Müller-Westernhagen:Als Uschi Obermaier morgens eine Tüte rollte

In einer Halle hinter der Kinderbücherei probt Marius Müller-Westernhagen für seine Deutschlandtournee. Ein Gespräch über Schwimmflügel, Jugendradios und große Rollen, die er niemals spielte.

Martin Zips

Berlin-Wilhelmsruh. Hinter Hundepensionen, dem Einfamilienhaus von Familie Kremzow und der örtlichen Kinderbücherei probt Marius Müller-Westernhagen, 61, in einer Halle für seine Deutschlandtournee. Er hat eine dunkle Wollmütze auf, trägt eine John-Lennon-Brille mit orangenen Gläsern und eine Art Bademantel. Der Reißverschluss klemmt. Vor der Halle steht ein Bentley. Sein Bentley.

Marius Müller-Westernhagen, 2000

"Im Gegensatz zu Mick Jagger habe ich längst damit begonnen, eine andere, ruhigere Art der Präsentation auszuprobieren": Sänger Marius Müller-Westernhagen, 61, probt derzeit für seine Deutschlandtournee. 

(Foto: Reuters)

SZ: Herr Müller-Westernhagen, vor genau elf Jahren haben Sie in einem Interview mit dieser Zeitung gesagt: "Die Rolling Stones sind für mich ein warnendes Beispiel. Bei ihren letzten drei, vier Tourneen hab ich überhaupt keine Entwicklung gesehen." Sie sind jetzt 61 Jahre alt. Und Sie gehen wieder auf Tour. Haben Sie sich weiterentwickelt?

Marius Müller-Westernhagen: Das denke ich schon. Bei Mick Jagger ist es ja so: Wenn der nicht zwei, drei Stunden auf der Bühne rumspringt, dann sind die Leute enttäuscht. Im Gegensatz zu ihm habe ich längst damit begonnen, eine andere, ruhigere Art der Präsentation auszuprobieren. Alter hat viel mit Würde zu tun.

SZ: Hätte sich der Westernhagen vor 45 Jahren vorstellen können, dass er im Jahr 2010 noch auf der Bühne steht?

Westernhagen: Nein. Das hätte er nie von sich gedacht.

SZ: Ein Schulfreund von Ihnen beschrieb Ihr Jugendzimmer einmal als "richtig piefig", mit "Globus und Tannenholzfurnier".

Westernhagen: Stimmt, die Wohnung war schon piefig. Aber mein Zimmer bestand eigentlich nur aus einer riesigen Matratze und einer rot angemalten Glühbirne an der Decke. Außerdem stand da eine gigantische Stereoanlage. Das war alles. Mehr passte auch nicht rein. Neulich stand ich wieder vor dem Haus und sah eine Frau am Fenster. Da habe ich geklingelt und gesagt, dass ich mal hier gewohnt habe und ob ich reinschauen dürfte. Da sah mich die Frau an und sagte: "Also so etwas! Sie waren mein erstes Konzert!"

SZ: Und? Durften Sie rein?

Westernhagen: Klar. Die Frau war unheimlich nett. Ich hatte mein Jugendzimmer allerdings deutlich größer in Erinnerung. In Wirklichkeit war es einfach nur ein winziger Schlauch und hinten der Balkon, auf dem meine Mutter die Blumen pflegte, und wir uns am Sonntag zu Kaffee und Kuchen trafen.

SZ: Ihre Mutter arbeitete als Regierungsbeamtin. In welchem Bereich?

Westernhagen: Im Ernährungsministerium.

SZ: Sie haben also schon früh Müsli zu essen bekommen?

Westernhagen: Überhaupt nicht. Eher die gute deutsche Nachkriegsküche. Viel Butter, viel Eier und immer schön den Teller aufessen. Das Müsli-Machen habe ich von Uschi Obermaier gelernt.

SZ: Von Uschi Obermaier.

Westernhagen: Ja. Ich habe in München ein paar Wochen mit Uschi Obermaier und Rainer Langhans zusammengelebt. Uschi rannte die ganze Zeit nackt durch die Wohnung und rollte mir morgens noch am Nachtlager eine Tüte. Und sie zeigte mir, wie man Müsli macht. Obermaier hatte zu der Zeit eine Affäre mit Mick Jagger. Darüber haben wir geredet, und Langhans hat immer gesagt: "Ist schon in Ordnung. Die Uschi gehört ja nicht mir." Aber man hat genau gesehen, das hat der nicht wirklich geglaubt.

SZ: Ein paar Jahre zuvor haben Sie noch in der Kirche ministriert.

