Nach Urteil:Siegfried Mauser verlässt die Akademie der Schönen Künste

Max-Joseph-Denkmal in München, 2016

Die Akademie der Schönen Künste sitzt im Königsbau der Residenz in München.

(Foto: Robert Haas)
  • Noch bevor die Musikabteilung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste seinen Ausschluss beschließen kann, verlässt Siegfried Mauser freiwillig die Institution.
  • Zuvor hatten sechs Mitglieder ihren eigenen Austritt angedroht, sollte der frühere Präsident der Münchner Musikhochschule nicht von der Akademie ausgeschlossen werden.
  • Mauser ist wegen sexueller Nötigung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden.

Von Sabine Reithmaier

Drei Gerichtsinstanzen hat die Bayerische Akademie der Schönen Künste abgewartet. Doch jetzt geht die laut Satzung "oberste Pflegestelle der Kunst" in Bayern auf Distanz zu ihrem ehemaligen musikalischen Direktor. Nachdem der Bundesgerichtshof am 9. Oktober das Urteil des Münchner Landgerichts gegen Siegfried Mauser bestätigt hatte, entschied die Musikabteilung der Akademie auf ihrer jüngsten Sitzung, die Mitglieder über die Einleitung des Ausschlussverfahrens abstimmen zu lassen. Bis zum 6. November hätten sie Zeit, ihr Votum abzugeben, doch das hat sich nun erübrigt. Denn Mauser hat in einem Schreiben vom 25. Oktober seinen Austritt mitgeteilt.

Der ehemalige Präsident der Münchner Musikhochschule muss wegen sexueller Nötigung in drei Fällen eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten antreten. Daher hatte Kammersängerin Brigitte Fassbaender, eine von sechs Frauen in der 44 Mitglieder starken Musikabteilung, ihren Austritt angekündigt, wenn es nicht zum Ausschluss Mausers komme. "Sollte die Dreiviertelmehrheit, die zum Ausschluss der Person M. nötig ist, nicht erreicht werden, möchte ich die Akademie, die ihren Nimbus des vorbildlichen und fundierten Umgangs mit den ,Schönen Künsten' auch im Sinne der Integrität ihrer Mitglieder für mich verloren hätte, verlassen", hatte Fassbaender per Mail mitgeteilt.

Geregelt ist das Ausschlussverfahren im Paragrafen 7 der Akademiesatzung aus dem Jahr 1948. Danach kann ein Mitglied "wegen grober Verfehlungen oder bei fortgesetzten Zuwiderhandlungen gegen den Geist der Vereinigung auf Antrag der zuständigen Abteilung" ausgeschlossen werden. Einen Passus über einen automatischen Ausschluss von Mitgliedern, die wegen eines Vergehens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden sind - inzwischen bei vielen Institutionen üblich - hat der Freistaat Bayern, zuständig für die Satzung, bislang nicht aufgenommen. "Ich hoffe sehr und bin mir ziemlich sicher, dass dieser Passus bald kommt", teilte Akademiepräsident Winfried Nerdinger mit.

"Der Austritt Brigitte Fassbaenders wäre für die Akademie eine Katastrophe", sagt Peter Michael Hamel, Direktor der Musikabteilung. In der von ihm unterzeichneten Pressemitteilung anlässlich des geplanten Ausschlussverfahrens distanziert sich seine Abteilung erstmals und damit reichlich spät "von den Handlungen und den privaten Meinungsäußerungen einzelner Mitglieder zum Fall Mauser, die die Institution selbst nicht zu verantworten hat". Mitglieder hätten sich nicht in ihrer Eigenschaft als Amtsträger der Akademie, sondern nur als Privatpersonen über den Fall Mauser geäußert. Dies bezieht sich auf die leidenschaftlich für Mauser eintretenden Leserbriefe der ehemaligen Präsidenten Dieter Borchmeyer und Michael Krüger, die im Mai 2016 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht worden waren. Außerdem sei die Festschrift, die anlässlich des 65. Geburtstags von Mauser im Verlag Königshausen und Neumann erscheint, keine Publikation der Akademie. "Sie wird weder von ihr finanziert, noch bezuschusst, noch hat die Akademie Einfluss auf das Erscheinen", teilt Hamel mit.

