Ausstellung:Wo die Uschi den Jimi fand

"Beat in Schwabing" - in der Pasinger Fabrik zeugen Ulrich Handls Fotos von Münchens wilder Vergangenheit

Von Christian Jooß-Bernau

Ein Abend im Winter 2020 in Schwabing. Leopoldstraße. Ecke Franz-Joseph-Straße. Föhnwetter. Es riecht nach U-Bahn-Schacht, Frühling und Kaugummi. An der Ampel lässt ein Autofahrer die Scheibe herunter, ruft, winkt. Wolfgang Lauter ist mal wieder ein bisschen knapp dran. Muss nur noch irgendwo parken. Minuten später auf Höhe der Leopoldstraße 25: Lauter guckt suchend in die Höhe. Da am Eck, das ist noch die alte Fassade. Daneben hat man einiges saniert. 2007 kam der Abrissbagger. Wo früher eine Baulücke war, zieht sich jetzt die Häuserfront weiter. Es ist 57 Jahre her, da eröffnete hier im Keller das Big Apple. Die Dependance einer schon in Berlin erfolgreichen Diskothek. Wolfgang Lauter war an den Wochenenden oft gleich nebenan. Hier, wo heute die Schaufensterfront eines Kleidergeschäfts Kundschaft ködern will, muss er irgendwo gewesen sein. Der Eingang ins PN-hithouse, das 1965 als PN-Atlantis eröffnete. Die Initialen standen für den Chef: Peter Naumann. Das hithouse hatte die Bands. Auch die Kinks spielten hier einen Monat und wohnten gegenüber. Lauter liebte The Remo Four aus Liverpool.

Nebenan im Big Apple legte meist der Berliner Jürgen Herrmann auf, der später den Beat aus dem Bayerischen Rundfunk ins Land sendete. Aber auch Bands brachten Publikum. Die Yardbirds, die Pretty Things oder die Animals ließen die Gläser klirren. Der Bassist der letzteren, Chas Chandler, erzählte von einem Gitarristen aus New York, den er als Manager vertrat und den man auch mal buchen könnte. So kam es, dass am 8. November 1966 Jimi Hendrix mit seiner Experience erstmals in Deutschland auf der Bühne stand - im Big Apple. Im Publikum ist auch Ulrich Handl, den man zu dieser Zeit eigentlich immer in den beiden Clubs mit seiner Kamera trifft. Unter dem Titel "Beat in Schwabing" sind in der Pasinger Fabrik Handls Fotos zu sehen. Der Fotograf war tief verwoben mit der Szene, mit einigen Musikern befreundet. Er stand mit dem Publikum vor dem Club, besuchte die Bands hinter der Bühne - einer auf Augenhöhe. Handl inszeniert keine Posen, er fand Ausdruck. Seine Ausstellung ist eine Schatzkiste, eine Erinnerungsmaschine. Die Vernissage ist voller Menschen, denen man zutraut, einst selbst ihr Haar geschüttelt zu haben. Und selbst wenn die jungen Leute auf Handls Fotos mal nur herumhängen, haben sie eine unruhige Energie im Blick, eine Neugier, eine Sehnsucht nach der Nacht, in der sich auf und vor der Bühne die Masse verdichtet, bis sie explodiert.

Beat in Schwabing

Diskothek und zeitweise Beat-Band-Schuppen: Das Big Apple existierte bis in die späten Siebziger.

(Foto: Ulrich Handl)

Eine junge Dame, die man regelmäßig im Big Apple antraf, wollte seinerzeit den hübschen, wilden Hendrix aus New York unbedingt näher kennenlernen und durfte hinter die Bühne. Sie hieß Uschi Obermaier und sollte es im Kennenlernen von Popstars noch weit bringen. Auch Wolfgang Lauter erinnert sich an Uschi. Ein "Techtelmechtel" habe der Sänger seiner Band mit ihr gehabt, schreibt er in einer Mail nach dem Schwabing-Abend. Die Band, das waren Beatstones, bei denen Lauter bis heute Schlagzeug spielt. Sein Lieblingsort aber war nicht das schickere Big Apple. Musiker damals tanzten nicht - maximal "einen Schieberblues". Lauter ging ins hithouse. Hier trafen sich die Musiker der Stadt. Hier war jeden Abend der Arbeitsplatz der britischen Importe, die auf einer zentralen Bühne spielten. Die ermöglichte, dem Schlagzeuger sogar auf die Füße zu sehen, um zu gucken, was der mit Bassdrum und Hi-Hat veranstaltete.

