schwedin Malin Bång vertonte mit extrem wirkungsvollen, sehr schroffen Klängen ein Libretto von Pat To Yan, geboren in Hongkong. Im Zentrum stehen zwei Frauen, verkörpert jeweils von einer Sängerin und einer Schauspielerin, geschunden und gequält in den Verliesen des Systems - im ersten Bild eine der besten Darstellungen politischer Gewalt, die es je auf der Opernbühne gab.

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