Die Unterscheidung zwischen Privatperson und Amtsträger bleibt diffizil und führt zu seltsamen Aufspaltungen. Musikdirektor Peter Michael Hamel ist sozusagen nur als privater Komponist - er hat drei Gedichte Dagmar Nicks vertont - einer der 35 Autoren, die in dem von Dieter Borchmeyer, Susanne Popp und Wolfram Steinbeck herausgegebenen Sammelband "Musik verstehen - Musik interpretieren" vertreten sind. Dass diese Festschrift überhaupt und dann so kurz nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf den Markt kommt, ihr Erscheinen nicht wenigstens verschoben wird, könnte man auch als Ausdruck des Zweifels an der Rechtsprechung auffassen.

Brigitte Fassbaender bei der Verleihung des Opus Klassik 2018 im Konzerthaus am Gendarmenmarkt Berl

Brigitte Fassbaender.

(Foto: Frederic Kern/Imago/Future Image)

Mitherausgeber Dieter Borchmeyer, von 2004 bis 2013 Präsident der Akademie, gibt sich arglos. Der 65. Geburtstag Mausers sei am 3. November, der Band seit vier Jahren geplant. "Problematisch wäre allenfalls das nicht rechtzeitige Erscheinen. Vielfach gelingt dieses nicht, da die Autoren säumig sind. Hier war das nicht der Fall. Alle Autoren haben ihre Beiträge pünktlich geliefert", teilte er per Mail mit. Das Sammelwerk, 467 Seiten dick, sei im Druck, "übrigens ohne jede finanzielle Unterstützung von dritter Seite (und natürlich ohne Honorare für die Autoren), sie geht allein auf das Risiko des Verlags." Wenn man Borchmeyers Ausführungen folgt, hat anscheinend keiner der Autoren Bedenken bezüglich des Erscheinungstermins geäußert oder sich für eine Verschiebung ausgesprochen. "Wir Herausgeber haben mit allen Beiträgern korrespondiert, und diese stehen geschlossen hinter uns." Bei diesen handle es sich um ein "Konsortium von maßgebenden Intellektuellen und Künstlern unserer Republik", darunter die Komponisten Helmut Lachenmann, Aribert Reimann, Wolfgang Rihm, Wilfried Hiller und Jörg Widmann, die Schriftsteller Michael Krüger und Martin Mosebach oder der Philosoph Peter Sloterdijk. Auch sieben Frauen sind darunter, Nike Wagner etwa oder als Mitherausgeberin Susanne Popp, die ehemalige Leiterin des Max-Reger-Instituts.

Borchmeyer hegt keinerlei Zweifel an der Richtigkeit des Unternehmens. Wie immer man den Justizfall Mauser beurteile, sein "Fall" könne seine Verdienste als Gelehrter und Künstler nicht plötzlich ungeschehen machen. "Wir sind keine Justizbehörde, sondern Wissenschaftler und Künstler, und als solche lassen wir uns nicht davon abbringen, Siegfried Mauser als Person, als Intellektuellen und Künstler zu ehren."

In seinem Leserbrief vor drei Jahren sah der Literaturwissenschaftler das noch anders: "Gewiss, läge wirklich kriminelles Fehlverhalten vor, wie es ihm das Amtsgericht München zur Last legt, würde das auch durch seine bedeutende Lebensleistung schwerlich aufgewogen", schrieb er im Mai 2016, als gerade das erste Urteil gesprochen war. Jetzt scheint das nicht mehr zu gelten. Das neue Rechtsverständnis drückt sich noch viel klarer im Vorwort der Festschrift aus, das - so darf man wohlmeinend zur Entschuldigung der anderen Autoren annehmen - die meisten vielleicht vorher nicht gelesen haben.

Darin beschwören die drei Herausgeber Mausers Empathie, Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, sich mitzufreuen und mitzuleiden, was ihm nicht immer nur gedankt worden sei. "Seine Visionen und sein unbändiger Tatendrang, die ansteckende Spontaneität und begeisternde Vitalität haben ihm manche Kritik eingetragen - und sein bisweilen die Grenzen der ,bienséance' (des Anstands, Anm. d. Red.) überschreitender weltumarmender Eros hat für ihn schwerwiegende rechtliche Folgen gehabt." Eine sehr eigenwillige Formulierung für den höchstrichterlich festgestellten Tatbestand der sexuellen Nötigung und ein Schlag ins Gesicht der betroffenen Frauen. Eine Entschuldigung erachtet die Akademie übrigens bislang nicht als notwendig.

Jedem Mitglied steht übrigens der Austritt aus der Akademie frei. Dass Siegfried Mauser sich zu diesem Schritt endlich entschlossen hat, begrüßt die Akademie der Schönen Künste sehr.

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