MTV Unplugged mit Cro:Der Mythos ist tot, es lebe die Marke

MTV Unplugged mit Cro in Ludwigsburg

Der Mann mit der Pandamaske in ungewohnter Umgebung: Rapper Cro mit Band und Orchester bei MTV Unplugged in Ludwigsburg.

(Foto: Delia Baum)

Was ist noch übrig vom kollektiven Fernsehmusikerlebnis, 22 Jahre nach Nirvana? Besuch beim MTV-Unplugged-Konzert mit Rapper Cro.

Von Johanna Bruckner, Ludwigsburg

Der Mann auf der Bühne hat schlechte Nachrichten. Die Zugabe dauert an diesem Abend elf Lieder lang. Das ist nach 90 Minuten Live-Konzert nicht nur für Rapper Cro ein Kraftakt, sondern auch für die Besucher im ehemaligen Scala-Kino in Ludwigsburg. Warum die Songs noch einmal gedreht werden müssen, sagt der Mann vom Sender nicht. Aber bei MTV Unplugged gilt das Diktat des Fernsehens: Wichtig ist allein die Aufzeichnung. Stimmung machen erlaubt, lautete die Ansage ans Publikum: "Aber dann bitte wieder hinsetzen, wegen der Kameras!" Was wohl Kurt Cobain dazu gesagt hätte?

Das Unplugged mit Nirvana wurde 1993 in einem einzigen Take gedreht. Das Album "MTV Unplugged in New York", das vom Rolling Stone unter die besten 500 Alben aller Zeiten gewählt wurde, erschien erst nach Cobains Suizid im April 1994. Auch deshalb sind Nirvana heute Mythos und Maßstab zugleich. Für jene, die in den 80ern geboren und in den 90ern groß wurden, ist dieses Live-Konzert aber nicht nur ein Stück Musikgeschichte. Es ist ein kollektives Fernseherlebnis.

"Bist du auch noch mit MTV groß geworden?", fragt ein junger Mann seine Nebensitzerin im Scala-Kino. Heute gibt es das Musikprogramm in Deutschland nur noch als Bezahlsender. Die meisten Menschen, die an diesem Montagabend Anfang Mai in den roten Plüschsesseln sitzen, sind entweder sehr viel jünger oder ein ganzes Stück älter die MTV-Generation. Und Cro selbst? Der sagt später am Telefon: "Von Nirvana hab' ich jetzt schon öfter gehört. Vorher hatte ich das aber nicht auf dem Schirm. Das war wahrscheinlich das größte und beste?" Dann lacht er, auf der Terrasse seines Elternhauses im Schwäbischen.

Der jüngste Künstler in der Unplugged-Historie

Carlo Waibel, wie Cro mit bürgerlichem Namen heißt, ist 25. Er wurde als Rapper mit Pandamaske und Liedern wie "Easy" "Whatever" und "Traum" bekannt, er selbst nennt seinen Musikstil Raop (aus Rap und Pop). Normalerweise haben Musiker genug Hitmaterial für ein Best-of zusammen, wenn die Anfrage von MTV für ein Unplugged kommt, drei erfolgreich veröffentlichte Alben sind die Mindestanforderung. Von Cro gibt es zwei Nummer-eins-Alben - er ist der jüngste Künstler in der Unplugged-Geschichte.

Als er die Bühne in Ludwigsburg betritt, trägt er zur Maske schwarze Jeans und einen weißen Pullover mit Kunstblutflecken, an der linken Hand baumelt eine Handschelle. Diesen Pulli hätte vielleicht auch Kurt Cobain getragen - das war's aber auch schon mit den Grunge-Anleihen. Cro ordnet seine schlaksigen Glieder auf einem Barhocker, Band und Orchester stimmen das erste Lied an: "Erinnerung". Es ist ein Coming-of-Age-Song, Schule geschmissen, Liebeskummer, Geldprobleme, und die obligatorischen Rauscherfahrungen - aber in der jugendfreien Version: "Bei manchen war es Koks oder Weed / Ich dagegen nahm in Krisen halt die Droge Musik".

Der Carlo, flüstert irgendwann der Nebensitzer herüber, der sei ein ganz feiner Kerl, immer hilfsbereit. Im Publikum sitzen an diesem Abend viele Freunde des Sängers, auch Familie ist da. Seine Mutter singt jedes Lied mit, und als ihr Sohn auf der Bühne erzählt, dass er manchmal Mikrofon und Wasserflasche verwechsle, sagt sie: "Mensch Carlo, kannsch net zwei Sachen auf einmal machen!?" Und noch eine Schwäche des jungen Mannes, der in der Öffentlichkeit nie ohne Maske auftritt, wird offenbart.