Unglaublich, wie dicht die beiden wichtigen Musikorte der Stadt nebeneinander lagen, findet Lauter, während man auf dem Gehsteig in der aufziehenden Kälte der Schwabinger Nacht steht. Unglaublich, wie sich zwischen 1963 und 1967 Popgeschichte verdichtete. Natürlich: Es ist seine Jugend, es ist sein Sound, und es sind seine Wochenenden, an denen der Verlagsbuchhändlerlehrling davon träumt, als Schlagzeuger mitzuspielen im großen Beat-Zirkus. Aber man muss nur einmal die Alben "With The Beatles" und "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" nacheinander hören, um zu begreifen, dass in vier Jahren die Welt einmal von den Füßen auf den Kopf gestellt wurde.

Beat in Schwabing

Hier spielte am 8. November 1966 Jimi Hendrix mit seiner "Experience" erstmals in Deutschland.

(Foto: Ulrich Handl)

1965 stieg Lauter bei den kurz zuvor gegründeten Beatstones in Pasing ein. Davor hatte er, der in der Schule Akkordeon und Geige gelernt, schon in anderen Bands Schlagzeug gespielt hat, erst Dixieland und Skiffle, sich behauptet gegen den eigenen Vater, der in einem Anfall von Raserei eines Nachts die Becken des heimkehrenden Sohnes hinter das Haus warf und als Rumpelstilzchen in dessen Basstrommel sprang. Die Beatstones waren Teil einer gigantischen Beatbandwelle, die in diesen Jahren, in denen Jazzkeller durch Beatclubs abgelöst wurden, durch Deutschland rollt - nachzulesen im umfangreichen, 2000 erschienenen Band "Shakin' All Over". Heute gehören die Beatstones zu den raren Exemplaren, die über all die Jahre, trotz Umbesetzungen und Todesfällen, weiter Musik gemacht haben. Wie andere Münchner Bands spielten sie viel in den Lokalen um den Hauptbahnhof wie dem Palais de Dance. An der Leopoldstraße regiert die internationale Beatprominenz.

Die Bands und Beat-Orte des alten Schwabing haben sich in Luft aufgelöst, so, wie der Muff der Sechziger. Man muss in den Zeitungskeller steigen, um ihn aus dem Archiv zu holen. Die Euphorie der Jugend stand im Schatten der Vergangenheit. Die Gammler beschäftigten die Stadt. Als Musiker, sagt Lauter, sei man da einfach mit einsortiert worden, obwohl man gar nicht dazugehörte. Gammler, denen man auch auf Handls Fotos in der Pasinger Ausstellung begegnet, das waren junge Menschen, die es wagten, den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen und sonst einfach mal auf öffentlichen Plätzen rumzusitzen und zu reden. Sie ernährten sich, so weiß die Abendzeitung im Mai 1967 von "Hühnerfleisch und Gemüse zu zwei Mark" und Alkohol. Auf einer Leserbriefseite in der AZ toben noch 1970 die Bürger: "unappetitliche Menschen", "wahre Urweltmenschen". Sigi Sommer kommt als Blasius der Spaziergänger 1965 am Wedekindbrunnen vorbei und ist geruchsbelästigt. Da liegt eine "Streunerin", über der Fliegen "lüsterne Kreise" ziehen. Daneben "ein anderer lebender Abfallhaufen". In diesem Ton der gehässigen Entmenschlichung geht es weiter, bis sich Blasius als Schlusspointe mit Kernseife als Problemlösung begnügt, statt mit "dunkelgrauen Vollgummi-Salamis", sprich Gummiküppeln. Da fragt man sich, welcher halbwilde Beatmusiker dem Blasius auf den Kopf getrommelt hatte. Es ist eine Zeit, in der lange Haare über dem Ohr beginnen und nichts den Bürger so sehr beschäftigt, wie die Frage, ob die Jugend sich auch den Hals gewaschen hat.

