Süddeutsche Zeitung

"Münchner Freiheit" von Das Weiße Pferd:Mehr als bloß nörgeln

Nicht einmal die Rolling Stones sind vor ihnen sicher: Auf ihrem neuen Album riskiert die Münchner Band Das Weiße Pferd die große Pop-Lippe und legt sich mit Legenden an.

Von Karl Bruckmaier

Die frohe Botschaft war das eine. Hurra, es gibt eine neue LP von Das Weiße Pferd. Kurz Aufgeregtheit in Schwabing-Nord und dem Glockenbach-Viertel. Wird schon was sein. Doch dann bekam man erste Songs zu hören. Und dann bekam man alle Songs zu hören. Und schließlich bekam man auch noch Remixe dieser Songs zu hören. Bloß das Album bekam man irgendwie nicht. Nur den Titel rückten die Labels schließlich raus: "Münchner Freiheit". Und das en passant geniale Art Work von Anna McCarthy. Ziemlich gewagt.

Es wurde September, Oktober, November, Dezember - dreimal werden wir noch wach: Hurra, die Zeitmaschine kreißt, und es ist endlich soweit, 2015 hat begonnen; es ist Januar, und wenn der Süddeutsche Verlag in 100 Jahren wieder so Jahrgangstonträger mit Prädikat veröffentlichen wird, dann werden allein zehn Songs da drauf von "Münchner Freiheit" stammen. Nun weiß man aber, wer sich zu weit aus dem Fenster lehnt, endet gerne als Fettfleck auf dem Trottoir - daher ein paar Hinweise, warum sich die Aufgeregtheit ob dieser Band über die genannten Münchner Stadtteile hinaus rechtfertigen lässt.

Das Weiße Pferd - die folgende Metapher biedert sich an - hat nach einem Album im Schritt ("San Fernando") und im Trab ("Inland Empire") nun auf Galopp hochgeschaltet, weit ausgreifende Sprünge, Atemlosigkeit, Tempo: Popsongs. Rocksongs. Protestsongs. Man schreibt es ja nur ungern: Aber bloß Rumnörgeln allein ist nicht politisch. Da braucht es schon einen Hallo-Wach-Effekt, den etwa ein Lied wie "Straßenkämpfer" vermitteln kann.

Rettung durch die Diskurs-Kavallerie

Oder eine Gentrifizierungs-Ode wie "Abtauen Girl". Zwei Minuten Schweinsgalopp statt zwanzig Jahre Theorie büffeln. Die Diskurs-Kavallerie kommt zu unserer Rettung. Acht Mann sollen es sein auf diesem Pferd, die vielleicht Simon, Joe oder Josip heißen, aber vorne im Sattel sitzen Albert Pöschl - Labelmacher und Bastard-Pop-Gerücht - und der Zorro der Münchner Unterdrückten Federico Sanchez, ohne dessen Lesungen, ohne dessen anarchischen Sampler, ohne dessen Bands und Pseudonyme und Label-Aktivitäten München einfach eine ungleich langweiligere Stadt wäre.

Sanchez riskiert hier auf "Münchner Freiheit" die große Pop-Lippe, deutscht bis zum Überdruss vertraute Pop-Hymnen von den Stones, von Lee Perry ein, bis man sie wieder hören und ihren Sinn verstehen kann, legt sich mit kanonisierten Legenden an und hat es diesmal drauf, seine Sicht auf die Dinge kurz zu fassen, nicht verspult.

Diesmal blickt einem Das Weiße Pferd im Vorbeisprengen direkt in die Augen. Diese Band ist das Hier und Jetzt; diese Band spielt in derselben Liga wie Die goldenen Zitronen oder Bonaparte. Diese Band gilt es heute zu hören und zu sehen, bevor es sie alle runterfetzt vom Pferd, denn in dem Tempo gehen die in 20 Jahren nicht auf Stadiontournee, nein, da muss man schon auf gleich aufspringen, hilft nichts. Und tschüss.

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Quelle:
SZ vom 23.01.2015/danl
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