Münchner Cuvilliéstheater:Im Luftschlösschen

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In dieser "Denkschule" üben die Schüler das Argumentieren (v.li.: Mareike Beykirch, Cathrin Störmer, Steffen Höld, Lisa Stiegler und Barbara Melzl). (Foto: Sandra Then)

Thom Luz inszeniert "Die Wolken, die Vögel, der Reichtum" am Münchner Cuvilliéstheater als zauberhafte Hommage ans Denken.

Von Christiane Lutz

Man muss dieser Tage schon sehr wild entschlossen sein, in Bayern ins Theater zu wollen. Es gilt 2 G plus bei 25 Prozent Auslastung. Das ist mäßig attraktiv, für die Theater und die Zuschauer. Umso schöner, wenn dann auch noch die Teststation zwischenzeitlich ausfällt, wie die nahe dem Residenztheater, pünktlich zum Feierabendansturm. Warteschlange trotz Termin. Nur durch Eingreifen des Theaterpersonals schaffen es die Zuschauer noch in die Vorstellung. So kann man es den gebeutelten Häusern noch zusätzlich schwer machen.

Die 25 Prozent Publikum aber, die es trotz der Widrigkeiten ins Cuvilliéstheater schaffen, werden belohnt mit einem verrückt-entrückten Theaterabend: Thom Luz' "Die Wolken, die Vögel, der Reichtum", ein Auftragswerk für das Münchner Residenztheater. Thom Luz, Hausregisseur, ist berühmt für seine Theaterzaubereien, für sein Spiel in den Zwischenwelten, immer traumhaft, manchmal albtraumhaft. Bühnengedichte im Nebel, wenn man so will. Diesmal hat er sich drei Komödien von Aristophanes vorgenommen, "Die Wolken", "Die Vögel" und "Der Reichtum". Er hat sich ihnen zunächst über die Titel genähert. Es sind drei vorüberziehende Erscheinungen, wenn man so will, auch Reichtum ist am Ende ja nichts anderes als eine von Menschen erschaffene Behauptung. Aus Aristophanes' Motiven hat Luz ein rätselhaftes Stück über das Denken gebastelt und den beklemmenden Moment, in dem man mit dem Denken nicht mehr hinterherkommt und das Chaos im Kopf zulassen muss.

Schauplatz ist - wir sind schließlich im antiken Griechenland - ein Phrontisterion, eine Denkschule des Sokrates, in der ein paar eifrige Schüler den "Vorsprung durch Erkenntnis" erwerben wollen. Sie tragen weiße Overalls und weiß bemalte Gesichter. "Wir sind auf der Suche", sagt eine Schülerin, "nach Heilung und Wissen." "Und möglichst guten Ratschlägen!" ein anderer. "Und Trost von der schlechten Welt!" schade auch nicht. Sokrates - in der Szene gespielt von Mareike Beykirch, aber eigentlich gibt es keine eindeutigen Rollenzuschreibungen - nickt streng-gütig. Sollen sie kriegen.

Hinter manchem Aufgeblasenen verbirgt sich doch nur ein Dampfplauderer, oder: Luftkissen gefüllt mit Theaternebel. (Foto: Sandra Then)

Diese "Denkfabrik" (Bühne: ebenfalls Thom Luz) erinnert an eine Turnhalle oder einen kalkweißen Heizungskeller: Styroporbälle, Turnbänke, an den hohen, kahlen Wänden verlaufen Rohre. Die Schüler balancieren riesige Luftkissen, greifen immer wieder hinein, und es entweicht Theaternebel. Ein Sinnbild fürs Dampfplaudern oder die berüchtigte heiße Luft? Denn ob in diesem abgelegenen Raum wirklich die Elite von morgen zusammenkommt, wie einst Steve Jobs und sein Kollege in einer Garage, oder ob es sich doch eher um ein Refugium für ausrangierte Philosophen handelt, bleibt eine Frage der Perspektive. Dem Raum und den darin Umherwandelnden haftet jedenfalls auch immer die Aura einer geschlossenen Anstalt an.

Was den Menschen im Innersten antreibt: der Wunsch, die Welt zu durchdringen

Vielleicht stimmt auch beides, der Grad zwischen Genie und Wahnsinn ist bekanntlich schmal, so mancher Denker wurde für verrückt, so manch Verrückter zum Denker erklärt. In philosophisch-irren Gesprächen diskutieren die sechs dann über das Orakel von Delphi genauso wie über die Unart des Geldes oder die Probleme des "festgehaltenen Wortes" und die Vorzüge der Flüchtigkeit: "Völker dieser Erde, schreibt nie etwas auf. Wer etwas aufschreibt, hält einen Gedanken gegen seinen Willen beim Vorüberziehen auf." Alles Unglück der Welt habe in dem Moment begonnen, als der Mensch zu schreiben anfing, die Vervielfachung von Wissen sei vielleicht gar nicht so zielführend?

Immer wieder verneint ein eher naturphilosophisch bewegter Sokrates in Aristophanes' Texten auch die Existenz der Götter, etwa, als er sagt, die Wolken machen den Regen: "Müsste Zeus nicht auch bei Sonnenschein, wenn sie weg sind, es regnen lassen können?" Einleuchtend. Es ist befreiend und inspirierend, Zuschauer dieser Denkschule zu sein, Fragen zu diskutieren, die so fern von der tristen Weltlage erscheinen, wie Luxus in diesen dunklen Tagen wirken und doch daran erinnern, was den Menschen im Innersten antreibt: der Wunsch, die Welt zu durchdringen. Das ist allerschönstes Eskapismus-Theater ohne Eskapismus als reinen Fluchtgedanken.

Orchestriert wird das Ganze von Daniele Pintaudi, der vor der Bühne Klaviere und Tonbandgeräte aufgebaut hat und die Szenen mit feiner Musik und Einspielern begleitet. Immer wieder hegt er die Schüler ein, verweist auf die Originale von Aristophanes, geboren 444 vor Christus, und erinnert daran, womit wir es hier eigentlich zu tun haben: einem sehr alten Text. Am Ende, das ist dann doch recht unerwartet, aber Thom Luz sagte oft genug, er "könne keine Schlüsse", lehnen sie die sechs nicht gegen Sokrates, sondern ausgerechnet gegen diesen Kapellmeister auf. Sie verjagen ihn und springen, zu Zombies mutiert, selbst an die Instrumente. Rätselhaft. Aber dann wiederum: "Das Chaos ist willkommen, denn die Ordnung hat versagt", heißt es an einer Stelle. Wer würde dem, gerade heute, wirklich widersprechen wollen?

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