Stecker raus, Lilien rein

Cro kommt selbst zum eigenen Konzert zu spät. Zumindest tut er das an diesem Abend, für die Show. Zwischen den Songs gibt es kurze Einspieler auf der großen Kinoleinwand, die erklären, was den Sänger aufgehalten hat. Natürlich kommt eine schöne geheimnisvolle Frau darin vor, eine Taxifahrt mit fanatischem Fan, ein Überfall, eine Party auf dem Polizeirevier. Es ist das Hangover-Motiv, erzählt in Musikvideo-Ästhetiken, mal Schwarz-Weiß, mal könnte hier auch der neueste Partyhit von Madonna zu sehen sein. Für die Atmosphäre eines Live-Konzerts tun diese Konserven-Momente allerdings nichts.

Unplugged - das bedeutet ins Deutsche übersetzt so viel wie "Stecker gezogen". 1990, als MTV das erste Unplugged-Konzert mit Aerosmith veranstaltete, ging das Jahrzehnt der Synthiebeats gerade erst zuende, ein Musikvideo war vor allem eine große Inszenierung. Ganz ohne ging es auch bei den Akustik-Konzerten nicht, wegen dem Fernsehen. Kurt Cobain saß mit seiner Gitarre auf einem Barhocker, es gab gedimmtes Licht und auf dem Boden Lilien-Bouquets. Aber in Erinnerung bleibt vor allem diese kratzige Stimme, die im einen Moment gelangweilt und im nächsten wütend klingen konnte. Wer das Unplugged-Konzert einmal gesehen oder gehört hat, braucht nicht mehr als ein paar Takte von "Come As You Are", um es wiederzuerkennen.

71 internationale MTV Unpluggeds gab es bisher, dazu 15 in Deutschland produzierte. Herbert Grönemeyer war 1994 der erste nicht-englischsprachige Künstler, der für das Format angefragt wurde. Die 2000 produzierte Ausgabe mit den Fantastischen Vier gilt bis heute als das beste deutsche Unplugged-Konzert. Kommerziell am erfolgreichsten war aber ein Konzert aus dem Jahr 2011: Udo Lindenbergs Unplugged-Album "Live aus dem Hotel Atlantic" verkaufte sich 1,1 Millionen Mal.

Dieses MTV Unplugged in der schwäbischen Provinz ist kein Missverständnis

Rapper Cro erklärt sein Unplugged-Konzept so: "Wir wollten auf jeden Fall irgendwas Krasses machen, aber dann ist uns aufgefallen: Es gab alle krassen Locations schon, damit können wir nicht mehr punkten." Die Kurzfilme stammen von Arend Remmers, der auch Drehbuchautor des 2016 erscheinenden Films "Cro - Don't believe the Hype" ist. Produzent: Til Schweiger.

Dieses MTV Unplugged in der schwäbischen Provinz ist also durchaus kein Missverständnis - es ist auch geschicktes Marketing. Für das musikalische Produkt, das später klassisch als CD und in digitaler Version verkauft und an Pro Sieben lizensiert wird, ist es egal, wo gedreht wurde. Und der gelernte Mediengestalter Carlo Waibel, der nicht nur netter Kerl, sondern auch cleverer Geschäftsmann ist, erweitert sein künstlerisches Repertoire: Er macht Musik, hat eine eigene Klamottenlinie und ist jetzt auch Schauspieler. Auf die Frage, was für ihn MTV Unplugged bedeute, hat der Rapper nicht gleich eine Antwort. Dann sagt er: "Groß, international, große Marke."

Der Erfolgsdruck ist also da in Ludwigsburg. Nur zweieinhalb Wochen hat sich Cro auf das Live-Konzert vorbereitet, vom Umschreiben der 30 Songs bis zu den Proben mit Band und Orchester. Immer wieder blickt er zu Beginn des Konzerts auf ein Blatt auf dem Boden, der Ablaufplan sitzt noch nicht, schließlich sagt ihm ein junges Mädchen in der ersten Reihe die Songs an. Für Stimmung sorgen erst mal andere: der musikalische Lokalheld Max Herre, Cros Kindheitsidole, die Prinzen, oder Gangsterrapper Haftbefehl. Erst bei der Zugabe ist Cro auch Unterhalter. Beim wirklich letzten Lied "Traum" stehen fast alle Konzertbesucher, die bis hierhin durchgehalten haben. Kameras hin oder her.

Als die Lichter zum zweiten Mal wieder angehen, sitzt ein Herr mittleren Alters im Anzug sekundenlang mit geschlossen Augen da. Er lobt den Künstler - und erst diese Akustik im Saal! Ob einem denn der neue künstlerische Leiter im Scala ein Begriff sei, fragt der Herr. Dann stellt er sich vor: "Ich bin der Oberbürgermeister von Ludwigsburg." Cro ist an diesem Abend nicht der einzige, der etwas von Markenbildung versteht.

Das Unplugged-Album von Cro erscheint am 3. Juli. Pro Sieben zeigt das Konzert am 16. Juli, 23.35 Uhr.

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