Süddeutsche Zeitung

München als Kunststadt:"Raus aus dem Denken in Schubladen"

Die international renommierte Kunstsammlerin Ingvild Goetz ist neue Vorsitzende des Kuratoriums der Pinakothek der Moderne. Sie will das Kunstareal zu einem Nukleus machen, von dem aus die gesamte Stadt vernetzt wird

Von Evelyn Vogel

Sie hat eine Vision, und diese Vision heißt: München wieder zu einer großen, international beachteten Kunststadt zu machen. Damit steht die Kunstsammlerin Ingvild Goetz in München nicht allein. Und sie hat in unterschiedlichen Funktionen schon viel dafür getan. Doch nun ist sie an eine Schaltstelle gerückt, an der sie diese Vision mit noch mehr Nachdruck verfolgen kann. Ingvild Goetz ist zur neuen Vorsitzenden des Kuratoriums der Pinakothek der Moderne gewählt worden. Sie übernimmt das Amt von dem 86 Jahre alten Franz Herzog von Bayern, der nach vielen Jahren den Vorsitz aus Altersgründen abgegeben hat.

Das Kuratorium ist 2012 aus dem Zusammenschluss des Vereins "Pin - Freunde der Pinakothek der Moderne" und der Stiftung der Pinakothek der Moderne hervorgegangen. Damit stellt das Kuratorium ein organisatorisch, aber auch finanziell ungemein potentes Gremium dar. Da hinter den Pin-Freunden wie auch hinter der Stiftung mächtige, kunstsinnige Förderer und Sponsoren stehen. Franz Herzog von Bayern war beiden Institutionen seit mehr als 50 Jahren als Schirmherr und Vorsitzender sowie Ideengeber zutiefst verbunden. Er sieht in Ingvild Goetz "die ideale Person, um das Kuratorium in Zeiten zu leiten, in denen sich mit dem Erwerb der Urheberrechte von Stephan Braunfels am zweiten Bauabschnitt der Pinakothek der Moderne großartige, auch strategische Entwicklungsmöglichkeiten für das Haus und das Kunstareal eröffnet haben."

Die Entwicklung des Kunstareals voranzutreiben, stellt also eine zentrale Aufgabe der Kuratoriumsvorsitzenden dar. Denn trotz einer nun schon bald zehn Jahre währenden Diskussion, die Kunst-, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen auf dem Gebiet rund um die Pinakotheken zwischen Heß-, Türken-, Karlstraße und Richard-Wagner-Straße stärker zu vernetzen, trotz eines eigens gegründeten Förderkreises, trotz mehrerer Kunstarealfeste, bei denen die Institutionen gezeigt haben, dass sie gut miteinander kooperieren können, ging bisher nicht allzu viel voran.

Der Rechteerwerb von Stephan Braunfels hat tatsächlich neue Möglichkeiten eröffnet. Und wenn die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) - wie nun erwartet - von der Theresienstraße weggeht und das Gelände dort ebenfalls neu bebaut werden kann, wird das künftige Kunstareal noch einmal anders gestaltet werden können. Schon Franz Herzog von Bayern forderte: "Es muss ein großer Wurf werden. Wir müssen da groß denken, aber nicht großspurig." Ingvild Goetz sieht das ganz ähnlich und wünscht sich, dass das institutionsübergreifender und zugleich fürs Publikum kommunikativer geschieht.

Goetz kannten viele bis vor wenigen Jahren vor allem als Sammlerin von Medienkunst und Gründerin der Sammlung Goetz in Oberföhring. Dabei beobachtet die 78-Jährige schon lange aufmerksam, was sich bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, dem Haus der Kunst, der Villa Stuck, dem Museum Brandhorst und der Pinakothek der Moderne tut und hat sich immer wieder auch persönlich eingebracht. Als sie ihre Videosammlung 2013 dem Freistaat Bayern schenkte, tat sie das in der Absicht, vielen Institutionen den Zugriff auf die Kunstwerke zu ermöglichen. Sie gilt dem Kuratorium, dem sie zeitweilig schon einmal angehörte, als "wichtiges Bindeglied zwischen den vielfältigen Münchner Kunstinstitutionen".

Goetz wünscht sich ein "gemeinsames Handeln" der Institutionen. "München hat ein unglaubliches Potenzial und nutzt es nicht." Nach ihrer Vorstellung sollten sich alle Kunstinstitutionen der Stadt gemeinsam Strategien und Präsentationsformen für die Zukunft überlegen. So könnten institutionell übergreifende Ausstellungen gestaltet und thematische Querverbindungen zwischen Häusern hergestellt werden. Dass das in München leichter ist als in anderen Städten, dessen ist sie sich sicher. Sie fordert: "Raus aus dem Denken in Schubladen." Im kleinen habe das die Initiative "Various Others" vorgeführt.

Ingvild Goetz

"Man muss global denken, wenn man möchte, dass München wieder zu einer großen Kunststadt wird."

Dass das Museum of Modern Art in New York nach der Wiedereröffnung die klassischen Präsentationsformen nach Epochen verlassen hat, findet sie einen zukunftsweisenden Ansatz. Für die Pinakothek der Moderne mit ihren vier Häusern unter einem Dach, hat sie einen geradezu revolutionären Ansatz: "Wir sollten die Pinakothek denken, als ob sie leer wäre." Kunst, Design, Architektur und Grafik also neu ordnen? Nicht jeder in seinem Bereich, sondern vermischt? Warum nicht. Michael Hering mache es ansatzweise in der Grafik ja schon vor, wenn er Kunstwerke aus anderen Sparten in die Ausstellungen hineinnehme. Außerdem findet sie, dass sich schon an der Rotunde ablesen lassen müsse, dass es sich um ein Vier-Sparten-Haus handelt. "Die muss bespielt werden, da muss es krachen, schon wenn man reinkommt", fordert Goetz. Das "Pendulum" von Ingo Maurer, das hier raumgreifend installiert ist, sei ein guter Ansatz.

Das alles widerspreche aber nicht dem alten Diktum, den zweiten Bauabschnitt der Pinakothek der Moderne für die Graphische Sammlung zu verwenden. Hier folgt Goetz der Haltung ihres Vorgängers. Wie auch immer das Areal weiter bebaut werde, es müsse mehr Platz für die Graphische Sammlung geben, betont sie. Aber sie wünsche sich, dass neue Gebäude auf dem Areal mit ganz unterschiedlichen Raumfolgen gedacht, geplant und gebaut würden. Nur so könne man klassischen Genres neben aktuellen zeitgenössischen Kunstformen gerecht werden und den Besuchern Querverbindungen aufzeigen. Wenn die Häuser dabei übergreifend aus den Sammlungen schöpften, um so besser. "Man muss global denken, wenn man möchte, dass München wieder zu einer großen Kunststadt wird", ist sie überzeugt.

Als Kuratoriumsvorsitzende könne sie neue Anstöße geben. Das mache ihr Spaß. "Dafür lasse ich mich gerne einspannen", sagt Ingvild Goetz. Klar sei aber auch, dass vor allem die Kuratoren der verschiedenen Häuser dafür gewonnen werden müssten, völlig neu zu denken und neue Experimente mit neuen Technologien zu wagen. Und man müsse auch möglichst viele junge Leute einbinden. "Das sollten nicht nur wir Oldies machen."

Viel nachdenken, viele Ideen einholen, viel Überzeugungsarbeit leisten. Auf die neue Vorsitzende des Kuratoriums der Pinakothek der Moderne warten einige Aufgaben, damit das Kunstareal zu einem Nukleus wird, der auf die ganze Stadt ausstrahlt und München wieder zu einer großen Kunststadt macht.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2019
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