Kulturpolitik:Fairteilt

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Oder doch? Ein Techniker der Münchner Kammerspiele und der Regisseur Jan-Christoph Gockel (rechts) protestieren gegen städtische Sparmaßnahmen. (Foto: Robert Haas)

Überall muss gerade gespart werden. Darf sich das Theater trotzdem beschweren? Die Münchner Kammerspiele finden: klar. Über einen Protest, der hierzulande erst der Anfang ist.

Von Christiane Lutz

Ein Regisseur setzt einer Puppe die Säge an den Hals und ruft den vorbeieilenden Stadträten zu: "Bitte nicht kürzen!" Damit meint Jan-Christoph Gockel das Geld für die Kunst, für die Münchner Kammerspiele im Speziellen. Anlass: Die beschlossene Tariferhöhung aus der letzten Tarifrunde von 2020 soll vom Theater selbst übernommen werden. Der Stadtrat tagt im Löwenbräukeller über die Haushaltspläne für 2022, die Stadt München steckt finanziell in der größten Krise der jüngeren Geschichte. Die Kammerspiele sind da nur ein Pünktchen auf einer sehr langen Tagesordnung der Krisen. Das Theater aber hat zum Protest aufgerufen, etwa 160 Menschen sind gekommen.

An dem Morgen in München wird der Konflikt sichtbar, der sich wohl an vielen Orten wiederholen wird, wenn die nächste Sparrunde die Kulturschaffenden trifft: Der aufgestaute Frust über die gefühlte Ungleichbehandlung, übers nur so halb Spielendürfen bricht sich Bahn. Eineinhalb Jahre Krise, das habe man irgendwie hingekriegt, sagt ein Mitarbeiter der Kammerspiele, man sieht ja ein, dass man kurzfristig solidarisch sein müsse, aber es fehle an einer Zusicherung der Politik, dass es bald anders gehe. Eine Zusicherung, die die Stadt nicht geben kann. Dann aber, siehe Puppe, müsse der Kunst der Kopf abgesägt werden. Und, das ist die größte Sorge: Ist der einmal ab, wächst er nicht mehr nach.

Dabei sind Sparvorgaben kein Produkt kulturfeindlicher Bösewichte, sondern eines der Pandemie. Wenn man in einem Bett mit zu kleiner Bettdecke liegt, ist nun mal egal, wo man zupft, es wird immer jemand kalte Füße haben. Die Stadt München hat allen Referaten die Vorgabe gegeben, jeweils 6,5 Prozent einzusparen. Für 2022 ist nun Ähnliches zu erwarten.

Die Folgen sind jetzt schon schmerzhaft: Das Sozialreferat etwa hat nicht mehr genug Sozialarbeiter, die es zu Familien in Not schicken kann. Dagegen scheint ein reduzierter Spielplan verkraftbar. Dieses gegeneinander Ausspielen aber, die Überlegung, wovon die Gesellschaft ein vorübergehendes Weniger verkraften kann, sei destruktiv, sagen die Kammerspiele und rufen zum "Aktionsbündnis Kultur Bildung und Soziales" auf, einem "Schulterschluss" gegen drohende Sparmaßnahmen. Alle müssten sparen, heißt es aus dem Kulturreferat, wo man das Stirnrunzeln über die Aktion schon durchs Telefon zu hören glaubt, man versuche, das so fair wie möglich zu gestalten.

Man muss auf die eigenen Missstände hinweisen, ohne den Anschein zu erwecken, dass man alles Andere ausblendet

Um das Ganze einmal in Zahlen zu fassen: Für den Eigenbetrieb Kammerspiele, zu dem auch die Schauburg und die Otto Falckenberg Schule gehören, bedeutet die Übernahme der Tariferhöhung rund 486 000 Euro für 2022, 706 000 für 2023. Münchens Kulturreferent Anton Biebl sagt, das sollte anlässlich eines Betriebsmittelzuschusses von 38 Millionen Euro "realisierbar" sein. Das wird er am Mittag in der Vollversammlung ziemlich genau so wiederholen. Kammerspiele-Intendantin Barbara Mundel sieht eine drohende langfristige strukturelle Veränderung und spricht von "fataler Signalwirkung" für den Rest des Landes. Die Kammerspiele werden auf ihr Konsolidierungssparbuch zugreifen müssen. Nun, immerhin haben sie eins.

Stellt euch nicht so an, ihr seid fest angestellt, sagen die einen. Hier geht etwas Wesentliches verloren, sagen die anderen. Die subventionierten Häuser müssen also einerseits auf die eigenen Missstände hinweisen, ohne dabei andererseits den Anschein zu erwecken, das große Ganze völlig auszublenden.

Diese Gespräche werden sich bald schon wiederholen, in Köln, Frankfurt, Stuttgart. Nur der Vergleich mit Hamburg, wo der Kulturetat 2021 sogar erhöht wurde, hinkt, denn als Stadtstaat kann Hamburg, wie auch Berlin, ganz anders Schulden machen als eine Kommune wie München.

Die Krise ist gelinde gesagt noch nicht vorbei. Es ist unwahrscheinlich, dass im Herbst vor vollbesetzten Häusern gespielt werden darf. Aber wie kann sich das Theater selbst helfen? Rund 85 Prozent der Kosten an den Kammerspielen sind Fixkosten. Nur etwa 15 Prozent sind flexibel, für Inszenierungen, kurz: für die Kunst, einsetzbar. Ein Weniger von 6,5 Prozent macht da sehr viel aus. Andere Ideen? Ausgeweitetes Sponsoring etwa, wie es Opern und Museen längst betreiben? Darüber würde sie vielleicht demnächst nachdenken, sagt Intendantin Mundel. Aber noch nicht, noch wird gekämpft.

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