Das Runde muss ins Eckige. Das ist das zentrale Ziel, um das sich in den nächsten EM-Wochen alles dreht. Aber muss die Zahl der Tore und Mannschaften dabei auf zwei begrenzt sein? Dass drei Tore und drei Mannschaften ganz neue Möglichkeiten und Dynamiken ergeben, hatte sich Asger Jorn bereits im Jahr 1962 gedacht. Deswegen erfand der dänische Künstler den„Dreiseitigen Fußball“, auch um damit sein philosophisches System der Triolektik zu demonstrieren. Seit 1993 gab es auch schon einige „dreiseitige“ Spiele. Bei der EM wird man ganz sicher keine sehen. Dafür kann man sich in der Pinakothek der Moderne in München aktuell zahlreiche Bilder von Asger Jorn anschauen, die im Geiste seines triolektischen Denkens entstanden.
Präsentiert werden Jorns Werke zusammen mit Arbeiten der Münchner Künstlergruppe Spur. In einer von insgesamt sechs kleinen Ausstellungen, die unter dem Motto „Walk The Line“ verschiedene Wege in die Abstraktion aufzeigen. Diese Wege führen im Falle der Künstlergruppe Gutai bis nach Japan. Ansonsten gibt es etwa bei Magdalena Jetelová fotografische Abstecher nach Island und bei Alfred Ehrhardt in die „Kurische Nehrung“. Zeitlich geht es bis in die 1930er-Jahre zurück. Ein erkennbarer Schwerpunkt liegt auf der Nachkriegszeit. Als einer für die Kunst sehr prägenden Phase, in der viele Kunstschaffende in zahlreichen Ländern auf der Suche nach Neuem waren.
Dazu gehörte eben auch die Gruppe Spur, die von Lothar Fischer, Heimrad Prem, Helmut Sturm und HP Zimmer 1957 in München gegründet wurde. Im selben Jahr machte hier Otto van de Loo seine erste Galerie auf. Und weil dieser in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, ist es in erster Linie van de Loo, den die Pinakothek mit der mit „Die Welt kann nur durch uns enttrümmert werden“ betitelten Schau ehrt. Otto van de Loo war es, der als Galerist die Gruppe Spur entscheidend förderte. Und das gegen so einigen Widerstand. Denn das konservative München war für die provokativen, linkslastigen Aktionen der jungen Künstler nicht bereit. Die Folgen waren unter anderem Prozesse wegen Verleumdung oder Gotteslästerung.
Dieses Wilde und Provokative ist Bildern wie „Kreuzigung“ (1961) von Heimrad Prem oder „Moonbit“ (1965) von HP Zimmer nicht mehr so direkt anzusehen. Aber genauso wie die Gemälde von Asger Jorn wirken die expressiven Arbeiten noch immer sehr lebendig. Jorn war es auch, der die SPUR-Künstler bei der 800-Jahr-Feier Münchens 1958 im Schwabinger Kunstzelt entdeckt und sie an van de Loo vermittelt hatte. In dessen Haus hatte Jorn damals ein Gast-Atelier. Schön ist, dass die Ausstellung neben den ganzen Männern mit der Ungarin Judit Reigl auch eine wichtige abstrakte Malerin aus der Zeit präsentiert. Außerdem bildet das 1970 gegründete Kinderforum van de Loo einen Schwerpunkt. Dort werden bis heute Kinder und Jugendliche künstlerisch geschult, aber nicht didaktisch, sondern mit Blick auf Kreativität und freies Denken.

Die gegenstandslose Kunst als Ausdruck von Freiheit und Vielfalt wurde bereits 1949 von der Münchner Gruppe Zen49 propagiert. Zu deren Gründern gehörten etwa Willi Baumeister, Rupprecht Geiger, Brigitte Matschinsky-Denninghoff und Fritz Winter. Mit Referenz auf den Zen-Buddhismus suchten diese Anschluss an die von den Nazis geschmähte Kunst des Blauen Reiter. Mit befreiten Farben, fließenden und schwebenden Formen, wie man sie etwa auf den Gemälden „Von Blau zu Grün“ von Ernst Wilhelm Nay und „E 156“ von Rupprecht Geiger sieht. Die kleine Schau zum 75. Jubiläum von Zen49 entstand in Kooperation mit der Fritz-Winter-Stiftung und dem Archiv Geiger. Bei der Präsentation von Werken der Künstlergruppe Gutai wiederum hat die Münchner Sammlung Goetz als Leihgeber fungiert.
Gutai, auf Deutsch etwa: konkret, greifbar, materiell, wurde 1954 in Japan gegründet. Auch hier ging es ähnlich wie bei der Gruppe Spur darum, etwas noch nie Gesehenes zu schaffen. Vertreter der innovativen Truppe, der es um den Ausdruck reiner Kreativität ging, waren etwa Toshio Yoshida, Chiyu Uemae und Takesada Matsutani. Und es ist höchst interessant zu sehen, wie sich hier einerseits ein gedanklicher Bogen von Deutschland bis nach Japan spannt. Wie teils ähnliche Ideen aber dann doch zu anderen Ausdrucksformen fanden. Etwa, wenn man sich die Strudel-Formen auf einem Acryl-Bild von Kumiko Imanaka ansieht oder die zerplatzten Blasen aus PVC-Klebstoff von Takesada Matsutani.

Unter dem Titel „Unruhe“ werden späte Werke von Hans Hartung präsentiert, die ganz auf die Energie der abstrakten Linie setzen. Diese sind Arbeiten der 1985 geborenen, deutschen Künstlerin Maria VMier gegenüberstellt, die auf spannende Weise mit diesen interagieren. Ein großer Saal ist unter dem Titel „Wind, Sand und Wasser“ dem Pionier der abstrakten Fotografie Alfred Ehrhardt gewidmet. Der war eigentlich gelernter Kirchenmusiker und Kunstpädagoge und wurde in den 1950ern als Kulturfilmer bekannt. Zur abstrakten Fotografie gelangte er, weil die von ihm in der Natur entdeckten, abstrakten Strukturen und Formen in den 1930ern in der Malerei verpönt waren. In seinen faszinierenden Aufnahmen von Dünen, Kristallen oder Muscheln, die aus der Stiftung Ann und Jürgen Wilde stammen, konnte er diese aber darstellen.

Auf den zeitgenössischen Fotos von Geraldine Frisch, Magdalena Jetelová und Hiroshi Sugimoto eröffnen sich schließlich „Abstrakte Horizonte“. Die Münchnerin Geraldine Frisch fotografierte eine verlassene Fabrikanlage vor dem Abriss. Sugimoto bringt ikonische Bauwerke optisch ins Schwimmen. Und Jetelová hat auf Island die Zone des mittelatlantischen Rückens mit einem Laserstrahl nachgezeichnet und fotografiert. Die Linie, die in dem höchst anregenden Parcours vielfach als Ausdruck der Freiheit gefeiert wird, wird hier zum Sinnbild des Absurden. Als willkürliche Grenze, die ins Nirgendwo führt.
Walk The Line, bis 8. Sept., Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, www.pinakothek-der-moderne.de