München:Aufgestanden

Bei "Kettcar" im Theatron wird getanzt wie früher

Von Dirk Wagner

Hörerplätze heißen in der Oper Zuschauerplätze, auf denen man das Bühnengeschehen nicht sieht. Sobald auf der eingezäunten Tanzfläche direkt vor der Bühne im Theatron am Olympiasee Menschen stehen, werden die dahinter befindlichen Sitzplätze in den unteren Reihen allerdings auch zu Hörerplätzen. Denn nun verdecken die Stehenden den dort Sitzenden die Sicht. Um zu sehen, was auf der Bühne passiert, müssten diese ebenfalls aufstehen. Doch das ist verboten. Zur eigenen Sicherheit, wie es heißt. Schließlich könnten Stehende sich hier verletzen. Statistisch ist solche Verletzungsgefahr seit Inbetriebnahme des Theatrons zwar nicht aufgefallen, aber wen interessiert die Statistik, wenn ein einziger Unfall genügt, um die Verantwortlichen zu verklagen?

Die Zeiten, in denen etwa die Scorpions hier wie in den Siebzigern ohne weitere Vorkehrungen spielten, sind vorbei. Zehntausend Zuschauer seien damals gekommen, erinnert sich der damalige Veranstalter Anurakta und räumt ein, dass es nur Glück war, dass nichts passierte. Sein Team hätte die Anforderungen des Scorpions-Auftritts nämlich unterschätzt. Solche Fahrlässigkeit kann sich ein Veranstalter heute nicht mehr leisten, wo beinahe schon jede Pommesbude ihren eigenen Security-Dienst vorweist. Weswegen für den Auftritt der Hamburger Band Kettcar im Theatron auch die dortigen Sicherheitsmaßnahmen verstärkt wurden. Zehntausend Zuschauer würden ohnehin nicht mehr auf das mittlerweile eingezäunte Terrain vor dem Olympiasee gelassen. Zahlreiche Fans der Band, die im Januar erst in der ausverkauften Tonhalle spielte, wurden darum auch abgewiesen. Was das Freikonzert übrigens nicht in Frage stellt. Denn ebenso, wie man als Fan bei normalen Konzerten riskiert, keine Eintrittskarte zu bekommen, gibt es auch für Freikonzerte keine Einlass-Garantie.

Weil sich aber die Toiletten und der Getränkeverkauf außerhalb des eingegrenzten Zuschauerraums befinden, erlebten einige Zuschauer, dass ihnen etwa nach dem Toilettengang der Rückweg zu ihren Freunden im Konzert verwehrt blieb. Was die im Idealfall nicht weiter irritierte, weil die Stimmung im Konzert selbst ja großartig war. Und dann baten Kettcar ihr Publikum auch noch, aufzustehen, weil eine ohnehin alberne Armschwenkbewegung sitzend ausgeführt besonders albern aussieht. Prompt jubelte das Volk, als hätte endlich jemand die beantragte Revolution genehmigt, und tanzte Arm schwenkend und aufrecht stehend wie in der guten alten Zeit. Für wenige Minuten war das Theatron sodann wieder der Stimmungsgarant, der es Jahrzehnte lang war, bevor Sicherheitsmaßnahmen einem der schönsten Konzertorte Tanzverbot erteilten. Im Anschluss an das Konzert verschwanden alle Beteiligten in die Sommernacht. Glücklich - und vollkommen unversehrt.

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