Münchner Gasteig:Und dann ein Blatt am Brillenbügel

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Bei Bachs 5. Suite verzichtete der heitere Star-Cellist leider auf die vorgeschriebene Herabstimmung der A-Saite. Dennoch begeisterte Yo-Yo Ma mit Bach, Hindemith und George Crumb sein Publikum in der Münchner Philarmonie.

Von Harald Eggebrecht

Nur ein leerer Stuhl auf dem Podium der riesigen Gasteig-Philharmonie in München - das hat dann auch etwas Heroisches, Herausforderndes an sich. Wer sich da hinaustraut, um allein mit einem Violoncello zweitausend Zuhörer fesseln, ja in Bann schlagen zu wollen, der muss über eine geradezu märchenhafte Stärke verfügen, dazu über musikalischen Überzeugungswillen, eine instrumentaltechnische Souveränität und sowieso eine unschlagbare Bühnenpräsenz.

Wenn Meister Yo-Yo Ma mit geradezu leichtem Schritt auf diese Bühne kommt mit seinem Stradivari-Cello, dann hat er durch seine unspektakuläre Freundlichkeit, mit der er sich dem Publikum zuwendet, sogleich und schon vor der ersten Note gewonnen. Doch man darf sich nicht täuschen, da setzt sich ein konsequenter Künstler nieder, um unbeirrbar den Geist der Musik "sprechen" zu lassen. Das ist es zuallererst, was immer auffällt, wenn man diesem einzigartigen Virtuosen begegnet, das Beredte, Erzählende seines vielfarbigen Cellospiels. Damit lockt Yo-Yo Ma in die Musik hinein, so, als könne man sie wie Raumfolgen betreten und ihre jeweiligen Besonderheiten besichtigen.

Drei Suiten von Johann Sebastian Bach, dazwischen Paul Hindemiths Solosonate op.25, 3, 1922 komponiert, und die Solosonate des Amerikaners George Crumb von 1955, er wurde 1929 geboren, bot Yo-Yo Ma gewissermaßen aus der Freiheit dessen, der als Spieler, nach einer Forderung des bedeutenden Cellisten Mstislaw Rostropowitsch, auf der Bühne quasi Komponist zu sein hat. Das Prelude der 1. Suite begann Yo-Yo Ma leise. Dann entwickelte er die folgenden Tanzsätze wie einen Aufstieg bis zum Ruhepol der frei ausgesungenen Sarabande, der vergnügte Menuette folgten, während er die abschließende Gigue durchaus als kräftigen, nicht allzu schnellen Kehraus verstand.

Nach dieser hell beleuchteten Bachschen "Raumfolge" führte Yo-Yo Ma in Hindemiths karger ausgestattete, viele Schwarz-und-Weiß-Effekte provozierende, auch mit witzigen Ecken versehene Sonate. Hatte der Meister bei Bach leicht zurückgelehnt mit halb geschlossenen Augen gleichsam dem eigenen Spiel zugehört, so saß er jetzt aufrecht, stieg intensiv in die Saiten und setzte auf ein erregtes Vibrato. Danach Bachs 5. Suite, leider ohne die vorgeschriebene Herabstimmung der A-Saite. Dennoch gelang es Yo-Yo Ma, die c-moll-Düsternis dieser Musik als eine Art Trauerkondukt zu gestalten. Der mächtigen Einleitung folgte, fast huschend, das fugato, die Allemande hatte strenge Züge, die Courante eilte ohne Licht dahin, die Sarabande sang untröstlich ihre Melodie (trotz heftiger Hustenattacken aus dem Auditorium), Gavotte 1 und 2 und Gigue begehrten knorrig, doch vergeblich auf.

Nach der Pause klang Crumbs Stück dagegen licht und luftig, schon die locker hingezupften Anfangspizzikati ließen daran keinen Zweifel. Zuletzt leuchtete Yo-Yo Ma Bachs C-Dur-Suite vom strahlenden Prelude bis zur robusten Gigue als munteres Wechselspiel aus Cellofreude und unbekümmerter Tanzlust aus. Ovationen im Stehen für den heiter gestimmten Meister, der sich ein heruntergefallenes Blatt vom Blumenstrauß amüsiert hinter den Brillenbügel steckte.

© SZ vom 31.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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