Westernhagen: Kirche war für mich die erste Begegnung mit Showbiz. Vor allem die Christmette mit Weihrauch und Klingeling. Ich war sehr gerne Messdiener, aber als ich einmal mit dem Messbuch stolperte, und das Buch über den Altar sauste und auf der anderen Seite wieder herunterfiel, habe ich aufgehört, denn das war mir unfassbar peinlich. Zuvor habe ich wegen meiner hohen Sopranstimme, den blonden Haaren und den blauen Äugelchen große Erfolge als Chorknabe gefeiert.

SZ: Können Sie eigentlich mittlerweile schwimmen?

Westernhagen: Schwimmen? Nein. Ich kann mir das auch nicht erklären. Meine Mutter schwamm ja wie ein Fisch. Doch ich habe es bis heute nicht gelernt und warte immer noch darauf, dass mir meine Frau endlich Schwimmflügel schenkt. In der Pubertät wäre ich natürlich gerne mal vom Beckenrand gehüpft, um die Mädchen zu beeindrucken. Aber immerhin war ich ein guter Fußballer.

SZ: Warum haben Sie mit 14 Jahren die Schule verlassen?

Westernhagen: An meinem Gymnasium gab es viele Lehrer, die noch mit Methoden des Dritten Reichs arbeiteten. Den ganzen Tag wurdest du als Versager beschimpft, an den Haaren gezogen oder geschlagen. Einige Kinder waren deshalb schon von zu Hause abgehauen. Irgendwann sagte ich meinem Vater: "Ich habe Angst, weiter zur Schule zu gehen." Mein Vater nahm mich von der Schule und als er kurz darauf starb, schickte mich meine Mutter auf die Höhere Handelsschule. Dort lernte ich Steno und Buchführung - parallel drehte ich Filme.

SZ: Zuvor, als Sie gerade Ihren ersten Film abgedreht hatten, hatte Ihnen Ihr Vater, der Schauspieler im Düsseldorfer Gründgens-Ensemble war, ein Telegramm geschrieben. Dort stand: "Demut" und "Bescheidenheit". Wie wichtig sind diese Dinge heute noch für Sie?

Westernhagen: Sehr wichtig. Außer Talent und Fleiß spielt bei so einer Karriere, wie ich sie gemacht habe, das Glück die wichtigste Rolle. Das sollte man nie vergessen. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder, der für das ihm zuteil gewordene Glück keine Demut zeigt, dieses Glück wieder weggenommen bekommt. Bescheidenheit ergibt sich schon daraus, dass Künstler nichts anderes sind als Medien. Ich stand noch nie auf der Bühne und habe mir eingebildet, dass ich es bin, der das alles auslöst - das ist meine Rolle. Ich weiß immer, was Projektion ist und was Realität.

"Ich bin nicht käuflich"

SZ: Erreichen Sie mit Ihren Liedern auch die jungen Menschen noch?

Westernhagen: Ich glaube schon. Unser Sohn ist 28, meine Tochter 24. Menschen in diesem Alter hören ja nicht nur Mist. Es gibt immer die, die in der Masse schwimmen wollen. Aber es gibt auch die, die ihre Individualität leben.

SZ: Jüngst stellten Sie in einem Beitrag für Die Zeit fest, dass Unterhaltung mehr und mehr zur Volksverdummung verkommt.

Westernhagen: Ja. Da wird immer mit Geld argumentiert. Aber es ist doch so: Wenn ein Hotelzimmer schlecht eingerichtet ist, dann hat es trotzdem Geld gekostet. Mit dem gleichen Geld und ein paar guten Ideen hättest du was Nettes draus machen können. So ist das auch mit der Unterhaltung. Und dann das Argument: "Die Leute wollen eh nichts anderes." Hören Sie doch mal die sogenannten Jugendradiosender heute. Alle Leute, die ich kenne, sagen, wie furchtbar sie das Programm dort finden. Ständig wird reingequatscht. Nur hysterisches Lachen und Werbung.

SZ: Und Sie? Sie sind vom Jeans-Träger zum Armani-Rocker mutiert und machten für die Bild-Zeitung und Gerhard Schröder Werbung. Traurig.

Westernhagen: Immerhin bin ich nicht käuflich, mir geht es um Inhalte. Geld ist etwas, das mich nie wirklich interessiert hat.

SZ: Tatsächlich?

Westernhagen: Im Musikbusiness glauben die Leute ja immer, dass man nur noch ein bisschen Geld drauflegen muss, schon macht der Künstler alles, was die Firma will. Aber mich haben die zum Glück nie mit Geld bekommen. Das hat mir eine unheimliche Macht gegeben.

