"Heldenplatz" an den Münchner Kammerspielen:Nie wieder? Schön wär's

Heldenplatz nach Thomas Bernhard, Münchner Kammerspiele
Katharina Bach, Annette Paulmann

Bei der Uraufführung ein waschechter Theaterskandal, jetzt an den Kammerspielen: "Heldenplatz" von Thomas Bernhard.

(Foto: Denis Kuhnert)

Thomas Bernhards "Heldenplatz" löste einst einen Skandal aus. An den Münchner Kammerspielen aber zündet das Stück trotz beklemmend brisanter Themen nicht mehr recht.

Von Christine Dössel

Es gibt an diesem Theaterabend in den Münchner Kammerspielen viele empörte Gesichter. Angewiderte, zornzerfressene, fassungslose Gesichter, die Münder aufgerissen zum Schrei oder indigniert zusammengepresst, viele Fäuste geballt, hier und dort ein Stinkefinger. Manche Köpfe sind abgewandt, weg von der Bühne. Als suchten sie in den Reihen hinter sich Verbündete. Schmieden sie einen dunklen Plan? Man weiß es nicht, und man hört sie gottlob auch nicht, denn es handelt sich um Gipsbüsten. Klassisch weiße Abgüsse wütender Männerprofile, verteilt über das ganze Parkett und auch oben im Rang. Wer meint, das habe etwas mit den Corona-Auflagen zu tun, die derzeit wieder nur eine 25-Prozent-Besetzung zulassen, täuscht sich. Die Gipskameraden wurden nicht in den Reihen platziert, damit das Theater ein wenig voller aussieht, sie gehören zum Inszenierungskonzept.

Gespielt wird "Heldenplatz" von Thomas Bernhard, jenes Stück über den Nationalsozialismus und Antisemitismus in Österreich, das bei - und auch schon vor - seiner Wiener Uraufführung 1988 durch Claus Peymann einen Riesenskandal auslöste. Die Aufführung fand unter Polizeischutz statt. Es gab Proteste, Geschrei, Störaktionen. Einer der Rädelsführer im Kampf gegen das Stück war der damals noch junge, in rechtsextremistischen Kreisen verkehrende Heinz-Christian Strache, der spätere FPÖ-Vizekanzler, gestürzt durch die Ibiza-Affäre. Es sind Leute wie er, die die Gipsköpfe in den Reihen der Kammerspielen symbolisieren. Sie sind mitten unter uns.

Den Skandal um das Stück im Hinterkopf, die gipsernen Schreihälse neben sich und vor einem auf der Bühne ein Mega-Aufbau in einem extrem hohen, blutrot leuchtenden, mit Wandvorhängen wie aus Lack ausgekleideten Raum - das ist gleich alles so monströs, dass es optisch sehr viel hermacht, aber bald auch Gefahr läuft, das Stück zu verschlucken. Das glänzende Rot auf Wolfgang Menardis Bühne ist das Rot der Hakenkreuzflagge, die riesigen Peitschenlaternen lassen an Exerzierplätze denken, überhaupt könnte dieser Showroom auch ein stilisiertes Konzentrationslager sein. Das fahrbare schwarze Gestell, das in der letzten Szene zu einer Tischtafel wird, ist irgendwie auch ein Henkersplatz, und wer würde bei den vielen paarweise auf dem Boden platzierten Schuhen und dem schwarzen Kohlegrab nicht den Holocaust assoziieren?

Der Regisseur Falk Richter macht hier einen sehr, sehr großen Rahmen auf, der in den folgenden Stunden, es sind immerhin fast drei, auch entsprechend groß gefüllt werden muss. Das passiert, mit hämmernder, eindrücklicher Ton- und Bildsprache, über Videos, Projektionen und Filmaufmärsche von alten und neuen Nazis (Videos: Lion Bischof, Musik & Sounddesign: Matthias Grübel). Das Stück selbst aber, Bernhards "Heldenplatz", ist konversationslastig und familiär und eigentlich viel zu leise, schwarzhumorig und privat für diesen schreienden monumentalen Bedeutungsraum.

Falk Richter interessiert der Antisemitismus einer vermeintlich geläuterten Gesellschaft

"Heldenplatz" ist ein explizit österreichisches Stück mit einer expliziten Österreich-Schmähung. Bernhards genüssliche Beschimpfung der nationalen "Niederträchtigkeit", sein Wien- und Graz-Bashing, seine Anspielungen auf lokale Gewohnheiten, Geschäfte, Institutionen ist für Auswärtige wenig humor- und konfliktträchtig und nicht unbedingt spannend. Das Stück hat deshalb auch keine Inszenierungstradition. Was Falk Richter daran interessiert, ist sein Ur- und Glutkern: der Antisemitismus einer Gesellschaft, die sich ach so demokratisch, geläutert und aufgeklärt gibt, und doch schon wieder - oder immer noch - zulässt, dass Juden und Andersgläubige angegriffen werden.

Als "Heldenplatz" 1988 uraufgeführt wurde, war Kurt Waldheim österreichischer Bundespräsident. Die nach ihm benannte Affäre löste in Österreich erstmals eine Grundsatzdebatte über die Rolle des Landes in der NS-Zeit aus. Die behagliche These, dass Österreich beim "Anschluss" 1938 das "erste Opfer" Hitlers gewesen sei, war danach nicht mehr haltbar. Thomas Bernhards Stück ist nach jenem Platz benannt, auf dem Hitler 1938 den "Anschluss" verkündete - unter dem Jubelgeschrei der Österreicher. Archivaufnahmen von diesem Tag geistern in der Inszenierung zuhauf über Monitore und Leinwände, gegengeschnitten mit Aufmärschen und Protesten der neuen Rechten. Glatzen mit brüllenden Fratzen, Ausländerfeinde, QAnon-Anhänger, Brexiteers, Politpopulisten, Querdenker- und Pegida-Demonstranten, CSU, NSU, AfD, alles vermischt und verwischt sich zu einem großen Aufgebot demokratiefeindlicher Kräfte, Taten und Aussagen. Alles so unerbittlich gleichgeschaltet auf einer Anschlussebene - von Franz Josef Strauß bis Beate Zschäpe -, dass es in mehrerlei Hinsicht wehtut.

Es ist halt doch auch die Zeit über Bernhards Beschimpfungswahn hinweggegangen

Es wird aber auch das Stück gespielt. Allerdings so texttreu und geradezu brav, dass von der spielerischen Seite her nicht viel Input kommt. Zunächst hat, in Gestalt von Annette Paulmann, Frau Zittel ihren großen Redeschwall- und Bügelauftritt. Sie ist Wirtschafterin im Hause des jüdischen Professors Schuster, der sich aus seiner Wohnung gestürzt hat - hinunter auf den Heldenplatz. Von ihr bekommen wir die wichtigsten Informationen über den toten Wissenschaftler, diesen Österreich-Hasser und "Genauigkeitsfanatiker", und die Umstände des Stücks. Weil seine Frau immer noch die Jubelrufe von 1938 heraufhört, wollten sie wegziehen. Alles war schon gepackt, als Schuster sich das Leben nahm. Er konnte nicht ertragen, "dass mich dieser Hitler zum zweiten Mal aus meiner Wohnung verjagt".

Ein überdimensionales Fenster mit Stucksims symbolisiert anfangs die großbürgerliche Wohnung am Heldenplatz. Katharina Bach schaut als "Hausmädchen" Herta wie paralysiert hinter der Scheibe hervor. Später schlüpft sie schon mal in eines der Professorenhemden, oder putzt manisch die Lackschuhpaare. Sie weiß sich in ihrer kleinen Rolle bemerkbar zu machen, während Paulmann einen ganzen Textberg wegzubügeln hat, was sie mit schriller Könnerschaft tut - und dennoch: Die Tiraden und bösen Pointen zünden nicht. Es ist halt doch auch die Zeit über Bernhards Beschimpfungsmonomanie hinweggegangen.

In der zweiten Szene, wenn nach dem Begräbnis des Vaters die Töchter und deren Onkel Robert zu Wort kommen, allesamt Akademiker, lässt Falk Richter eine seltsame Konversationsstatuarik obwalten, das ist auch ein bisschen fad. Als kämen sie von einer Beerdigung, sehen Anna und Olga in den gelbfarbigen Designerkostümen von Amit Epstein nicht gerade aus. Die bitter realistische Anna (Wiebke Puls) erzählt von der Angst, die sie wieder umtreibt, seit sie als Jüdin bespuckt worden ist. Die viel stillere Olga wirkt bei Thomas Hauser wie eine Transfrau und vertritt damit nonchalant - so wie später auch Erwin Aljukic mit seiner Glasknochenkrankheit in der Rolle des Sohnes Lukas - andere von Diskriminierung und Rassismus bedrohte Minderheiten. In der Rolle des herzkranken Robert Schuster, der als Bruder des Verstorbenen in hasserfüllten Tiraden über Österreich herzieht, gibt der lange vermisste Wolfgang Pregler sein Kammerspiele-Comeback. Auf zwei Stöcken gestützt und auf gebrechlich getrimmt, spuckt er böse, verzweifelte Sätze. Aber den Bernhard-Zündstoff von einst hat das alles nicht.

Heldenplatz nach Thomas Bernhard, Münchner Kammerspiele
Annette Paulmann, Katharina Bach

Anette Paulmann (links) als "Frau Zittel" und Katharina Bach als Hausmädchen.

(Foto: Judith Buss)

Ohnehin dient das Stück mehr als Rahmung für die Wut des Regisseurs Falk Richter auf die Neue Rechte - und auf eine bürgerliche Mitte, die so tut, als habe sie die Vergangenheit "bewältigt", während sie all die An- und Übergriffe und Hetzjagden auf den Straßen zulässt und "der alte Mann mit der Hundekrawatte" von der AfD sagen darf, der Nationalsozialismus sei nur "ein Fliegenschiss" in der Geschichte. Weshalb im Zentrum der Inszenierung jene Szene steht, die Richter als Autor selber hinzugeschrieben hat, eine zornige Abrechnung mit dem "verlogenen ,Nie wieder'-Theater" der Gesellschaft. Eine Wutrede, im Duktus angelehnt an Bernhard, von drei Darstellern mit Mikros ins und im Parkett gebrüllt, weil wir alle gemeint sind in unserer wohlfeilen kritischen Aufgeklärtheit. Hanau, Chemnitz, Halle - von wegen "nie wieder!". Auch die Medien kriegen ihr Fett weg, vor allem die SZ, speziell ein gewisser Artikel, der in diesem Feuilleton über Igor Levit erschien. Es ist ein großer, tönender Aufwasch. Agitprop, Beschimpfung und Mahnung. Ein Angriff von links. Heftig, schäumend, ungerecht und berechtigt. Am Ende vor allem: erschlagend.

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