Beatstones Beat in Schwabing

Für heimische Musiker gab es andere Bühnen. Beispielsweise den Fendilator in der Fendstraße. Auf den Stufen vor dem Eingang posieren die "Beatstones" mit ihrem Schlagzeuger Wolfgang Lauter (zweiter von links).

(Foto: Beatstones)

Die aber war schon auf einem anderen Planeten, hockte Leopoldstraße, Ecke Ainmillerstraße vor dem Picnic, dem ersten Selbstbedienungsrestaurant Münchens. Der Behelfsbau in dem man sich seine Würstelteller aus einem Fach mit Glasklappe holen konnte, existiert natürlich nicht mehr. Genau wie Annas, geführt von Richard Rigan, das Klamottengeschäft rechts hinter dem Karlstor in der Innenstadt, wo sich die Beatstones für ihren Auftritt im Vorprogramm der mittlerweile berühmten Kinks im Circus Krone einkleideten: lila Hosen, gelbe Pullover, breite Gürtel. Für das heißeste Outfit musste man nicht bis in die Carnaby Street fahren.

Klar, man hätte an diesem Abend im Winter 2020 noch weiterziehen können. Zur Schauburg, beispielsweise, die ehemals ein Kino und dann als Blow-Up Münchens erste Großraumdiskothek war. Zum Circus Krone, wo die Beatles auf ihrer einzigen Deutschland-Tournee spielten, die Handl auch fotografierte, und die Beatstones nicht nur bei den Kinks sondern auch den Troggs im Vorprogramm zu sehen waren. Aber es ist höchste Zeit zu gammeln. Das kann man seit 40 Jahren in der Rheinpfalz in der Kurfürstenstraße. Hier winkt vom Nebentisch Nick Woodland, der sein Haar immer noch über den Ohren und obendrauf einen Zylinder trägt. Das Leben hat Lauter nach seiner Lehre als Verlagsbuchhändler zum Grafik-Design-Studium an die U 5 und später an die Kunstakademie geführt. Er macht typografische Kunst, die seinen Witz und Geist und die Liebe zum Wort zusammenbringt. Sehr viele Deutsche dürften schon einmal ein Buch in der Hand gehabt haben, dessen Einband er gestaltet hat. Er hat tolldreist assoziative Bild-Text-Bücher gemacht und als Fotograf nicht nur Freunde des Katzenkalenders beglückt. Aber schon an der Art, wie Lauter locker federnd läuft, merkt man: Es war immer der Rhythmus, der sein Leben angetrieben hat.

Beat in Schwabing Wolfgang Lauter

Wolfgang Lauter.

(Foto: Christian Jooß-Bernau)

Kurz vor dem langen Ausklang in der Rheinpfalz noch ein Expeditionsabstecher in die Fendstraße, wo die Beatstones einst in einem Wettbewerb antraten. In einem Lokal das Fendilator hieß. Lauter erinnert sich noch an The Sabres, deren Sänger ihn mit einer Version des ursprünglich von Ringo Starr gesungenen "Boys" beeindruckte. Der Sänger war Towje Kleiner, der später als Schauspieler in Dietl-Serien das Münchenbild mit einer ganz eigenen Art von charmantem Chaos bereichern sollte. Dem ehemaligen Fendilator treiben seit vielen Jahren die Scientologen, die hier residieren, den Spirit aus. Lauter hat ein Büchlein dabei "München rockt - die wilde Zeit an der Isar", das 2007 mit Handls Fotos im Strube Verlag erschien. Er beugt sich über eine Straßenszene, die die großflächig belebte Leopoldstraße vor dem U-Bahn-Bau zeigt. Wo das war? Eine Schwabingerin, die kurz nach den Krawallen 1962 nach München kam, hält ihr Fahrrad an. Hilft aus mit Erinnerungen. Es ist der Bachmaier ums Eck. "Schwabing ist ja nicht mehr das, was es mal war", verabschiedet sie sich mit freundlichem Grant. Und Wolfgang Lauter, dufter Beat-Typ, der er im Herzen immer sein wird, entgegnet: "Ja, aber es kommt wieder."

Beat in Schwabing, bis 8. März, Pasinger Fabrik (Galerie 1 - 3), Beatstones, Mi., 19. Februar, 20 Uhr, Pasinger Fabrik (Galerie 1)

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