SZ: Ihren Vertrag beim ehemals gigantischen Plattenkonzern Warner haben Sie vor vier Jahren auslaufen lassen. Jetzt arbeiten Sie auf eigene Kasse.

Westernhagen: Sie glauben nicht, unter was für einem Druck man lebt, wenn man in der Position ist, in der ich war und von einer Plattenfirma sehr hohe Vorschüsse gezahlt bekommt. Nun produziere ich selber Künstler und lasse den ehemaligen Universal-Boss Tim Renner alles rund um meine Musik organisieren. Ich habe dadurch viel persönliche Freiheit gewonnen.

SZ: Was machen Sie, wenn Sie nicht gerade auf der Bühne oder im Studio sind?

Westernhagen: Ich lese Philip Roth, reise nach Südafrika oder komponiere mit Gitarre und Klavier. Wenn die Musik steht, setze ich mich zu festen Zeiten an den Schreibtisch, um zu texten. Das ist keine rein intellektuelle Tätigkeit, da arbeite ich viel mit Intuition.

SZ: Ihre Texte gelten wahlweise als assoziativ oder eher kryptisch.

Westernhagen: Die frühen Texte sind das teilweise selbst für mich: "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" ist mir spontan eingefallen. Meine ersten Alben waren nichts anderes als Milieu-Studien. Auch angeregt durch die Rolle des Theo, die ich einst als Schauspieler spielte.

SZ: Später waren Sie nur noch selten als Schauspieler zu sehen. Wie kam das?

Westernhagen: Es muss Rollen geben, die einen herausfordern. Und wenn man sie bekommt, muss man sie auch erkennen. Ich verrate Ihnen jetzt ein Geheimnis: Wolfgang Petersen hat mir seinerzeit eine Rolle in Das Boot angeboten - ich sollte eines dieser Besatzungsmitglieder spielen. Aber eben keine Hauptrolle. Ich las den Roman und dachte mir: Oh Gott, 13 Wochen in einem U-Boot, was soll das denn? Petersen sagte: "Such dir eine Rolle aus." Aber ich sagte: "Wolfgang, ich spiele immer nur Hauptrollen." Da antwortete er: "Marius, du bist zu jung für die Hauptrolle." In einem idiotischen Anfall von jugendlicher Arroganz habe ich dann abgelehnt.

SZ: Und so kam wohl Herbert Grönemeyer zu seiner Rolle in diesem Film.

Westernhagen: Grönemeyer? Eine würdige Vertretung.

SZ: War das die einzige verpasste Chance in Ihrem Leben?

Westernhagen: Später einmal traf ich Petersen auf einer Party in Los Angeles. Er sagte: "Magst du nicht noch einmal was spielen? Was richtig Gutes?" Ich antwortete: "Ich weiß nicht." Petersen sagte: "Ich habe dich nämlich Steven empfohlen." Ich fragte: "Steven?" Petersen: "Spielberg." Da rammte mich meine Frau in die Rippen. Ich sagte zu Petersen: "Worum geht es denn?" Petersen erklärte: "Um Schindlers Liste." Da bekam ich Bammel, sowohl vor mir als auch vor einer möglicherweise verkitschten Hollywood-Umsetzung und sagte: nö.

SZ: Sie haben auch eine ältere Schwester. Von der weiß man allerdings wenig.

Westernhagen: Christiane wohnt noch immer in Düsseldorf. Sie singt auch manchmal. Allerdings eher Chansons. Eine ganz andere Richtung.

SZ: Und gerade sind Sie von Hamburg nach Berlin gezogen. Wohin genau?

Westernhagen: In die Nähe der Hackeschen Höfe. Eine wunderbare Gegend. Man kann nur hoffen, dass es hier nicht so wird wie in New York. Wenn die Spekulanten kommen, werden viele kleine Geschäfte geschluckt.

SZ: An den Hackeschen Höfen gibt es eine sehr hübsche Seniorenresidenz.

Westernhagen: Sehr komisch, aber noch zu früh.

SZ: Und warum Berlin?

Westernhagen: Hamburg ist im Vergleich zu Berlin ja eine sehr, sehr reiche Stadt. Und in reichen Städten sinkt die Kreativität, während in armen Städten die Kreativität anzieht.

SZ: Na, dazu passt, dass draußen Ihr schicker Bentley steht. Der kostet mindestens 180.000 Euro.

Westernhagen: Ach, der passte zu Hamburg, ist aber schon fast verkauft.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: