Süddeutsche Zeitung

Baselitz verlässt Bayerische Akademie:"Widerlich"

Protest gegen Protest, Skandal auf Skandal: Der Maler und Bildhauer tritt aus, weil Literaten Akademiepräsident Nerdinger kritisierten. Das elitäre Haus steht blamiert da. Man muss wohl sagen: Wieder einmal.

Von Sabine Reithmaier

Die Bayerische Akademie der Schönen Künste hat schon wieder ein Mitglied verloren: Nach den Austritten von sechs Schriftstellern am vergangenen Mittwoch hat nun Georg Baselitz seinen Rückzug erklärt. Allerdings nennt der Maler und Bildhauer einen anderen Grund als die Literaten für seine Entscheidung: Er findet das Verhalten der 20 Unterzeichner des Protestbriefs gegen Akademiepräsident Winfried Nerdinger "widerlich und möchte nicht weiterhin unter einem Dach mit diesen Höflingen sitzen".

Auslöser des Streits in der Akademie war ein in der SZ erschienenes Interview mit Nerdinger. Darin hatte er von einer gesellschaftlichen Geringschätzung der Kunst durch die Corona-Politik gesprochen. Das sieht auch Baselitz so oder so ähnlich. Die Bundesregierung habe per Diktat die wesentlichen Rechte der Künste annulliert, schreibt er in seinem Austrittsbrief. Dagegen habe Nerdinger in dem Interview protestiert. "Daraufhin ist er von 20 Mitgliedern denunziert worden."

So interpretiert Baselitz das Manifest, das die erwähnten 20 in der FAZ als Reaktion auf das Interview veröffentlicht hatten. Darin warfen sie Nerdinger "Dünkel" und eine "diffamierende Rhetorik" vor und forderten, dass Themen, zu denen er sich öffentlich äußern wolle, zuvor von ihm in der Akademie zur Debatte gestellt werden sollen. Dies lehnte Nerdinger der SZ gegenüber ab. In der Folge gab es innerhalb der Akademie eine Reihe an Briefen von Nerdinger-Unterstützern, die dessen Gegnern Illoyalität und mangelnde Solidarität vorwarfen. Briefe einzelner Manifest-Unterzeichner erreichten dagegen nicht alle Mitglieder.

Proteste wurden mit "Lügen, Rügen, Machtworten, Beschimpfungen und Verleumdung" beantwortet

Am 27. Mai entschied sich das Direktorium, offene Briefe nicht mehr weiterzuleiten. Doch schon am Tag zuvor hatten die sechs Autoren, allesamt Unterzeichner des Statements, ihre Mitgliedschaft aufgekündigt, da sie es ablehnten, ohne vorheriges Gespräch mit welchen Ansichten auch immer in Verbindung gebracht zu werden.

"Krisen ermöglichen eben auch einen Blick auf sonst eher verdeckte Strukturen und Hierarchien", hatte Nerdinger im Interview gesagt. Das trifft offensichtlich auch auf die eigene Institution zu. Die Schriftstellerin Petra Morsbach, die den Brief nicht unterzeichnet hat - "er war mir nicht vorgelegt worden, und ich hätte ihn auch nicht unterschrieben" -, hat sich in ihrem Essay "Elefant im Zimmer" mit Machtmissbrauchsfällen auseinandergesetzt. Einer davon spielt in der Akademie. Verwerfungen in der Literaturabteilung gebe es seit zehn Jahren, sagt sie. Am Anfang stand ein Dichterlesungsverbot. "Proteste der Mitglieder wurden mit Lügen, Rügen, Machtworten, Beschimpfungen und Verleumdung beantwortet", erinnert sie sich auf die Frage nach möglichen Hintergründen des Konflikts. Jener Angriff auf die Kunstfreiheit sei nie aufgearbeitet worden und habe in der Literaturklasse ein autoritäres, unfruchtbares Klima hinterlassen.

Nerdinger sei nicht der Urheber des Konflikts, habe aber als Direktoriumsmitglied die Übergriffe der Funktionäre gebilligt. Das Manifest der 20 sieht sie als Weckruf und Gelegenheit zur Neuorientierung. Beide Seiten hätten Fehler gemacht. "Nerdinger pflegte seinen autokratischen Stil, weil man es zuließ. Diejenigen, die jetzt explodiert sind, haben diesen Stil vielleicht zu lange geduldet", sagt sie. Jetzt sei es Zeit zu klären, ob ein hierarchisches Klima den Mitgliedern helfe, für Freiheit und Würde der Kunst einzutreten. Die Skandale der vergangenen Jahre erlaubten keine erhabene Selbsteinschätzung. "Im Gegenteil: Sie blamieren den Eliteanspruch der Akademie unentwegt."

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