Fall Siegfried Mauser:Schriftstellerin kritisiert Dichter Michael Krüger

Birgit Müller-Wieland, 2017

Die österreichische Schriftstellerin Birgit Müller-Wieland kritisiert ihren Kollegen Michael Krüger.

(Foto: Stephan Rumpf)

Birgit Müller-Wieland wirft ihrem Kollegen vor, er beschönige in zwei Siegfried Mauser gewidmeten Gedichten sexuelle Gewalt. Damit verhöhne er die Betroffenen.

Von Sabine Reithmaier

Birgit Müller-Wieland zieht Konsequenzen: Die Schriftstellerin erträgt nicht, dass es immer noch Zeitgenossen gibt, die Siegfried Mausers Taten verharmlosen. Dazu zählt für sie ihr Dichterkollege Michael Krüger, der dem zu zwei Jahren und neun Monaten verurteilten Sexualstraftäter zwei Gedichte gewidmet hat. In einem Offenen Brief begründet die Autorin auf sieben Seiten, warum sie sich aufgrund des spezifischen Inhalts dieser Texte gezwungen sieht, ihre Teilnahme an der 30-Jahr-Feier des Lyrik-Kabinetts abzusagen, trotz ihrer innigen Bindung an diese "überragende und einmalige Einrichtung". Denn dort wird Michael Krüger die Gäste begrüßen.

Eines der Gedichte mit dem Titel "Wie alles zusammenhängt ... für Sigi Mauser" hat sie auf Mausers Facebookseite entdeckt. Das zweite, "Hören" betitelt, findet sich als prominent an erster Stelle platzierter Beitrag in der soeben erschienenen Festschrift zu Mausers 65. Geburtstag. Bislang hatte in dieser vor allem das Vorwort für Ärger gesorgt. Denn darin bedauern die Herausgeber, dass Mausers ". . . bisweilen die Grenzen der ,bienséance' überschreitender weltumarmender Eros" für ihn "schwerwiegende rechtliche Folgen gehabt" habe. Doch Birgit Müller-Wieland vertritt die Ansicht: Nicht nur hier, sondern auch in den Versen Krügers werde sexuelle Gewalt beschönigt, Betroffene verhöhnt und die Kunst missbraucht.

Um dies zu begründen, liefert sie eine ausführliche, hier nur sehr verkürzt wiedergegebene Analyse des Gedichts "Wie alles zusammenhängt. . . ". Darin beschreibt Krüger Schafe, die "bewegungslos auf ihren dünnen Beinen" hinter seinem Haus träumen. Aus deren dunklem Fell werden Soutanen für "Priester im Pfaffenwinkel" geschneidert. "Oder auch Roben für die Richter und Staatsanwälte,/ die Recht sprechen sollen, / auch wenn es kein Recht zu sprechen gibt./ Hochmut und Dünkel werden in den Stoff / gewebt, / damit er glatt fällt, wenn sie sich / im Namen des Volkes erheben von ihren Stühlen."

Eine interessante Verknüpfung, findet Müller-Wieland. Mit den Schafen "auf ihren dünnen Beinen", "Priestern im Pfaffenwinkel" und den offenbar unfähigen Vertretern der Justiz ergäbe sich ein interessanter Assoziationsreigen, würden doch Schafe entweder als wenig intelligent oder als schwer unterschätzte, durchaus lernfähige Tiere erachtet. "Wie auch immer: Sie müssen für Menschengruppen herhalten, die ihres Amtes laut diesem Text offenbar nicht würdig sind, und man kann nur mutmaßen, was uns der Dichter mit der Verbindung von Machtmissbrauch, den sexuellen Verbrechen der Kirche und der Widmung für einen Sexualstraftäter sagen will", schreibt Müller-Wieland. Sie erinnert daran, dass Krüger, "der wie Mauser zuvor in allen Kulturgremien zu sitzen scheint", mit dem Dichter Hans Magnus Enzensberger und dem Literaturwissenschaftler Dieter Borchmeyer bereits 2016, nach dem ersten Urteil gegen Mauser, in Leserbriefen von einem "Komplott" und einer "Blamage für die Justiz" gesprochen hatte.

Die österreichische Schriftstellerin, deren Roman "Flugschnee" 2017 auf der Longlist für den deutschen Buchpreis war, ist mit dem Komponisten und Hochschullehrer Jan Müller-Wieland verheiratet. Als ihr Mann 2006 den Ruf an die Münchner Musikhochschule erhalten habe, hätten sie gerüchteweise vom "Münchner Klüngel" gehört, kannten auch das Wort "Spezlwirtschaft". "Was diese Begriffe tatsächlich bedeuten, lernen wir seit nunmehr dreizehn Jahren in immer neuen, nie für möglich gehaltenen Varianten."

"In diesen Befragungen ging es um intimste Körperstellen"

Detailliert stellt Müller-Wieland die Mühsal dar, der sich eine Frau unterzieht, die es wagt, sich gegen sexuelle Belästigung juristisch zu wehren. Sie erinnert daran, dass während der Prozesse die vier Frauen - nur in zwei Fällen erfolgte ein Urteil - insgesamt 40 Stunden öffentlich aussagen mussten, immer wieder minutiös zu allen Details befragt wurden. "In diesen Befragungen ging es um intimste Körperstellen, um Brechreiz und Kiefersperre beim plötzlichen Vorstoß einer Zunge, um den Stand der Sonne und ihr Licht auf das Sofa im Präsidentenzimmer zu einem bestimmten Zeitpunkt eines bestimmten Tages, um Schockstarre, es ging um Analverkehr, es ging um Panik, eine 30 000 Euro teure Konzertgitarre könnte zu Boden fallen, und es ging darum, ob eine der Klägerinnen womöglich ein Brillenetui spürte, als der Angeklagte ihre Hand überfallsartig in seinen Schritt presste."

Alles so widerwärtig, dass man es lieber nicht wissen wolle. "Herr Krüger und viele andere wollten es auch nicht wissen, die verschiedenen Gerichtssäle wurden von ihnen nicht betreten und auch sonst eine abenteuerliche Ignoranz an den Tag gelegt." Stattdessen habe man Falschmeldungen kolportiert und die Frauen denunziert. Krügers Gedichte sind daher für sie "Äußerungen eines Intellektuellen, der sich der Manipulation seines angeblichen Freundes entweder nicht entziehen kann oder will und der mit anderen Intellektuellen Deutschlands ein Bollwerk an Ignoranz und Menschenverachtung aufgebaut hat." Und das sei in der gegenwärtigen politischen Situation höchst beunruhigend.

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